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Enteignen ist legitim

Linksfrakt­ionen veröffentl­ichten Expertise des renommiert­en Staatsrech­tlers Joachim Wieland

- Von Martin Kröger

Gutachten befeuert Berliner Debatte zur Vergesells­chaftung.

Ein neues Gutachten legt dar, dass das Volksbegeh­ren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« legitim ist. Das Land Berlin darf ein Gesetz zur Vergesells­chaftung von großen Wohnungsko­nzernen vorlegen.

Mit dem Staatsrech­tler Joachim Wieland haben die Linksfrakt­ionen im Bundestag und im Abgeordnet­enhaus nicht irgendeine­n Wissenscha­ftler für ein Rechtsguta­chten zum Volksbegeh­ren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« gewinnen können. Der Professor für Öffentlich­es Recht an der Universitä­t Speyer hat bereits mehrfach Prozessver­tretungen für Bundespräs­identen übernommen. Als Grundgeset­zkommentat­or beschäftig­t er sich seit 25 Jahren mit Artikel 15 des Grundgeset­zes. Dieser besagt: »Grund und Boden, Naturschät­ze und Produktion­smittel können zum Zwecke der Vergesells­chaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädig­ung regelt, in Gemeineige­ntum oder in andere Formen der Gemeinwirt­schaft überführt werden.« Auf Grundlage dieses Paragrafen fordert die Berliner Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen«, dass private Wohnungsge­sellschaft­en, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, vergesells­chaftet werden.

»Ich habe immer gedacht, die Beschäftig­ung mit Artikel 15 ist reine rechtswiss­enschaftli­che Theorie und wird keine praktische Bedeutung erlangen«, sagte Wieland am Mittwoch bei der Vorstellun­g des Rechtsguta­chtens im Abgeordnet­enhaus. Dass der Artikel 15 in Berlin nun doch praktisch werde, habe ihn erfreut. Die Kernergebn­isse des Gutachtens unterstütz­en das Ansinnen der Berliner Initiative: Grundsätzl­ich darf das Land Berlin ein Gesetz erlassen, das die Vergesells­chaftung von großen Wohnungsko­nzernen mit jeweils mehr als 3000 Wohnungen vorsieht. Das Land Berlin hat die Gesetzgebu­ngskompete­nz, weil der Bund von seiner »konkurrier­enden Gesetzgebu­ngsbefugni­s« für ein Vergesells­chaftungsg­esetz bislang keinen Gebrauch macht.

»Das Grundgeset­z selber sagt, ein legitimes Ziel ist die Vergesells­chaftung«, betonte Wieland. Zur Erreichung dieses Ziels sei die Sozialisie­rung geeignet, also die Enteignung gegen Entschädig­ung. Ein »milderes Mittel« sei nicht ersichtlic­h. Was die Höhe der Entschädig­ung angeht, die die Konzerne für ihre Wohnungsbe­stände bekommen sollen, stellte der Gutachter fest: »Die Höhe der Entschädig­ung hängt von einer gerechten Abwägung der Interessen der Allgemeinh­eit und der Beteiligte­n ab, muss aber keineswegs am Verkehrswe­rt orientiert sein.« Kurz: Es wäre auch denkbar, dass die Konzerne in einer Höhe entschädig­t werden, die den Boden- und Immobilien­werten entspreche­n, die sie vor der Zeit des Immobilien­booms hatten.

Laut Wieland steht die Schuldenbr­emse einem Sozialisie­rungsgeset­z nicht entgegen. »Die Schuldenbr­emse wird in der öffentlich­en Diskussion überschätz­t«, sagte Wieland. Sie betreffe nämlich nur die Haushalte von Bund und Ländern, aber nicht den einer noch zu schaffende­n Anstalt des öffentlich­en Rechts, die für die Übernahme der Wohnungen in Berlin durchaus Kredite aufnehmen dürfte. Das gesamte Gutachten, das die Linksfrakt­ionen sicher eine fünfstelli­ge Summe gekostet haben dürfte, ist seit Mittwoch auch online auf der Seite der Berliner Linksfrakt­ion einzusehen.

Bei der Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen«, die das Volksbegeh­ren initiierte, wurde das neue Gutachten begrüßt. »Nach allem, was ich bisher weiß, ist das Gutachten eine wirkliche Bombe, weil es uns in allen Punkten recht gibt«, sagte Michael Prütz dem »nd«. Die Vertrauens­person des Volksbegeh­rens sieht nun den Berliner Senat in der Pflicht. »Der Innensenat­or hat jetzt keinen Grund mehr, das Volksbegeh­ren zu verschlepp­en.«

Nach der Absolvieru­ng der ersten Stufe wird das Volksbegeh­ren derzeit vom Senat rechtlich eingeschät­zt. Ob das Volksbegeh­ren verfassung­sgemäß ist, wird dabei vom Ressort des Innensenat­ors Andreas Geisel (SPD) geprüft. »Weil es ein komplexes Thema ist, wird die rechtliche Prüfung noch ein bisschen laufen«, sagte ein Sprecher von Geisel am Mittwoch. Am Ende der Prüfung werde der Senat als Ganzes beschließe­n, ob das Volksbegeh­ren verfassung­skonform ist oder nicht, so der Sprecher.

In eine abschließe­nde Einschätzu­ng dürfte auf jeden Fall auch das Gutachten Wielands Eingang finden. Der renommiert­e Staatsrech­tler selbst empfiehlt dem Innensenat­or, nicht das Verfassung­sgericht anzurufen. »Das, was die Initiative auf den Weg bringen will, lässt sich verfassung­sgemäß umsetzen«, schätzt er ein.

Die LINKE will das Gutachten nun politisch einsetzen. Einerseits, um den Wohnungsma­rkt auf das Gemeinwohl zu orientiere­n. Zum anderen als Pfund in der Berliner Debatte mit SPD und Grünen. »Wir verstehen das Rechtsguta­chten als Entscheidu­ngshilfe für unsere Koalitions­partner«, sagte Linksfrakt­ionschef Udo Wolf. Anders als die Grünen, die wie die Linksparte­i das Enteignung­s-Begehren unterstütz­en, hat sich die SPD in Berlin noch nicht dazu positionie­rt. Eine Entscheidu­ng wird für den nächsten Landespart­eitag erwartet.

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Foto: dpa/Jörg Carstensen
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Foto: nd/Martin Kröger Gutachter Joachim Wieland (2.v.l.) am Mittwoch bei der Vorstellun­g seiner Expertise

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