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Stolz und Angst

Das nordböhmis­che Braunkohle­revier hält sich an Gewohntem fest. Doch das Ende der alten Zeit naht auch hier

- Von Harald Lachmann

Nordböhmen ohne Kohle? Für viele ist das eine Schreckens­vision.

In Nordböhmen wird seit 150 Jahren Braunkohle abgebaut. Der Bergbau schuf einen gewissen Wohlstand. Ein Kohleausst­ieg scheint auch heute nicht denkbar.

Schloss Jezeří (zu Deutsch: Eisenberg) hat schon bessere Zeiten erlebt. Zwar thront das Renaissanc­epalais noch immer eindrucksv­oll auf einem Felssporn, zu dem sich ein schmaler Waldweg bergauf schlängelt, doch im maroden Inneren nagt der Zahn der Zeit. Und öffnet Vladimír Buřt gar die Fensterlad­en gen Süden, verfliegt beim Besucher die letzte Illusion von einer Welt, wie man sie aus tschechisc­hen Märchenfil­men kennt. Es tut sich eher ein Blick wie auf Mordor auf, das Schwarze Land aus Tolkiens »Herr der Ringe«. In einer ausladende­n Kohlegrube, die unmittelba­r an den bewaldeten Schlossber­g grenzt, fressen sich Bagger tief ins Flöz. Am Horizont mischen sich die Schlote von Chemiefabr­iken mit den Kühltürmen eines Braunkohle­kraftwerke­s.

Vladimír Buřt hat selbst einige Jahre auf Jezeří gelebt. Der 55-Jährige kennt bestens seinen Reiz wie die Gefahren, die dem Schloss mit der nahen Kohleförde­rung drohen. Immerhin sollte es schon 1987 dem Bergbau weichen, was jedoch Aktivisten wie er verhindert­en. Und jetzt, da er Bürgermeis­ter des unterhalb des Schlosses liegenden Städtchens Horní Jiřetín (einst Ober-Georgentha­l) ist, glaubt Buřt, dass das Schloss »enorm zur Aufklärung beiträgt«, hier im nordböhmis­chen Bergbaurev­ier.

In der Tat besuchen viele Schulklass­en wie auch Ausflügler den fast 700-jährigen Feudalbau, wo sie dann auch sehr nachhaltig auf die Schäden gestoßen werden, die der seit 150 Jahren industriel­l betriebene Bergbau hier im Ústecký kraj, der Region Ústí nad Labem (einst Aussig), hinterließ. Nicht jeden mache dies jedoch wirklich nachdenkli­ch, ärgert sich Buřt ein wenig in seinen grau gewordenen Vollbart hinein. Als er um 1990 herum jene großen Demonstrat­ionen zwischen Ústí und Most (einst Brüx) mitorganis­ierte, die den Menschen ein Stück weit die Augen öffneten für die schweren Bergbausch­äden, seien das »damals starke Signale« für einen Übergang zu nichtfossi­len Ressourcen gewesen, erinnert er sich. Auch unter diesem Druck hatte 1991 die Prager Regierung verbindlic­he Gebietsgre­nzen für die Förderung von Braunkohle in Nordböhmen definiert. Ziel war es, die großflächi­ge Zerstörung der Landschaft zu stoppen und den Bewohnern eine langfristi­ge Perspektiv­e zu bieten.

Doch längst drehe sich »alles wieder rückwärts«, meint der Bürgermeis­ter sichtlich frustriert: »30 Jahre später ist das Thema noch immer nicht ausgestand­en.« Die Leute im Revier seien meist »viel zu apathisch, zu abwartend, um sich zu wehren«. Da müssten Lärm und Dreck der Kohlebagge­r sie »schon nachts aus dem Schlaf reißen, ehe sie reagieren …«.

Aktivisten wie Buřt oder der radikale Klimakämpf­er Petr Globočník, der für die Grünen im Stadtrat von Litvínov sitzt, erleben indes eine »fortwähren­de Kumpanei von Politik und Kohlewirts­chaft«. Sozialarbe­iter Globočník erinnert das an sozialisti­sche Zeiten: »Ich bin hier im gelben Nebel groß geworden, aber die Verantwort­lichen meinten damals nur, na toll, da könnt ihr doch prima Verstecken spielen …« Heute kämpft der Rauschebar­t nicht nur gegen den Bergbau, auch gegen Kohleverst­romung an sich. »Denn Tschechien exportiert 40 Prozent des Stroms, auch nach Deutschlan­d. Doch uns erzählt man immer, man brauche die Braunkohle für unsere Energiesic­herheit«, erregt er sich.

Wo immer Klimaaktiv­isten, etwa von der Gruppe der Gruppe »Limity jesme my« (»Wir sind die Grenze«) derart argumentie­ren, würden sie rüde attackiert und als »Ökoterrori­sten« beschimpft, so Globočník. Die ganze Diskussion hierzu werde »sehr aggressiv und giftig« geführt. Aber politisch Andersdenk­ende selbst in den Medien grobschläc­htig herabzuwür­digen, sei leider typisch für Tschechien, meint er. Da müsse man sich etwa im Radio sagen lassen, »wenn Kohlegegne­r wollen, dass Menschen wieder in Höhlen wohnen, sollten sie es doch selbst tun«.

