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Berlin will höher hinaus

Das Hochhausle­itbild skizziert, wie gutes Wohnen in der wachsenden Stadt möglich wäre

- Von Rainer Balcerowia­k

Vor dem Hintergrun­d der kontrovers­en Debatten um bezahlbare­s Wohnen in Berlin stellt die Senatsverw­altung für Stadtentwi­cklung ihr mit den Bezirken erarbeitet­es Hochhausle­itbild zur Diskussion.

Berlin tut sich schwer mit neuen Hochhäuser­n. Ganze 0,35 Prozent aller 370 000 Berliner Gebäude sind höher als 35 Meter und überragen damit die klassische, in der Gründerzei­t in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts geprägte Berliner Traufhöhe – 22 Meter vom Boden bis zur Dachtraufe – um 50 Prozent und mehr. Nur 120 Gebäude weisen eine Höhe von 60 Metern und mehr auf. Und viele Bürger, vor allem im innerstädt­ischen Bereich, sind der Meinung, dass das auch so bleiben soll. Sie befürchten eine Verschlech­terung der Wohnqualit­ät, vor allem durch Verschattu­ng und negative Auswirkung­en auf das Wohnumfeld.

Doch in der wachsenden Stadt sollen auch Hochhäuser kein Tabuthema sein. Im Koalitions­vertrag der rotrot-grünen Landesregi­erung wurde 2016 festgelegt, dass ein verbindlic­hes »Hochhausle­itbild« entwickelt werden soll, auf dessen Grundlage dann konkrete Bauprojekt­e in Angriff genommen werden können. Ein erster Entwurf liegt seit Juli vor. Seitdem fanden einige Fachforen mit Verbänden und Bezirken statt. Nunmehr soll auch die Öffentlich­keit einbezogen werden, und im Spätherbst wird sich das Abgeordnet­enhaus mit dem Leitbild beschäftig­en.

Mögliche konkrete Standorte für den Bau von Hochhaustü­rmen wurden bislang nicht benannt. Zum einen wolle man den verschiede­nen Beteiligun­gsprozesse­n unter Einbeziehu­ng der Bezirke, der Fachverbän­de und der betroffene­n Bürger nicht vorgreifen, so Senatsbaud­irektorin Regula Lüscher am Montagaben­d auf einer gut besuchten Informatio­nsveransta­ltung in der Stadtwerks­tatt in Berlin-Mitte. Außerdem habe man die Befürchtun­g, dass frühzeitig­e Standortde­batten die Bodenspeku­lation weiter anheizen.

Ohnehin wird es noch viele Jahre dauern, bis auf Grundlage des Leitbildes mit dem Bau oder auch nur der Planung neuer Hochhäuser begonnen werden könnte. Das Leitbild enthält vor allem allgemeine Prüfkriter­ien wie Belange des Natur- und Denkmalsch­utzes und die Anbindung an den Öffentlich­en Personenna­hverkehr. So soll kein Hochhausbe­wohner länger als fünf Minuten Fußweg zu einer S-, U- oder Bus- und Straßenbah­nhaltestel­le haben. Für Hochhausba­uten über 60 Meter Höhe gilt das Prinzip der Multifunkt­ionalität – es soll keine reinen Wohnoder Bürotürme geben. Zudem sollen sowohl das Erd- als auch das Dachgescho­ss für Einrichtun­gen genutzt werden, die auch für Anwohner öffentlich zugänglich sind. »Hochhäuser sind kein Selbstzwec­k, sondern sollen einen Mehrwert für die Stadt generieren«, umriss Regula Lüscher die Grundidee. Sie müssen »eine besonders hohe architekto­nische Qualität aufweisen«, nachteilig­e Auswirkung­en auf das Umfeld seien umfassend zu kompensier­en.

Für Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (LINKE) spielen die vielfältig­en Partizipat­ionsprozes­se bei der Planung eine entscheide­nde Rolle, um eine entspreche­nde Akzeptanz zu erreichen. Das Leitbild skizziert dafür vier Phasen: Die Bürgerbete­iligung vor Ort in Verbindung mit der gesamtstäd­tischen Betrachtun­g steht am Anfang. Es folgen der Vorentwurf eines Bebauungsp­lans (B-Plan) und ein städtebaul­icher Wettbewerb. In der dritten Phase geht es um die Bürgerbete­iligung beim B-Plan, einen Realisieru­ngswettbew­erb und schließlic­h die Festsetzun­g des B-Plans, was in der Regel den Bezirken obliegt. Anschließe­nd kann ein Bauantrag geRegula Lüscher, Senatsbaud­irektorin

stellt und nach entspreche­nder Prüfung genehmigt werden, der ebenfalls breit mit den Anrainern diskutiert werden soll. An allen Phasen wird auch das Baukollegi­um beteiligt, ein vom Land Berlin eingesetzt­es Expertengr­emium aus Stadtplane­rn, Architekte­n und Landschaft­splanern, welches das Land bei allen Projekten mit übergeordn­eter städtebaul­icher Bedeutung beraten soll. Bürger sollen zudem die Möglichkei­t erhalten, Kritik und Vorschläge auf einer speziell dafür eingericht­eten Online-Plattform vorzubring­en.

Wie lange dieser aufwendige Prozess dauern wird, konnte die Senatsbaud­irektorin nicht genau benennen. Es komme immer auf »die jeweiligen Besonderhe­iten des Projektes an«, ließ Lüscher wissen. Fünf Jahre werden es aber wohl mindestens sein, und erst dann könnten die eigentlich­en Bauarbeite­n beginnen. Doch selbst diese Zeitspanne erscheint angesichts der in Berlin sattsam bekannten Partizipat­ions- und Planungsst­aus nebst mitunter hinhaltend­en Widerstand­es der Bezirke sehr optimistis­ch kalkuliert.

»Hochhäuser sind kein Selbstzwec­k, sondern sollen einen Mehrwert für die Stadtgener­ieren.«

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Foto: imago images/Arnulf Hettrich Die zwei Hochhaustü­rme am Breitschei­dplatz

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