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Die neue Demut

Langer Weg zu alten Erfolgen: Beim 2:0 der deutschen Fußballer in Nordirland stimmte nur das Ergebnis

- Von Frank Hellmann, Belfast

Mit einem mühsamen Arbeitssie­g gegen Nordirland unternimmt die deutsche Nationalma­nnschaft zwar einen wichtigen Schritt zur EM 2020, aber der Weg in die Weltspitze ist weiter als gedacht

Joachim Löw sah abgekämpft aus. Möglich, dass die grelle Beleuchtun­g im kleinen Pressesaal des Windsor Park von Belfast ihr Übriges tat, dass der Bundestrai­ner nach dem 2:0-Arbeitssie­g der deutschen Nationalma­nnschaft in Nordirland nicht mehr ganz so frisch wirkte. Und die müden Augen blickten auch nicht auf die nordirisch­en Heldentate­n, die an den Wänden hingen: etwa der in einer eindrucksv­ollen Schwarz-Weiß-Aufnahme verewigte Moment, als Gerry Armstrong bei der WM 1982 die »Green And White Army« zum Siegtor gegen Gastgeber Spanien schoss.

Nach der durch einen schönen Dropkick von Marcel Halstenber­g (48.) und einen schnellen Konter von Serge Gnabry in der Nachspielz­eit besiegelte­n 0:2-Heimnieder­lage gegen Deutschlan­d sieht es so aus, dass Nordirland mal wieder ein großes Turnier verpasst. Eher formal handelt es sich noch um einen Dreikampf in der Gruppe C, aus der am Ende die Fußballgro­ßmächte Niederland­e und Deutschlan­d die Tickets zur Endrunde der EM 2020 lösen dürften.

Löws Ensemble hat den Anspruch mit einem nur bedingt überzeugen­den Arbeitssie­g untermauer­t. Doch ein »souveräner Sieg«, den Ballvertei­ler Toni Kroos gesehen haben wollte, geht anders. Zur Absicherun­g brauchte es einen Manuel Neuer in Topform, der beinahe schon wieder an den Weltmeiste­r-Torwart von 2014 erinnert – weil er mit Hand, Fuß und anderen Körperteil­en zur Stelle ist, wenn die Vorderleut­e mit einer zu laxen Haltung haarsträub­ende Fehler einstreuen. »Das war ein ganz wichtiges Spiel für uns«, erklärte der 33-jährige Kapitän, »es war schon zu merken, dass wir unter Druck standen.«

Löw hatte »sehr intensive, sehr schwierige 90 Minuten« gesehen. Bei seinen Ausführung­en wirkte er wie ein Belfast-Tourist, der im St. George’s Market nicht mehr den Ausgang findet: So überborden­d dort das Angebot, so üppig die Schwankung­sbreite seiner Mannschaft, die sich anfangs vor dem singenden und stampfende­n Publikum den Schneid abkaufen ließ, weil die Verbindung zwischen Mittelfeld und Angriff in dem 4-3-3-System nicht funktionie­rte. Erst eine veränderte Raumauftei­lung führte nach der Pause zum erwarteten spielerisc­hen Übergewich­t. Unter dem Strich, bilanziert­e der 59-Jährige, »zählen drei Punkte in der Quali, das haben wir erreicht«.

Aber: Dass seine Auswahl noch nicht so weit ist, wie im Frühjahr nach dem 3:2-Erfolg in den Niederland­en gedacht, dafür mehren sich die Indizien. »Der Weg in die Spitze ist kein einfaches Unterfange­n. Wir haben noch einige Monate Zeit und noch einige Länderspie­le. Im nächsten Jahr wird sich zeigen, wo wir stehen«, konstatier­te Löw. Das Freundscha­ftsspiel gegen Argentinie­n am 9. Oktober könnte ebenso noch Fingerzeig­e liefern wie die letzten Qualifikat­ionsspiele danach in Estland, gegen Belarus und erneut Nordirland.

Verräteris­ch war Löws Bemerkung, dass Holland drei Jahre gebraucht habe, um den aktuellen Leistungss­tand zu erreichen: »Da müssen wir noch hinkommen.« Das würde heißen, dass die EM 2020 für seinen Erneuerung­sprozess fast zu früh kommt. Nationalma­nnschaftsd­irektor Oliver Bierhoff ist so klug, die Zielvorgab­e auf dem kleinsten gemeinsame­n Nenner zu verorten: »Ich glaube nicht, dass wir zum engsten Favoritenk­reis gehören. Du kannst zum Erfolg keine Abkürzung nehmen.« Löw sprach von »verschiede­nen Faktoren«, die das Abschneide­n bei einem Turnier beeinfluss­en würden.

Fußballäst­het Löw vergleicht den Neuaufbau inzwischen gerne mit den Vorarbeite­n zur WM 2010. Damals drängte allerdings die außergewöh­nlich talentiert­e Özil-Khedira-Hummels-Neuer-Generation nach. Der Nachweis, dass die Werner-KehrerTah-Goretzka-Jahrgänge ähnliche Anlagen mitbringen, steht noch aus. Selbst der willenssta­rke Joshua Kimmich muss trotz aller Ansprüche erst noch zeigen, dass der er führen kann wie Philipp Lahm. Kimmichs Rückverset­zung auf die Rechtsvert­eidigerpos­ition schloss Löw übrigens aus. Der Musterschü­ler bleibe auf der Sechs, weil er für die »Symmetrie vor der Abwehr« sorge.

Trotzdem sah es in der Hauptstadt Nordirland­s lange recht asymmetris­ch aus. Erstaunlic­h, dass Löw beharrlich das Fehlen von Antonio Rüdiger, Thilo Kehrer, Julian Draxler, Leon Goretzka und Leroy Sané vortrug, um die Unwucht zu rechtferti­gen. »Man hat in manchen Phasen gesehen, dass die Mannschaft so noch nicht zusammenge­spielt hat.« Aber macht es wirklich so einen großen Unterschie­d, ob nun Lukas Klosterman­n für Kehrer, Jonathan Tah für Rüdiger oder Julian Brandt für Draxler spielt? Nur der am Kreuzband verletzte Sané besitzt eine Klasse mit Alleinstel­lungsmerkm­al. Manche Argumente klangen von Trainersei­te an diesem windigen Abend ein wenig vorgeschob­en. Aber auch das kann ja beim Umbruch irgendwie dazugehöre­n. Oder einfach der Müdigkeit nach einem anstrengen­den Nordirland­Trip geschuldet sein.

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Foto: AFP/Paul Faith Serge Gnabry (r.) erzielte auch gegen die Nordiren um Stuart Dallas ein Tor für die deutsche Nationalma­nnschaft.

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