Das Buhlen um die Gunst der Basis
Die Kandidatenduos für den SPD-Parteivorsitz waren bei den Genossen in Hessen zu Gast
Am Montagabend machte die bundesweite Tour der Bewerber für den SPD-Parteivorsitz im hessischen Friedberg Station. Über 800 Parteimitglieder kamen zu dem straff organisierten 130-Minuten-Event.
Der Zufall wollte es, dass die fünfte SPD-Regionalkonferenz mit den Bewerbern um den Parteivorsitz ausgerechnet mitten im Wetteraukreis stattfand, der durch die Wahl eines NPDKaders zum Ortsvorsteher mit SPDHilfe ins Rampenlicht geraten war. Um das Thema zu entschärfen, teilten lokale Funktionäre zu Beginn mit, dass man mit anderen Parteien einen Abwahlantrag gegen den Neonazi einbringen werde.
Über Jahrzehnte hatte der gastgebende SPD-Bezirk Hessen Süd den Ruf, einen Tick linker zu sein als die Bundespartei. Sein neuer junger Bezirksvorsitzender Kaweh Manzouri setzte zu Beginn Zeichen, indem er für einen Sozialstaat ohne Hartz IV, eine Rente mit Berücksichtigung der Lebensleistung und eine Vermögenssteuer plädierte – Forderungen, die später von mehreren Bewerbern aufgegriffen wurden. Dabei buhlte jedes Duo mit einem eigenen Markenkern um die Gunst der Basis. So gaben sich die Sächsin Petra Köpping und der Niedersachse Boris Pistorius, beide in Landesregierungen mit der CDU eingebunden, als Landespolitiker und Realos. Er werde als Parteichef sein Ministeramt in Hannover aufgeben, sagte Pistorius auf Anfrage zu. Auf die kritische Frage einer Juso-Aktivistin bekannte er sich ausdrücklich zum neuen Landespolizeigesetz und zur Abschiebung eines vermeintlichen »Gefährders« algerischer Abstammung.
Das altersmäßig jüngste Duo – der Hesse Michael Roth und die Westfälin Christina Kampmann – appellierte an Respekt, Aufbruch und Optimismus und gab die Parole der »Vereinigten Staaten von Europa« aus. Auf die Frage nach ihrer Haltung zur Fortsetzung der Koalition mit der Union auf Bundesebene bescheinigte Kampmann der aktuellen Regierung »viel Licht und viel Schatten«. Als »rote Linie« für die Fortsetzung der GroKo nannte sie ein Klimaschutzgesetz sowie eine Grundsicherung gegen Kinderarmut.
Andere Bewerber hingegen überboten sich gegenseitig mit klaren Plädoyers für die Beendigung der GroKo. »Ich war für die GroKo und Nina war dagegen. Nina hat recht behalten«, so der Rheinländer Karl Lauterbach. »Keine Angst vor Neuwahlen«, rief er dem Publikum zu und pries seine schleswig-holsteinische Tandempartnerin Nina Scheer als »beste und klügste Umweltpolitikern der SPD«. Mit ihr könne die Partei verhindern, »dass wir für eine ganze Generation unwählbar werden«. In Sachen Umweltpolitik wollte sich indes auch der Kieler Ralf Stegner nicht lumpen lassen, der mit Gesine Schwan antritt. »Die SPD in Schleswig-Holstein war schon gegen Atomkraft, als es die Grünen noch gar nicht gab«, belehrte er die Genossen und plädierte dafür, sich »mit den Mächtigen anzulegen« und der Autoindustrie »einen Tritt in den Hintern zu versetzen, damit sie emissionsarme Autos baut«.
Mit den Superreichen und Mächtigen bereits erfolgreich angelegt hat sich nach eigenem Bekunden Norbert Walter-Borjans, der als NRW-Finanzminister vor Jahren gegen viele Widerstände mit dem Erwerb von Datensätzen mutmaßlicher Steuerbetrüger von Schweizer Banken bewirkt hatte, dass zusätzliche 7,5 Milliarden Euro in die Staatskasse gespült wurden. Damit war ihm auch in Friedberg Sympathie sicher. Seine schwäbische Partnerin Saskia Esken, die sich als leidenschaftliche GroKo-Gegnerin ausgab, ging auf die Publikumsfrage des Wiesbadener SPD-Mitglieds Joachim Doehring nur teilweise ein. Zwar teilte sie die Forderung nach Stopp von Waffenexporten nach Saudi-Arabien und kritisierte eine Anhebung des Rüstungshaushalts auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Doch Doehrings Frage nach der Zukunft der US-Militärbasen in Büchel und Ramstein blieb unbeantwortet.
Die deutlichsten Worte gegen Banken, Profitlogik und »Kasinokapitalismus« fand ver.di-Chefökonom Dierk Hirschel, der mit der Parteilinken Hilde Matheis antritt. Weil der Kapitalismus die Umwelt zerstöre und die Gesellschaft spalte, »müssen wir mehr Sozialdemokratie wagen und brauchen eine starke SPD«, so sein Appell. Bei so viel Kritik an Schuldenbremse, GroKo und Kapitalismus wirkte Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz blass. Er versuchte es in Friedberg gleich gar nicht mit seinem »Amtsbonus«, sondern kehrte den gelernten Anwalt für Arbeitsrecht heraus, der sich zum Sozialstaat bekannte und ein Ende sachgrundloser Befristungen forderte. Auch andere europäische Schwesterparteien hätten ähnliche Probleme wie die SPD, versuchte Scholz sich und die Anwesenden zu trösten.
Die deutlichsten Worte gegen Banken, Profitlogik und »Kasinokapitalismus« fand ver.di-Chefökonom Dierk Hirschel.