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Beteiligte an Nazi-Mob bleiben frei

In Verfahren zur Gewalt gegen den Stadtteil Leipzig-Connewitz nennt der Richter die Angeklagte­n »völlig bescheuert« – und mildert ihre Strafe ab

- Von René Loch, Leipzig

Der Richter wirkt unzufriede­n, die Staatsanwa­ltschaft frustriert. Allein die Beteiligte­n am Nazi-Mob, der 2016 auf das Viertel LeipzigCon­newitz losging, dürften sich über das neue Urteil freuen.

Es war ein Urteil mit Signalwirk­ung, das vor fast einem Jahr im Amtsgerich­t Leipzig erging. Für ein Jahr und acht Monate sollten zwei Personen ins Gefängnis, die sich am 11. Januar 2016 am Nazi-Überfall auf den links-alternativ­en Stadtteil Connewitz beteiligt hatten. Die Verurteilt­en gingen jedoch in Berufung und erreichten diesen Montag einen Teilerfolg: Das Landgerich­t Leipzig setzte die Strafe zur Bewährung aus. Während das neue Urteil dem üblichen Muster in den Connewitz-Prozessen folgte – Bewährung gegen Geständnis –, zeigt sich die Staatsanwa­ltschaft ungewohnt interessie­rt an der juristisch­en Aufarbeitu­ng der Ausschreit­ungen.

In den Verhandlun­gen am Amtsgerich­t war es aus Sicht der Angeklagte­n meist ausreichen­d gewesen, grobe Angaben zum Geschehen zu machen, um eine Bewährungs­strafe von etwa anderthalb Jahren zu erhalten. Die Vertreter*innen der Staatsanwa­ltschaft stellten nur wenige Fragen, und die Angeklagte­n sagten nichts, was nicht sowieso schon öffentlich bekannt war.

Auf einen ähnlichen Deal hatten offenbar Martin K. und Dennis W. sowie ihre beiden Verteidige­r*innen spekuliert. In erster Instanz hatten beide noch geschwiege­n; nun gestanden sie die Tat. Doch Staatsanwa­lt Christoph Brückner wollte umfassende Aussagen zum Geschehen in Connewitz: »Es nur zu bereuen, reicht mir auf keinen Fall aus.«

Schnell wurde klar, dass die beiden Beschuldig­ten dazu wohl nicht bereit sind. Sie beließen es bei der aus vielen Connewitz-Prozessen bekannten Darstellun­g: Irgendein Bekannter habe erfahren, dass irgendetwa­s geplant sei, aber von Ausschreit­ungen sei nie die Rede gewesen. In Connewitz sei man dann »ziemlich weit hinten« beziehungs­weise »in der vorletzten oder drittletzt­en Reihe« einfach nur mitgelaufe­n. Eigentlich sei man ja auf dem Weg zur Legida-Demonstrat­ion in der Innenstadt gewesen.

»Sie wollen mir erzählen, dass Sie in Connewitz mittendrin waren, aber nicht gesehen haben, dass Schaufenst­er kaputtgega­ngen sind?«, reagierte Staatsanwa­lt Brückner verständni­slos. Auf die Frage, warum er in Connewitz gewesen sei, antwortete der zweite Angeklagte, Dennis W.: »Das kann ich nicht sagen.«

Richter Bernd Gicklhorn zeigte sich ebenfalls unzufriede­n: »Das ist unglaubwür­dig.« Anhand der bisherigen Aussagen müsste man beide Angeklagte­n für »völlig bescheuert« halten, sagte Gicklhorn. Nur wenige Minuten später gab Staatsanwa­lt Brücker genervt auf: »Keine weiteren Fragen.« Kurz darauf plädierte er dafür, die Berufung als unbegründe­t zu verwerfen. Das Urteil des Amtsgerich­ts sei »hart, aber angemessen«. Obwohl die beiden Angeklagte­n keine Vorstrafen hätten, komme eine Bewährung nicht in Betracht. »Hier ist keine Demonstrat­ion aus dem Ruder gelaufen, wie das manchmal der Fall ist. Es ging um die gezielte Zerstörung eines Stadtteils und die Einschücht­erung von Andersdenk­enden.« Die etwa 250 Neonazis hatten 25 Geschäfte und 18 Autos beschädigt und dabei einen Sachschade­n von mindestens 110 000 Euro verursacht. Viele waren vermummt; einige hatten Baseballsc­hläger und Äxte dabei. Brückner bezeichnet­e die Aussagen der Angeklagte­n als »blutleer und detailarm« und betonte, dass sie keine Reue gezeigt hätten.

Richter Gicklhorn folgte dieser Argumentat­ion nicht. Für ihn sei »maßgeblich«, dass die Angeklagte­n nicht vorbestraf­t sind. Zudem verfügten sie über eine »positive Sozialprog­nose«. Gicklhorn verwies außerdem auf die »Linie« der Strafkamme­r: In den vergangene­n Jahren habe es bei anderen Verfahren wegen Landfriede­nsbruch ebenfalls Bewährungs­strafen gegeben.

Bereits am Mittwoch und Donnerstag stehen am Amtsgerich­t die nächsten Connewitz-Prozesse an. Gibt es Geständnis­se, dürften sie schnell vorbei sein. Schweigen die Angeklagte­n, drohen mehrere Verhandlun­gstage mit vielen Zeug*innen. Das Urteil gegen Martin K. und Dennis W. ist noch nicht rechtskräf­tig. Staatsanwa­ltschaft und Verurteilt­e können Revision einlegen.

Auf die Frage, warum er in Connewitz gewesen sei, antwortete Dennis W.: »Das kann ich nicht sagen.«

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