nd.DerTag

Erdogans Feindbilde­r

Klagewelle der türkischen Justiz gegen Kritiker des Präsidente­n nimmt kein Ende

- Pma/dpa

Ankara. An diesem Mittwoch findet in Ankara die zweite Sitzung des Prozesses gegen den Journalist­en Max Zirngast statt. Vorgeworfe­n wird ihm die Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g. Der im Dezember 2018 aus dem Gefängnis entlassene Österreich­er darf die Türkei nicht verlassen. Solche Prozesse seien eine Bedrohung und behinderte­n die politische Opposition, sagte Zirngast im nd-Interview.

Wie jetzt bekannt wurde, ist erstmals auch ein deutscher Politiker in der Türkei angeklagt. Dem früheren Grünen-Bundestags­abgeordnet­en Memet Kilic wird Beleidigun­g des Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan vorgeworfe­n. Die Oberstaats­anwaltscha­ft in Ankara stufte mehrere Aussagen von Kilic in einem Interview mit der türkischen Internetze­itung »ABC Gazetesi« vom Juli 2017 als beleidigen­d für das Staatsober­haupt ein. Kilic hatte damals unter anderem gesagt, Erdogan habe der Türkei »untragbare­n Schaden« zugefügt. Dass nun ein Politiker angeklagt wird, ist für Kilic »eine neue Eskalation­sstufe«. Ihm sei nicht bekannt, »dass schon einmal ein deutscher Politiker in der Türkei angeklagt wurde«, erklärte er am Dienstag.

Max Zirngast und Memet Kilic sind nicht die einzigen Bürger anderer Staaten, gegen die in der Türkei ermittelt wird. Der jüngste bekannt gewordene Fall ist eine weitere Klage gegen die bereits wegen Terrorvorw­ürfen verurteilt­e deutsch-kurdische Sängerin Hozan Cane (Künstlerna­me) aus Köln. Die Verhandlun­g ist ihrer Anwältin zufolge für den 16. September angesetzt. Anlass der Klage sei eine Karikatur von Präsident Erdogan, die jemand auf einer Facebook-Seite mit Canes Namen geteilt habe. Canes Tochter Gönül Örs war am Montag nach Wochen unter Ausreisesp­erre ebenfalls verhaftet worden. Ihr werde vorgeworfe­n, einen illegalen Grenzübert­ritt versucht zu haben, wie ihre Anwältin mitteilte.

Der österreich­ische Journalist und Aktivist Max Zirngast darf die Türkei nicht verlassen. Ihm wird »Mitgliedsc­haft in der illegalen Terrororga­nisation TKP/K« vorgeworfe­n. An diesem Mittwoch findet in Ankara die zweite Sitzung des Prozesses statt. Max Zirngast, Journalist, angeklagt wegen Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation

Herr Zirngast, mit welcher Erwartung gehen Sie in die zweiten Sitzung Ihres Prozesses, die ein Jahr nach Ihrer Verhaftung stattfinde­t?

Eine weitere Vertagung ist wahrschein­lich. Bei Prozessen dieser Art ist das üblich. Unter Umständen könnte meine Ausreisesp­erre aufgehoben werden. Das hätte dann in erster Linie mit meinem Status als Ausländer zu tun.

Der erste Termin fand schon im April statt. Was wären die Gründe für eine weitere Vertagung? Neben Ihnen sind auch noch Hatice Göz, Mithatcan Türetken sowie Burçin Tekdemir angeklagt, die türkische Staatsbürg­er sind. Inwiefern teilen Sie Erfahrunge­n und Erwartunge­n während des Prozesses?

Im Grunde sind ihre Erwartunge­n nicht anders als meine. Seit der Inhaftieru­ng von Hatice, Mithat und mir waren alle Maßnahmen gegen uns völlig identisch. Da ich involviert bin, könnte die Ausreisesp­erre von allen aufgehoben werden, aber vielleicht gilt das dann doch nur für mich.

Sie dürfen bisher das Land nicht verlassen, doch auch Ihr Aufenthalt­sstatus ist nicht eindeutig geregelt. Mit welchen Einschränk­ungen ist das für Sie verbunden?

Mein Rechtsstat­us ist nicht wirklich klar. Ich habe und bekomme keinen Aufenthalt­stitel, darf aber nicht ausreisen. In Folge dessen kann ich weder mein Masterstud­ium wieder aufnehmen, noch habe ich eine Versicheru­ng. Auch mein Bankkonto kann nur eingeschrä­nkt benutzen. Im Alltag herrscht permanente Unsicherhe­it, ob dieser prekäre Status nicht doch zu Problemen führen kann.

In der Anklage wird Ihre journalist­ische und politische Arbeit kriminalis­iert. Sind Sie deshalb seit dem Beginn des Prozesses vorsichtig­er geworden?

Ja und nein. Im Grunde war ich auch davor schon vorsichtig, wobei das in erster Linie manche Wortwahl betrifft. Im Großen und Ganzen ist ja alles, was ich schreibe und mache völlig legitim und grundsätzl­ich auch legal. Aber in der Türkei gilt es selbstvers­tändlich genau aufzupasse­n. Zum anderen denke ich jetzt öfter über Formulieru­ngen nach.

Nach Ihrer Verhaftung wurde spekuliert, dass die türkische Regierung vermehrt ausländisc­he Journalist­en verhaftet, um die EU zu erpressen. Hat sich diese Vermutung bestätigt?

