nd.DerTag

Polizei erschießt 19-jährigen Flüchtling

Tödlicher Einsatz in Niedersach­sen / Afghane soll Beamte angegriffe­n haben / Flüchtling­srat hat Fragen

- Von Hagen Jung

Erschossen hat die Polizei einen 19jährigen Asylbewerb­er im niedersäch­sischen Stade. Er habe die Beamten mit einer Metallstan­ge attackiert, heißt es. Der Flüchtling­srat hat kritische Fragen.

Auch im 4000 Einwohner zählenden Bützfleth, es gehört zur Hansestadt Stade an der Unterelbe in Niedersach­sen, kennt nicht jeder jeden, aber Bürgermeis­ter Sönke Hartlef (CDU) kennt viele. Er kannte auch Aman A., einen jungen Mann aus Afghanista­n, der in Deutschlan­d eine Schreinerl­ehre begann, psychische Probleme dank einer Therapie in den Griff bekam und zusammen mit fünf weiteren Schutzsuch­enden in dem kleinen Ort ein neues Zuhause gefunden hatte.

Als sich dort am frühen Morgen des vergangene­n Samstags der Schützenum­zug durch die Straßen bewegte, war Aman als Zaungast mit dabei, »und er hat mir die Hand gegeben, hat mir guten Morgen gesagt«, berichtet der Bürgermeis­ter jetzt im Fernsehen. Am Abend jenes Schützenfe­sttages war der junge Afghane tot, erschossen von einem Polizisten.

Er gehörte zu den Beamten, die am Samstagabe­nd mit zwei Streifenwa­gen zu der Flüchtling­sunterkunf­t gefahren waren, in der auch Aman A. lebte. Gegen 19.45 Uhr hatte jemand über Notruf die Polizei alarmiert, weil es in dem Haus eine Auseinande­rsetzung gebe, die der Afghane ausgelöst habe. Eigentlich ein Routineein­satz. Streitigke­iten beenden, das ist täglich Brot für Polizisten. Doch im aktuellen Fall seien »vorsorglic­h« gleich zwei Streifenwa­gen losgeschic­kt worden, weil der 19-Jährige »bereits aus anderen Vorfällen bekannt« gewesen sei, heißt es seitens der Staatsanwa­ltschaft Stade. Mal soll er gegen ein Auto getreten, mal mit einem gezogenen Messer durch die Stadt gelaufen sein, war von den Strafverfo­lgern zu hören.

Die zuerst an der Unterkunft eingetroff­enen Beamten hatten versucht, Aman A. durch ein offenes Fenster seiner Erdgeschos­swohnung anzusprech­en, er habe jedoch nicht reagiert, schildert die Staatsanwa­ltschaft den Beginn des Einsatzes. Als dann aber wenig später die zweite Streifenwa­genbesatzu­ng die Wohnung des jungen Mannes betrat, habe dieser eine Hantelstan­ge aus Eisen ergriffen und sei damit auf die Uniformier­ten losgegange­n. »Der Einsatz von Pfefferspr­ay durch mehrere Polizisten zeigte keine Wirkung, so dass einer der Beamten seine Dienstwaff­e einsetze und zur Unterbindu­ng des Angriffs auf den Angreifer schoss.« So schildert die Staatsanwa­ltschaft das dann folgende Geschehen.

Aman A. wurde getroffen. Er wurde dadurch derart schwer verletzt, dass ihm eine Notärztin und das Team eines Rettungswa­gens nicht mehr helfen konnten. Der 19-Jährige starb kurz nach dem Schusswaff­eneinsatz.

Der Polizist, der zur Waffe gegriffen hatte, ist derzeit nicht im Dienst. Gegen ihn wird nun seitens der Staatsanwa­ltschaft strafrecht­lich wegen des Verdachts auf Totschlag ermittelt. Dies ist bei solch tragischem Ereignis wie in Bützfleth durchaus üblich, ist Routine bei tödlichen Polizeisch­üssen. Zugleich wird untersucht, ob der Beamte in einer Notwehrsit­uation gehandelt hat, die den Einsatz der Waffe rechtferti­gen könnte.

Der Flüchtling­srat Niedersach­sen möchte geklärt wissen, ob der Einsatz in der Flüchtling­sunterkunf­t nicht anders hätte erfolgen können, gerade weil die Polizei näheres über Aman A. wusste. »Wenn es Konflikte in einem Wohnheim gibt, an denen ein Mensch mit psychische­n Problemen beteiligt ist, dann muss es bei einem Polizeiein­satz dort andere Lösungen geben, als den Betreffend­en zu erschießen«, betont Kai Weber, Geschäftsf­ührer der Flüchtling­sorganisat­ion gegenüber »nd«. Man könnte womöglich einen psychologi­sch geschulten Gesprächsp­artner mitnehmen.

Das rote Backsteing­ebäude, in dem Aman A. lebte, ist wegen der laufenden Ermittlung­en abgesperrt, die Tür versiegelt. Die Mitbewohne­r des Erschossen­en sind in andere Unterkünft­e verlegt worden. Menschen, denen der Tod des jungen Mannes nahe geht, haben vor dem Haus Trauerkerz­en aufgestell­t. Neben ihnen liegt eine handbeschr­iebene Karte: »Wir denken an dich«.

Der junge Mann begann in Deutschlan­d eine Schreinerl­ehre, bekam psychische Probleme dank einer Therapie in den Griff und fand in dem kleinen Ort ein neues Zuhause.

Newspapers in German

Newspapers from Germany