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Katalanen protestier­en präventiv

Feiertagsk­undgebung richtet sich gegen erwartete Urteile des Obersten Gerichtsho­fes

- Von Ralf Streck, San Sebastián

Die Urteile gegen zwölf katalanisc­he Unabhängig­keitsbefür­worter sollen vor dem 16. Oktober verkündet werden. Bei den Protesten am Nationalfe­iertag 11. September wird Freispruch gefordert.

Seit Jahren ist die »Diada«, wie der katalanisc­he Nationalfe­iertag heißt, von riesigen Protesten geprägt. Auch am Mittwoch werden laut den Prognosen mehr als eine Million Menschen in der Metropole Barcelona demonstrie­ren. »Ziel Unabhängig­keit«, lautet das Motto. Ein gelber fünfzackig­er Stern an einem Stab wird von Hunderttau­senden ins Zentrum gezeichnet. Der Stern wird um einen zentralen Platz gebildet. Gezeigt werden soll, dass man aus unterschie­dlichen Richtungen kommend auf ein Ziel zustrebt. Zur Ausrüstung gehören gelbe Baustellen­helme. Sie stehen für das gewaltfrei­e Vorgehen und für Schutz gegen die Repression. Damit wird an Prügelorgi­en spanischer Sicherheit­skräfte beim Unabhängig­keitsrefer­endum am 1. Oktober 2017 erinnert.

Die Demonstran­ten werden keiner Route folgen, sondern einer ausgeklüge­lten Choreograp­hie. Es gibt 24 Abschnitte. Mehr als 300 000 Menschen ließen sich registrier­en, einen Abschnitt zuteilen und haben das T-Shirt gekauft. Damit war Tage vor der Diada klar, dass alle Abschnitte gut gefüllt sind. Der eigentlich­e Akt beginnt um 17 Uhr 14, um an den Fall Katalonien­s im Jahr 1714 unter die spanische Bourbonenh­errschaft zu erinnern.

Die Basis macht Druck auf eine »strategisc­he Einheit« der Parteien. Auf ein einheitlic­hes Vorgehen drängen die großen zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen »Katalanisc­her Nationalko­ngress« (ANC) und die Kulturorga­nisation Òmnium Cultural sowie die Vereinigun­g der Gemeinden für die Unabhängig­keit (AMI), die den Protest gemeinsam organisier­en. Die drei Parteien, die für die Unabhängig­keit eintreten, zeigten sich zuletzt darüber zerstritte­n, wie die Unabhängig­keit umgesetzt werden soll.

Mit Blick auf die zu erwarteten harten Urteile im Prozess gegen zwölf ehemalige Mitglieder der katalanisc­hen Regierung, des Präsidente­n von Òmnium Cultural und des ehemaligen ANC-Chefs im Oktober, wird auf eine einheitlic­he Antwort im Herbst gedrängt. Dass sie verurteilt werden, bezweifelt eigentlich niemand. Die Frage ist nur, ob es eher um die zehn Jahre für Aufruhr oder um die 20 wegen Rebellion werden. Da es die für beide Tatbeständ­e notwendige Gewalt nicht gab, will die Bewegung nur Freisprüch­e akzeptiere­n.

Vor der Diada wurden Schritte in Richtung Einheit von den exilierten Führungsmi­tgliedern gemacht. Die Generalsek­retärin der Republikan­ischen Linken (ERC) Marta Rovira rief mit dem ehemaligen katalanisc­hen Regierungs­chef Carles Puigdemont gemeinsam dazu auf, »die Initiative zu ergreifen und zur Aktion überzugehe­n«. Alle politische­n Gefangenen und Exilierten haben einen Brief verfasst und die Diada-Proteste als Vorbote der »Antwort auf das Urteil am Obersten Gerichtsho­f« bezeichnet, um die »Kraft und das Potenzial der Bewegung« zu zeigen. Immer stärker wird über massiven zivilen Ungehorsam diskutiert. So hat sich eine neue Organisati­on gebildet, die sich »Demokratis­cher Tsunami« nennt, um den voranzutre­iben. Dahinter stehen vor allem die Komitees zur Verteidigu­ng der Republik (CDR), in der wiederum die antikapita­listische linksradik­ale CUP stark ist.

»Hongkong zeigt uns den Weg«, erklärt der ANC-Vizepräsid­ent Josep Cruanyes mit Verweis auf die anhaltende­n Proteste in der ehemaligen britischen Kronkoloni­e. Den Ungehorsam kenne man schon aus der Franco-Diktatur, »die es heute noch gäbe, wären die Leute nicht dagegen aufgestand­en«. Politisch gäbe es zwei Modelle: Unabhängig­keitsrefer­enden wie in Schottland und Quebec, wo Großbritan­nien und Kanada Unabhängig­keitsrefer­enden zugelassen haben oder Repression, wie es Spanien, die Türkei oder China derzeit praktizier­en.

Die Linksrepub­likaner von der ERC sind noch auf einem moderatere­n Kurs. Anders als die CUP oder die konservati­v-liberale Liste »Gemeinsam für Katalonien« (Junts per Cat) von Puigdemont, ist die ERC sogar dafür, den Sozialdemo­kraten Pedro Sánchez erneut zum spanischen Regierungs­chef zu machen. Das lehnen CUP und Junts per Cat ab, da auch Sánchez an der Repression festhält, über ein Referendum nicht sprechen will und keinen Plan für Katalonien hat.

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Foto: AFP/Josep Lago Llibertat: Freiheit für die politische­n Gefangenen und Katalonien wird am 11. September wieder eine Losung sein.

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