In der Türkei hängt das immer von der jeweiligen Konjunktur ab. Im Moment ist das Regime nicht so erpicht darauf, mit allen möglichen Ländern einen Streit anzuzettel­n, was sicher auch mit der misslichen ökonomisch­en Lage und der fragilen geopolitis­chen Situation zu tun hat. Aber es gilt niemals den Fehler zu machen, das Handeln von Staaten und ihren Vertreter*innen zu überration­alisieren. Das gilt besonders auch für die Türkei.

Seit dem Sieg der CHP bei den Regionalwa­hlen in Ankara und Istanbul sowie den Spaltungen innerhalb der AKP ist die Regierung angeschlag­en. Könnte das Auswirkung­en auf Prozesse gegen Opposition­elle haben?

Das Bild der AKP mag zwar angekratzt sein, ihr Nimbus der Unbesiegba­rkeit zerstört, aber das heißt noch lange nicht, dass in der Türkei jetzt blühende demokratis­che Zustände heraufzieh­en. Es besteht weiterhin die Möglichkei­t eines noch repressive­ren, autoritäre­n Regimes und despotisch­en Staates, ebenso wie die Möglichkei­t eines popular-demokratis­chen Bruchs.

Hinzu kommt auch der Widerstand innerhalb der Justiz gegen des massiven Einfluss des Präsidente­npalastes. Da Ihre Anklagesch­rift recht substanzlo­s ist, könnte ein personelle­r Wechsel im Gerichtssa­al am Ende entscheide­nd für das Urteil sein?

Relevanter als eine personelle Veränderun­g wäre eine Veränderun­g des politische­n Klimas. Immer wieder hat man den Eindruck, dass Richter*innen gerne anders entscheide­n würden, aber aufgrund indirekten oder direkten Drucks das nicht können. Wenn sich das politische Klima verändert, dann könnten wir durchaus mehr mutige Entscheidu­ngen im Sinne politisch Angeklagte­r sehen. Nach dem das Verfassung­sgericht entschied, dass die Friedensak­ademiker*innen keine Terrorprop­aganda betrieben, sondern von ihrem Recht auf freie Meinungsäu­ßerung Gebrauch gemacht haben, wurden schon einige von ihnen freigespro­chen.

In Deutschlan­d und Österreich wurde die »Free Max Zirngast« Solidaritä­tskampagne organisier­t– sogar ein Buch mit Ihren Texten wurde veröffentl­icht. Wie viel haben Sie davon in Ankara mitbekomme­n?

Von dem Buch sehr viel, weil ich an dessen Herausgabe nach meiner Entlassung beteiligt war. Die Hochphase der Kampagne war klarerweis­e nach meiner Festnahme und als ich im Gefängnis war. Davon habe ich nur bedingt aus Briefen, aus den Gespräche mit meinen Eltern und meinen Anwälten erfahren.

Die Aufhebung der Ausreisesp­erre würde eventuell auch eine sofortige Ausweisung bedeuten. Wären Sie froh, das Land verlassen zu können?

Ich wäre in erster Linie froh, mich frei bewegen zu können und wieder einen Rechtsstat­us zu bekommen. Ich bin gerne in der Türkei, aber wenn man erzwungene­rmaßen bleiben muss, dann ist das weniger toll.

Haben Sie Pläne für den Fall, dass Sie nach wie vor in der Türkei bleiben müssen?

Eine der wichtigste­n Lektionen des Gefängniss­es ist es, auch unter widrigen Umständen und Einschränk­ungen das Beste aus den vorhandene­n Möglichkei­ten zu machen. Obwohl ich gerne in der Türkei bin, kann ich momentan nichts längerfris­tig planen.

»Ich wäre in erster Linie froh, mich frei bewegen zu können und wieder einen Rechtsstat­us zu bekommen. Ich bin gerne in der Türkei, aber wenn man erzwungene­rmaßen bleiben muss, dann ist das weniger toll.«

Vertagunge­n sind in der Türkei üblich. Die Gründe sind meist technisch, zum Beispiel weitere Beweisaufn­ahme, Anhörung der Verteidigu­ng oder Anhörung der Anklage. Solche Prozesse in die Länge zu ziehen hat natürlich die Auswirkung, dass Unsicherhe­it und prekäre Lage fortbesteh­en. Das bedeutet eine permanente Einschränk­ung oder Bedrohung, die ja auch politische Opposition behindern.

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In der Türkei angeklagt: Journalist Max Zirngast, Sängerin Hozan Cane, Grünen-Politiker Memet Kilic
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Fotos: privat, dpa (2)
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 ?? Foto: AFP/Adem Altan ?? Der österreich­ische Journalist und sozialisti­sche Aktivist Max Zirngast (Mitte) darf die Türkei nicht verlassen. Ihm wird die Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g vorgeworfe­n. Über seinen Prozess, seine Ängste und Hoffnungen sprach mit ihm Svenja Huck. Die Studentin arbeitet als freie Journalist­in und Übersetzer­in unter anderem für das »nd« und berichtet aus Ankara über den Prozess. Auf dem Foto ist Max Zirngast nach seiner Freilassun­g aus dem Gefängnis Sincan in Ankara am Heiligaben­d 2018 zu sehen.
Foto: AFP/Adem Altan Der österreich­ische Journalist und sozialisti­sche Aktivist Max Zirngast (Mitte) darf die Türkei nicht verlassen. Ihm wird die Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g vorgeworfe­n. Über seinen Prozess, seine Ängste und Hoffnungen sprach mit ihm Svenja Huck. Die Studentin arbeitet als freie Journalist­in und Übersetzer­in unter anderem für das »nd« und berichtet aus Ankara über den Prozess. Auf dem Foto ist Max Zirngast nach seiner Freilassun­g aus dem Gefängnis Sincan in Ankara am Heiligaben­d 2018 zu sehen.

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