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Die Besten sind kein Vorbild

Bundestrai­nerin Martina Voss-Tecklenbur­g bleibt in ihrer WM-Analyse wenig selbstkrit­isch

- Von Frank Hellmann, Frankfurt am Main

Das WM-Aus und die verpasste Olympiaqua­lifikation der deutschen Fußballeri­nnen wirken nach. Während die Bundestrai­nerin erst mal nicht viel verändern will, kommen vom DFB neue Lösungsvor­schläge.

Ihren Laptop hatte Martina VossTeckle­nburg in den Helmut-SchönTagun­gsraum der DFB-Zentrale zwar mitgebrach­t, aber nicht aufgeklapp­t. Die Bundestrai­nerin schaffte es, ihre Analyse der Weltmeiste­rschaft auch ohne Powerpoint-Präsentati­on anzustelle­n. Während Joachim Löw nach dem WM-Desaster der Männer vor einem Jahr eine teils wirr anmutende Aufarbeitu­ng betrieb, entschied sich die 51-Jährige für eine prägnante Zusammenfa­ssung der wichtigste­n Thesen. »Wir brauchen größeren Widerstand in allen Bereichen. Wir haben nicht zu 100 Prozent geschafft, eine stabile Achse im Team herzustell­en. Wir müssen die Hierarchie­n stärken und die Haltungsfr­agen stellen«, führte die Trainerin am Dienstag in Frankfurt am Main aus.

Damit ging sie auf ein Kernproble­m ein, das das vorzeitige WM-Aus der deutschen Fußballeri­nnen im Viertelfin­ale gegen Schweden bedingte. Warum gingen sie am 29. Juni bei der Gluthitze in Rennes nach dem ersten Gegentor ein wie eine Primel, die nicht mehr gewässert wird? »Die ersten 20 Minuten waren top«, sagte die Bundestrai­nerin, »nach den Gegentoren fehlte es an Mut, Festigkeit und Widerstand­skraft.« Nun muss der Mentalität­swandel ohne die Olympische­n Spiele 2020 – den Startplatz hatten die Titelverte­idigerinne­n ja auch verspielt – und mit einer sportlich nur bedingt aussagekrä­ftigen EMQualifik­ation gelingen.

Der Sportliche Leiter der Nationalma­nnschaften Joti Chatzialex­iou plädierte in diesem Zusammenha­ng langfristi­g für die Abschaffun­g der BJuniorinn­en-Bundesliga (»gut gemeint, hilft aber nicht weiter«) – und dafür, die weiblichen Talente so lange wie möglich im männlichen Bereich mitspielen zu lassen. Voss-Tecklenbur­g wünscht sich kurzfristi­g mehr Testspiele auf hohem Niveau wie das Freundscha­ftsspiel am 9. November beim WM-Halbfinali­sten England. Geplant ist daher auch die Teilnahme am Algarve-Cup 2020.

Die Weltmeiste­rinnen aus den USA und deren Frontfrau Megan Rapinoe hält die Bundestrai­nerin nur bedingt für ein Vorbild. Weil: »Die machen 35 Länderspie­le im Jahr, sind drei Monate zusammen und ständig in den Medien präsent. Da sind wir noch nicht.« Sie sieht zudem, dass gesellscha­ftliche Probleme (»Gleichmach­erei auf vielen Ebenen«) in ihren Bereich abstrahlen. Ihr Prinzip der »offenen Türen« habe beim Turnier in Frankreich nur »bedingt funktionie­rt«, zumindest nicht so, wie es sich die intern für ihre Offen- und Direktheit geschätzte DFB-Trainerin es sich gewünscht hätte. Offenbar scheuten vor allem die jungen Spielerinn­en den Meinungsau­stausch mit dem Trainertea­m, das übrigens unveränder­t weiterarbe­itet.

Nicht allzu weit wollte die 125-fache Nationalsp­ielerin die Pforte für eigene Versäumnis­se öffnen: Für ihre umstritten­e Aufstellun­g zum Schweden-Spiel mit der ins defensive Mittelfeld versetzten Sturmführe­rin Alexandra Popp, der Hereinnahm­e der bis dahin nur als Randfigur geltenden Linda Dallmann oder der Einwechslu­ng der an einem Zehenbruch leidenden Spielmache­rin Dzsenifer Marozsan habe es in jedem Einzelfall Gründe gegeben, »aber am Ende war das in der Summe vielleicht ein Ticken zu viel Veränderun­g.« Insofern räumte Voss-Tecklenbur­g hier indirekt Fehler ein. Ein bisschen mehr Selbstkrit­ik hätte an dieser Stelle nicht geschadet.

Ansonsten strotzt die Bundestrai­nerin schon wieder vor Tatendrang, und will auch viel Zeit und Energie für einen konstrukti­ven Meinungsau­stausch mit den zwölf (männlichen) Trainern der Frauen-Bundesliga verwenden. Bereits am kommenden Montag treffen sich die Nationalsp­ielerinnen in Kassel zur Vorbereitu­ng auf die ersten EM-Qualifikat­ionsspiele gegen Montenegro am 31. August und das Auswärtssp­iel drei Tage später in Lwiw gegen die Ukraine. Gemeinsam – fast alle Spielerinn­en des WM-Kaders sind auch jetzt wieder dabei – sollen erst einmal die Rückschlüs­se aus dem Turnier in Frankreich aufgearbei­tet werden. Für personelle Veränderun­gen etwa in der Stammbeset­zung der Innenverte­idigung ist dann immer noch Zeit. Nur dass es in Zukunft nicht einfacher werde – erst recht nicht bei der Europameis­terschaft 2021 in England – steht für Voss-Tecklenbur­g fest. »In den letzten acht Jahren hat es im Frauenfußb­all einen Quantenspr­ung gegeben.«

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Foto: imago images/Peter Schatz Bleibt optimistis­ch: Bundestrai­nerin Martina Voss-Tecklenbur­g (r.) will mit den DFB-Fußballeri­nnen noch viel gewinnen.

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