Durch alle Raster
Im Görlitzer Park werden gesellschaftliche Probleme wie unterm Brennglas sichtbar.
Am Drogenhandel im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg wird das Scheitern der europäischen Asylpolitik deutlich.
Brigitta Varadinek, Bantabaa e.V. Polizisten auf Drogensuche
Lamin Diara hat sein Leben riskiert, um der Perspektivlosigkeit in Gambia zu entfliehen. 21 Jahre ist er alt, als er nach Berlin kommt. Das war vor drei Jahren. Sein Traum vom besseren Leben endete in Hoffnungslosigkeit. Keine Arbeitserlaubnis, keine Unterkunft, auch hier keine Perspektive. Um Überleben zu können, blieb ihm am Ende nur der Drogenhandel.
Wie Diara geht es vielen, erklärt Brigitta Varadinek. Zusammen mit ihrer Tochter gründete die Rechtsanwältin 2015 den Verein Bantabaa. In der Falckensteinstraße 17, nur wenige Meter vom Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg entfernt, findet dort seitdem Deutsch- und Matheunterricht sowie eine Rechtsberatung statt. Darüber hinaus veranstaltet der Verein jeden Freitag ein Community Dinner, bei dem Geflüchtete und Freiwillige gemeinsam westafrikanische Gerichte kochen. »Bantabaa heißt ›Treffpunkt‹ auf Mandinka. Und das soll er auch sein«, sagt Varadinek lachend, bevor ihre Miene wieder ernst wird und sie nachdenklich hinzufügt: »Denen, die keine Drogen verkaufen, geht es wirklich schlecht.« Wer bereits in Italien oder Spanien ein Asylverfahren durchlaufen hat, kann sich zwar in Deutschland aufhalten, darf hier aber nicht arbeiten und bekommt auch keine andere Unterstützung – etwa eine Unterkunft oder Zugang zu Integrationskursen, so Varadinek. »Am Görlitzer Park wird das Scheitern der europäischen Asylpolitik deutlich. Viele fallen einfach durch alle Raster, und niemand fühlt sich für sie zuständig«, ergänzt sie.
Die Vögel zwitschern. Kinder lachen. Menschen liegen in der Sonne oder spielen Frisbee. Auf den ersten Blick kann der »Görli«
tagsüber auch wie ein kleines Idyll wirken. »Das war er allerdings nie«, sagt Lorenz Rollhäuser. Irgendwas war immer, seit die Brache des ehemaligen Bahnhofsgeländes in den späten 1980er Jahren begrünt wurde: zu viele Hunde, zu viele Grills, zu viel Party. Rollhäuser wohnt seit über 20 Jahren im Kiez und ist Sprecher des im Herbst 2018 gewählten zivilgesellschaftlichen Parkrats. Der besteht aus insgesamt elf Personen, darunter Nutzer*innen, Anwohner*innen und Vertreter*innen verschiedener Initiativen, die sich für einen Park einsetzen, in dem sich alle Menschen wohlfühlen. Dass der Parkrat selbst ernannt sei, wie kürzlich in vielen Medien berichtet, weist Rollhäuser entschieden zurück: »An den Häusern hingen überall Plakate. Am Ende kamen 1248 Menschen zur Wahl.« Auch die Behauptung, die von der Umweltsenatsverwaltung als Kommunikationsteam eingesetzten Parkläufer würden dealen, hält der Parkrat für eine rassistische Kampagne: »Schwarze Menschen als Parkläufer – da sehen oder unterstellen manche Menschen in Deutschland eben sofort Drogenhandel«, heißt es in einer Stellungnahme des Gremiums.
Dass die Gewalt im Görlitzer Park in den vergangenen Jahren aber tatsächlich zugenommen hat, kann Rollhäuser in Teilen bestätigen: »Das Klima im Park ist härter geworden. So wie es generell härter geworden ist in unserer Gesellschaft. Der ›Görli‹ ist wie ein Brennglas.« Streitigkeiten gebe es unter den Dealern selbst, so Rollhäuser. Besucher*innen seien davon seltener betroffen. Und wenn, dann ginge solche Gewalt meist von Personen aus, die selbst Drogen konsumieren und dafür schnell Geld bräuchten. Diara dealt schon lange nicht mehr, bestätigt Festnahme aber Rollhäusers These: »Wenn es zu Gewalt kommt, dann, weil die Dealer sich um Kundschaft streiten, oder weil Leute auf Drogen aggressiv werden«, erklärt er. Über Bantabaa hat der junge Gambier eine Ausbildung in der Gräfewirtschaft begonnen, wo er Schul- und Kitaessen kochte. Er wäre übernommen worden, berichtet er, die Arbeitserlaubnis bekam er nicht. Also wieder: nichts.
