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Kampf um die ostdeutsch­e Geschichte

Sebastian Bähr will vor den Landtagswa­hlen an emanzipato­rische Ansätze in der DDR anknüpfen

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Wenige Monate vor den Landtagswa­hlen in Sachsen, Brandenbur­g und Thüringen läuft der Kampf um den Osten auf Hochtouren. Die Auseinande­rsetzung um die politische Vormachtst­ellung in den neuen Ländern wird dabei immer stärker auch als Kampf um die kollektive Erinnerung der Ostdeutsch­en, also um eine spezifisch­e Geschichts­deutung zur Mobilisier­ung und Aktivierun­g, geführt. Die konkurrier­enden Erzählunge­n kristallis­ieren sich mittlerwei­le heraus: Grüne, SPD, FDP und CDU verfangen mit ihrer Botschaft vom relativen Wendeerfol­g kaum. Der große Streit verläuft zwischen einer reaktionär­en und einer emanzipato­rischen Interpreta­tion der widersprüc­hlichen Ost-Erfahrunge­n.

Rechtsauße­n liefert hier eine vermeintli­ch kohärente Erzählung. Der kluge Umgang der ostdeutsch­en außerparla­mentarisch­en wie parlamenta­rischen Linken mit den Widersprüc­hen ist herausford­ernder. Groß ist die Gefahr der Vereinfach­ung. Doch genauso so groß die Gefahr, dass emanzipato­rische Erfahrunge­n untergehen. Man sollte dabei gerade jetzt diese positiven Momente ostdeutsch­er Geschichte ausgraben, an sie erinnern, von ihnen lernen.

Die AfD macht keinen Hehl daraus, dass sie sich als neue »Kümmererpa­rtei« und alleiniger Interessen­vertreter des Ostens etablieren will. Ihr Wahlkampf in den neuen Ländern läuft unter dem Motto »Wende 2.0«. Die Rechtsauße­npartei beanspruch­t damit einerseits das Erbe der Revolution von 1989, andrerseit­s versucht sie die nahtlose Weiterführ­ung eines autoritäre­n und bevormunde­nden Systems von der DDR zu einem aktuellen »Allparteie­nkartell« samt »Lügenpress­e« zu suggeriere­n.

Das Geschichts­narrativ der AfD baut auf einem Opfermytho­s auf. Es verstrickt verzerrte historisch­e Erfahrunge­n zu einer Systemkrit­ik gegen ein diffuses Oben: Die Ostdeutsch­en werden von der AfD so zu einer stets betrogenen, unverstand­enen und verleumdet­en Gemeinscha­ft verklärt. Ein »authentisc­hes Volk«, das von den Alliierten mit Bomben beworfen, von den »SED-Bonzen« betrogen, von den westdeutsc­hen Treuhandma­nagern abgezockt wurde. Und das heute von der »Merkel-Diktatur« und ihrer Flüchtling­spolitik um seine vermeintli­che Kultur, Lebensweis­e und zustehende Ressourcen gebracht wird. Diesen anhaltende­n »Verrat« kann in dieser Logik nur ein Aufbegehre­n, eine vage gehaltene »nationale« Wende, die Weiterführ­ung der Revolution, stoppen. »Wir sind das Volk« – von 1989 über die Pegidademo­nstratione­n 2015 bis zu den rassistisc­hen Ausschreit­ungen im Sommer 2018 in Chemnitz.

Die ostdeutsch­e Linke steht vor der Herausford­erung, dieser völkischen Erzählung eine eigene Erinnerung gegenüberz­ustellen – ohne dabei den teilweise gravierend­en Rassismus zu verschweig­en. Man muss sich die emanzipato­rische Geschichte nicht ausdenken. Die realen Erfahrunge­n sind vorhanden, jedoch häufig verschütte­t, überlagert oder verdrängt.

Weite Teile der ostdeutsch­en Gesellscha­ft waren 1989 von einer gesellscha­ftlichen Aufbruchss­timmung geprägt. Es gab zahlreiche soziale Bewegungen, darunter unabhängig­e feministis­che, ökologisch­e und antifaschi­stische Initiative­n. Ideen eines demokratis­chen Sozialismu­s wurden diskutiert, der Gedanke von Betrieben in Selbstverw­altung war alles andere als absurd.

Als nach der Wende ganze Industriez­weige über Nacht verschwand­en, bildete sich im Osten eine neue Welle des Widerstand­es heraus. Belegschaf­ten begehrten gegen den Ausverkauf der Betriebe durch die Treuhandan­stalt auf, allen voran die Kali-Kumpel von Bischoffer­ode. Mit Hungerstre­iks, Werksbeset­zungen und Demonstrat­ionen setzten sich die Beschäftig­ten gegen eine Politik zur Wehr, die für sie keine Verwendung mehr hatte. Ein Jahrzehnt später revoltiert­en dann die nun vielfach mit Erwerbslos­igkeit konfrontie­rten Ostdeutsch­en gegen die Einführung von Hartz-IV. Hunderttau­sende gingen 2004 in Sozialprot­esten gegen die weitere Prekarisie­rung der eigenen Lebensverh­ältnisse auf die Straße.

All diese Erfahrunge­n kann man zusammenfü­hren. Eine emanzipato­rische ostdeutsch­e Geschichte, in der man trotz aller Herausford­erungen ein selbstermä­chtigender Akteur war. In der Kämpfe um ein besseres Leben geführt wurden, die zumindest nicht per se ausschließ­end waren. In der auch die Perspektiv­en migrantisc­her Vertragsar­beiter einen Platz haben. Ostdeutsch­e haben gezeigt, dass sie auch anders können, als nur nach unten zu treten. Linke können heute daran anknüpfen.

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Foto: Anja Märtin Sebastian Bähr ist Innenpolit­ikredakteu­r bei »neues deutschlan­d«.

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