Noch Luft nach oben
Geschichte zum Einscannen: Kunstprojekt »Aufbruch 1989 – Erinnern 2019« in Pankow gestartet
Berlin denkt über den Bau neuer Wohntürme nach. Der Senat für Stadtentwicklung hat dazu ein »Hochhausleitbild« entwickelt.
Das Projekt der Künstlerin Karla Sachse erinnert an die friedliche Revolution in der DDR vor 30 Jahren. Bodenzeichen im ganzen Bezirk führen über QR-Codes zu Zeitzeugeninterviews und Infotexten.
Wer in diesen Tagen in Prenzlauer Berg unterwegs war, ist sicher bereits auf sie gestoßen: Insgesamt 195 auffällig gestaltete Quadrate, auf denen das Motto des Kunstprojekts »Aufbruch 1989 – Erinnern 2019« prangt, zieren dort die Bürgersteige. Ein QR-Code führt an den Stationen zu einem der 158 Zeitzeugeninterviews oder einem Infotext über den Wendeherbst. Realisiert hat das vom Pankower Bezirksbürgermeister Sören Benn (LINKE) initiierte Projekt die Künstlerin Karla Sachse. Die Idee: 30 Jahre nach der friedlichen Revolution an die Aufbruchszeit zu erinnern und diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die diese maßgeblich gestaltet haben.
Künstler*innen, Bürgerrechtsaktivist*innen, Intellektuelle – der Prenzlauer Berg war in den 1980er Jahren ein Hort der Kreativen und auch ein Zentrum der Opposition in der DDR. Die Vielfalt der Zeitzeug*innen ist enorm: Von der Holzwirtschaftsingenieurin und Frauenrechtsaktivistin Samirah Kenawi bis hin zum ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse – sie alle wurden von der Künstlerin Karla Sachse interviewt. »Ich hatte mit allen was zu tun gehabt, wir haben im Prenzlauer Berg wie in einer Kommune gelebt«, erklärt die Künstlerin, die bis heute in dem Ostberliner Bezirk wohnt.
Auf vier verschiedenen Routen führt sie durch Prenzlauer Berg, vorbei an zentralen Orten der Umbruchszeit. Die erste startet im Norden des Stadtteils. Hier, unweit der Schönhauser Allee, ragt die Gethsemanekirche in die Höhe. Der Backsteinbau spielte in der Wendezeit eine zentrale Rolle und war Mittelpunkt der Widerstandsbewegung. Der QR-Code vor der Kirche in der Stargarder Straße 27 führt zu einem Interview mit dem Pfarrer Bernd Albani und der Kirchenältesten Manuela Albani. In dem zehnminütigen Gespräch berichten die beiden von den Mahnwachen und Andachtstreffen für die politischen Gefangenen, die damals in der Kirche stattfanden. »Der Prenzlauer Berg war ein guter Nährboden, eine Gegend, wo Menschen sich niedergelassen und ihre Freiräume genutzt haben«, erklärt Bernd Albani. Die Zeit sei von einer revolutionären Atmosphäre, von einem »Kribbeln auf den Straßen« geprägt gewesen.
Von einer diffusen Aufbruchsstimmung berichtet auch der damals zwölfjährige Reiko Kammer in der Kopenhagener Straße: »Ich hatte das Gefühl, dass da was ganz Großes passiert, das nicht jeden Tag passiert.« Auch wenn die Zeitzeug*innen aus verschiedenen Perspektiven über die Geschehnisse berichten, so sind sich doch beinahe alle in einem Punkt einig: Die Wende war nicht nur der Mauerfall, sondern reifte davor in den Jahren des Widerstands und der Organisierung der Menschen heran.
Auch die Jahre nach der Vereinigung werden in vielen Interviews thematisiert. Dass dabei einiges schieflief, kritisiert unter anderem der Zeitzeuge Werner Schulz. Der Lebensmittelchemiker war Mitglied im »Friedenskreis Pankow« und Aktivist im »Neuen Forum«. Später saß er für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Schulz bemängelt, dass sich das geeinte Deutschland keine neue Verfassung gegeben hat und der Verfassungsentwurf des Runden Tisches nicht berücksichtigt wurde. Dies wäre insbesondere für die ostdeutsche Bevölkerung wichtig gewesen. »Sie wäre nicht nur dazugekommen, sondern man hätte gemeinsam eine Gründungslegende gehabt«, sagt Schulz.
Vor diesem Hintergrund sei auch das Projekt gestaltet worden, sagt die Künstlerin Sachse. »Viele der damals Beteiligten haben das Gefühl, ihnen wurde nicht genug zugehört.« Die unkommentierten Audiointerviews lenkten die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche, erklärt Sachse. »So geht das Erzählte direkt ins Ohr.«