Dabei ist es genau diese Perspektivlosigkeit, in der Varadinek den Grund für die Zunahme der Gewalt sieht. »Eigentlich sind auch die Dealer sehr friedlich. Viele von ihnen hatten immer Hoffnung, waren bemüht, gingen zur Schule und haben jeden Strohhalm gegriffen, der ihnen geboten wurde. Manche wurden irgendwann hoffnungslos und haben angefangen, Alkohol zu trinken«, erklärt sie. Das habe eine neue Aggressivität in den Park gebracht. Von einer Rückkehr zur Null-Toleranz-Politik des ehemaligen Innensenators Frank Henkel (CDU), wie sie kürzlich Berlins CDU-Fraktionsvorsitzender Burkard Dregger forderte, hält Varadinek trotzdem nichts. »Das hat damals absolut nichts gebracht. Ganz im Gegenteil: Die Null-Toleranz-Politik hat die Dealer erst in die Straßen um den Park vertrieben.« Für die Anwohner*innen sei das desaströs gewesen.
Mit dem rot-rot-grünen Senat ist die NullToleranz-Politik zwar Geschichte. Für viele Westafrikaner in und um den Görli gehören Polizeikontrollen aber immer noch zum Alltag. Jede Woche nehme ihn die Polizei fest, weil er keinen Ausweis hat, erklärt Diara. Zwei oder drei Stunden dauere es dann, bis sie seine Fingerabdrücke genommen haben. Er wünscht sich deshalb nur eins: endlich einen Ausweis zu haben. Mit der Abschnittspolizei sei der Kontakt eigentlich ganz gut, erklärt Varadinek. »Ich glaube, die haben auch erkannt, dass die meisten hier einfach überhaupt keine Chance haben.« Extrem brutal gehe dahingegen die Bereitschaftspolizei vor. Erst kürzlich wurde eine schwarze Person von der Polizei verprügelt, heißt es auch in einer Stellungnahme des Parkrats. Als eine Mitarbeiterin des benachbarten interkulturellen Vereins Joliba die Beamten auffordert, die Misshandlungen zu unterlassen, wird sie so heftig vor die Brust gestoßen, dass sie sich seit dem 26. August mit schwersten Verletzungen im Krankenhaus befindet.
Auch Rollhäuser hat erlebt, dass die Polizei bei Festnahmen unverhältnismäßige Gewalt anwendet, und hört immer wieder, dass die Verdächtigten sogar bestohlen würden. »Es drängt sich der Eindruck auf, dass man lieber auf das letzte Glied der Kette einschlägt«, schrieb der Parkrat dazu. Dass kaum nach den Großlieferanten und den Käufer*innen – darunter viele weiße Partytourist*innen – gesucht wird, hat auch mit Rassismus zu tun, erklärt der Parkrat. »Die Ursachen der Probleme liegen ganz woanders, werden im Park nur wie in einem Brennglas sichtbar: Dazu gehören die Migrations-, die Drogen-, die Wohnungs-, sowie die Berliner Tourismuspolitik.« Auch nach Gambia kommen Tourist*innen, manche wandern sogar ganz aus. »Die finden dort ganz einfach ein Haus und eine Arbeit«, sagt Diara. Niemand verlange von ihnen, die lokalen Sprachen zu lernen. »Dabei hat Europa doch schon vor 400 Jahren alles von uns geklaut«, beklagt er. Sein größter Wunsch: »Einfach nur das tun, was die Deutschen auch tun: arbeiten und ein ganz normales Leben leben.«
»Am Görlitzer Park wird das Scheitern der europäischen Asylpolitik deutlich. Viele Geflüchtete fallen einfach durch alle Raster durch, und niemand fühlt sich für sie zuständig.«