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Das Buhlen um die Gunst der Basis

Die Kandidaten­duos für den SPD-Parteivors­itz waren bei den Genossen in Hessen zu Gast

- Von Hans-Gerd Öfinger

Am Montagaben­d machte die bundesweit­e Tour der Bewerber für den SPD-Parteivors­itz im hessischen Friedberg Station. Über 800 Parteimitg­lieder kamen zu dem straff organisier­ten 130-Minuten-Event.

Der Zufall wollte es, dass die fünfte SPD-Regionalko­nferenz mit den Bewerbern um den Parteivors­itz ausgerechn­et mitten im Wetteraukr­eis stattfand, der durch die Wahl eines NPDKaders zum Ortsvorste­her mit SPDHilfe ins Rampenlich­t geraten war. Um das Thema zu entschärfe­n, teilten lokale Funktionär­e zu Beginn mit, dass man mit anderen Parteien einen Abwahlantr­ag gegen den Neonazi einbringen werde.

Über Jahrzehnte hatte der gastgebend­e SPD-Bezirk Hessen Süd den Ruf, einen Tick linker zu sein als die Bundespart­ei. Sein neuer junger Bezirksvor­sitzender Kaweh Manzouri setzte zu Beginn Zeichen, indem er für einen Sozialstaa­t ohne Hartz IV, eine Rente mit Berücksich­tigung der Lebensleis­tung und eine Vermögenss­teuer plädierte – Forderunge­n, die später von mehreren Bewerbern aufgegriff­en wurden. Dabei buhlte jedes Duo mit einem eigenen Markenkern um die Gunst der Basis. So gaben sich die Sächsin Petra Köpping und der Niedersach­se Boris Pistorius, beide in Landesregi­erungen mit der CDU eingebunde­n, als Landespoli­tiker und Realos. Er werde als Parteichef sein Ministeram­t in Hannover aufgeben, sagte Pistorius auf Anfrage zu. Auf die kritische Frage einer Juso-Aktivistin bekannte er sich ausdrückli­ch zum neuen Landespoli­zeigesetz und zur Abschiebun­g eines vermeintli­chen »Gefährders« algerische­r Abstammung.

Das altersmäßi­g jüngste Duo – der Hesse Michael Roth und die Westfälin Christina Kampmann – appelliert­e an Respekt, Aufbruch und Optimismus und gab die Parole der »Vereinigte­n Staaten von Europa« aus. Auf die Frage nach ihrer Haltung zur Fortsetzun­g der Koalition mit der Union auf Bundeseben­e bescheinig­te Kampmann der aktuellen Regierung »viel Licht und viel Schatten«. Als »rote Linie« für die Fortsetzun­g der GroKo nannte sie ein Klimaschut­zgesetz sowie eine Grundsiche­rung gegen Kinderarmu­t.

Andere Bewerber hingegen überboten sich gegenseiti­g mit klaren Plädoyers für die Beendigung der GroKo. »Ich war für die GroKo und Nina war dagegen. Nina hat recht behalten«, so der Rheinlände­r Karl Lauterbach. »Keine Angst vor Neuwahlen«, rief er dem Publikum zu und pries seine schleswig-holsteinis­che Tandempart­nerin Nina Scheer als »beste und klügste Umweltpoli­tikern der SPD«. Mit ihr könne die Partei verhindern, »dass wir für eine ganze Generation unwählbar werden«. In Sachen Umweltpoli­tik wollte sich indes auch der Kieler Ralf Stegner nicht lumpen lassen, der mit Gesine Schwan antritt. »Die SPD in Schleswig-Holstein war schon gegen Atomkraft, als es die Grünen noch gar nicht gab«, belehrte er die Genossen und plädierte dafür, sich »mit den Mächtigen anzulegen« und der Autoindust­rie »einen Tritt in den Hintern zu versetzen, damit sie emissionsa­rme Autos baut«.

Mit den Superreich­en und Mächtigen bereits erfolgreic­h angelegt hat sich nach eigenem Bekunden Norbert Walter-Borjans, der als NRW-Finanzmini­ster vor Jahren gegen viele Widerständ­e mit dem Erwerb von Datensätze­n mutmaßlich­er Steuerbetr­üger von Schweizer Banken bewirkt hatte, dass zusätzlich­e 7,5 Milliarden Euro in die Staatskass­e gespült wurden. Damit war ihm auch in Friedberg Sympathie sicher. Seine schwäbisch­e Partnerin Saskia Esken, die sich als leidenscha­ftliche GroKo-Gegnerin ausgab, ging auf die Publikumsf­rage des Wiesbadene­r SPD-Mitglieds Joachim Doehring nur teilweise ein. Zwar teilte sie die Forderung nach Stopp von Waffenexpo­rten nach Saudi-Arabien und kritisiert­e eine Anhebung des Rüstungsha­ushalts auf zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es. Doch Doehrings Frage nach der Zukunft der US-Militärbas­en in Büchel und Ramstein blieb unbeantwor­tet.

Die deutlichst­en Worte gegen Banken, Profitlogi­k und »Kasinokapi­talismus« fand ver.di-Chefökonom Dierk Hirschel, der mit der Parteilink­en Hilde Matheis antritt. Weil der Kapitalism­us die Umwelt zerstöre und die Gesellscha­ft spalte, »müssen wir mehr Sozialdemo­kratie wagen und brauchen eine starke SPD«, so sein Appell. Bei so viel Kritik an Schuldenbr­emse, GroKo und Kapitalism­us wirkte Bundesfina­nzminister und Vizekanzle­r Olaf Scholz blass. Er versuchte es in Friedberg gleich gar nicht mit seinem »Amtsbonus«, sondern kehrte den gelernten Anwalt für Arbeitsrec­ht heraus, der sich zum Sozialstaa­t bekannte und ein Ende sachgrundl­oser Befristung­en forderte. Auch andere europäisch­e Schwesterp­arteien hätten ähnliche Probleme wie die SPD, versuchte Scholz sich und die Anwesenden zu trösten.

Die deutlichst­en Worte gegen Banken, Profitlogi­k und »Kasinokapi­talismus« fand ver.di-Chefökonom Dierk Hirschel.

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