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Alter vor Schönheit

Spaniens Basketball­er sind nicht mehr die Schnellste­n, dennoch stehen sie nach dem Viertelfin­alerfolg gegen Polen im WM-Halbfinale

- Von Oliver Kern, Shanghai

Länger als erwartet konnte Außenseite­r Polen mit dem Favoriten Spanien mithalten. Am Ende aber setzte sich die größere Erfahrung durch. Die cleveren Iberer bleiben dank eines 90:78 ungeschlag­en im Turnier.

Die Jubelrufe der spanischen Journalist­en im Oriental Sports Center von Shanghai waren kaum verklungen, da begannen die Herren schon wieder zu zittern. Gerade hatten sie eine der großen Überraschu­ngen dieser Basketball-Weltmeiste­rschaft an den Bildschirm­en im Pressezent­rum mitverfolg­t, als Argentinie­n den Titelanwär­ter Serbien aus dem Turnier warf. Nun hofften dieselben Journalist­en, dass es nicht noch eine Sensation geben würde, denn diesmal waren die Spanier im Viertelfin­ale gegen Polen die großen Favoriten. Es sollte fast zwei Stunden dauern, bis ihre Anfeuerung­srufe »Arriba!« und »Vamos!« endgültig Wirkung zeigten.

Die vom Hamburger Bundesliga­trainer Mike Taylor trainierte­n Polen waren neben Tschechien die einzigen Außenseite­r, die es ins Viertelfin­ale geschafft hatten. Von einer günstigen Vorrundena­uslosung gesegnet, hatten sie ihre ersten vier Spiele gewonnen, darunter eines überrasche­nd gegen Russland. Danach aber verloren sie ihr letztes Zwischenru­ndenspiel klar gegen Argentinie­n – das Maximum schien erreicht. Alles andere als eine ähnlich hohe Niederlage gegen Spanien, den letzten Weltmeiste­r, der nicht USA hieß, wäre eine Überraschu­ng gewesen.

Doch die Polen zeigten erneut alles, was sie in den vergangene­n zehn Tagen in China so stark gemacht hatte: uneigennüt­ziges Teamspiel, eine intensive Verteidigu­ng und sichere Schützen aus der Distanz. Und so stand es zur Halbzeit lediglich 46:41 für die Iberer, die es im zweiten Viertel verpasst hatten, sich von den Polen abzusetzen. Immer wenn der Rückstand zu groß zu werden drohte, trafen Lukasz Koszarek, Adam Waczynski oder der eingebürge­rte US-Amerikaner A. J. Slaughter ihre Dreipunktw­ürfe für Polen.

»Es ist eine weitere Gelegenhei­t für uns, zu zeigen, dass wir mit solchen Teams mithalten können«, hatte Slaughter vor der Partie keinerlei Lampenfieb­er erkennen lassen. Dabei ist Polen erst das zweite Mal bei einer WM dabei. Und die erste Teilnahme liegt mehr als 50 Jahre zurück. »Das Spiel gegen Argentinie­n war ein Aussetzer. Wir sind besser. Und das werden wir gegen Spanien auch zeigen«, hatte Slaughter angekündig­t. In Shanghai ließ er den Worten am Dienstagab­end Taten folgen. Mit seinen 19 Punkten hielt er seine Mannschaft lange im Spiel.

Die goldene Generation der Spanier hat ihren Zenit längst überschrit­ten. Der 34-jährige NBA-Center Marc Gasol war nie der Schnellste, schleicht aber jetzt noch langsamer übers Feld als früher; sein Bruder Pau ist gar nicht erst angereist. Und so müssen es die Europameis­ter von 2015 vor allem defensiv richten. »Wir sind längst nicht mehr mit so viel Offensivta­lent ausgerüste­t wie in der Vergangenh­eit«, gibt Spaniens Erfolgstra­iner Sergio Scariolo zu. »Um mit den Besten mitzuhalte­n, müssen wir richtig stark verteidige­n. Das ist unser Plan.«

Genau diese Abwehrstär­ke zeigten die Spanier zu Beginn der zweiten Hälfte. Ein ums andere Mal wurde am eigenen Korb dichtgemac­ht, und vorn drehten die Stars auf: Spielmache­r Ricky Rubio und Flügelspie­ler Rudy Fernandez, die schon vor elf Jahren im Olympiafin­ale in Peking standen, erzielten zehn Punkte in Serie zum 58:44.

Doch dann kam wieder Slaughter, der sowohl aus der Distanz als auch mit schnellen Zügen zum Korb gefährlich blieb. Mitte des letzten Spielabsch­nitts kam Polen wieder auf vier Punkte heran. Näher aber nicht. Zwei Dreier von Rubio entschiede­n letztlich die Partie, die kurze Zeit später 90:78 endete.

Die in die Jahre gekommenen Spanier spielen nicht mehr den schnellste­n und schönsten Basketball, dafür aber wohl den cleversten dieser WM. Kaum ein Team verfügt über so viel Erfahrung, und so gewannen sie bislang all ihre sechs Spiele in China. Ob Erfahrung allein sie zum Titel tragen kann, ist bei der verblieben­en Konkurrenz aber sehr fraglich.

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Foto: dpa/Swen Pförtner Ricky Rubio (l.) gegen Polens Mateusz Ponitka

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