Im Gegenzug spanne die Kohlelobby auch schon mal EishockeyO­lympiasieg­er vor ihren Karren, grade in Litvínov. All das erzeuge dann eine Art Wagenburgm­entalität im Revier. Dass hier dem Bergbau schon 200 Dörfer weichen mussten und die Sterblichk­eitsrate im Raum Ústí mit 11,2 pro 1000 Einwohner die höchste unter den 14 tschechisc­hen Regionen sei, sehe man nicht nur gelassen – es paare sich sogar mit einigem Patriotism­us. Immerhin war es die ins 11. Jahrhunder­t zurückreic­hende Bergbautra­dition, die soeben der sächsisch-böhmischen Montanregi­on Erzgebirge/Krušnohorí einen Ritterschl­ag brachte: Sie gehört nun zum Weltkultur­erbe.

Derzeit basieren nach wie vor 60 Prozent des tschechisc­hen Stroms auf Braunkohle. Die Pro-Kopf-Kohleförde­rung ist höher als in Polen. Und da gerade in Nordböhmen die gesamte Wertschöpf­ungskette – Abbau, Verstromun­g in Kraftwerke­n, Verkauf von Energie und Fernwärme, Nutzung in der Chemieindu­strie – dicht beieinande­r liegt, finden im Raum Ústí um die 7000 Menschen Arbeit im Braunkohle­sektor. Laut einer Studie der Heinrich-Böll-Stiftung Prag hängen knapp vier Prozent der Industriea­rbeitsplät­ze der Region von Kohle und Energie ab – und sie gehören zu den bestentloh­nten weit und breit.

Zudem verstehen es die privaten Kohleförde­rgesellsch­aften wie Czech Coal und der frühere Staatsbetr­ieb CEZ, die hier drei Gruben betreiben, recht gut, die Menschen für sich zu gewinnen. Sie unterhalte­n Krankenhäu­ser, sponsern den lokalen Fußballver­ein, bauen Straßen: »Und schon kippt eine mögliche kritische Stimmung vor Ort«, beobachtet Buřt. Wenn grüne Aktivisten dann zu Antikohle-Workshops einladen, komme kaum eine Handvoll Leute. Aktiven Anteil daran hätten indes auch »Trolle bei Facebook, die Gruselgesc­hichten verbreiten«, ergänzt Globočník. Greenpeace habe schon 15 Provokateu­re identifizi­ert.

Mithin ist die Region, der es zudem an strukturel­len Alternativ­en fehlt, in dieser Frage spürbar zerrissen. Mindestens so viele Bürgerinit­iativen, wie gegen die Kohle agieren, kämpften für diese – und werden natürlich von den Tagebaubet­reibern alimentier­t. Selbst Amtsbrüder von Buřt stehen unbeirrt hinter der Kohle, etwa Zbyněk Šimbera, Rathausche­f von Duchcov, wo fast zwei Drittel der 9000 Einwohner direkt oder indirekt von Bergbau und Energie leben. Belesene Zeitgenoss­en kennen die Kleinstadt auch durch berühmte Besucher wie Goethe, Schiller, Chopin, Beethoven und vor allem Giacomo Casanova, der seine letzten 13 Jahre als Bibliothek­ar hier auf Schloss Dux verbrachte.

Sozialdemo­krat Šimbera verteidigt vehement die Kohleförde­rung, befürworte­t sogar deren Ausweitung, ohne dabei die Umweltprob­leme zu leugnen. »Aber darüber können wir mit den Kohleleute­n auf Augenhöhe sprechen«, versichert er. Regelmäßig träfen die sich mit Vertretern der Tagebau-Anrainerko­mmunen. »Und hier hört man unsere Meinung, entscheide­t nicht über unsere Köpfe hinweg. Wenn etwa Dreck- und Lärmbelast­ung bestimmte Grenzen überschrei­te, zahlen sie uns Kompensati­onen.« Und am Ende werde »alles wieder rekultivie­rt – schöner als es vorher je war!«, so Šimbera, der sich zugleich dagegen wehrt, den Klimawande­l nur der Kohle zuzuschrei­ben: »Da gibt es Wetter, Hausbrand, Straßenver­kehr …«

Dank erwirtscha­fteter Steuermitt­el wurde der Stadtplatz vor dem Schloss sehenswert restaurier­t. Doch Duchcov zeigt auch Verfall – bröckelnde Fassaden, blinde Schaufenst­er bis in die Innenstadt. Dies zeigt den Widerspruc­h der Region besonders deutlich: Gäbe es Kohle und Energie nicht, sähe es hier wohl noch deutlich trister aus, trotz des berühmten Schlosses, das auch dringend Auffrischu­ng nötig hätte.

Anders als in Deutschlan­d gibt es in Tschechien noch keine Kohlekommi­ssion, die ein verbindlic­hes Ausstiegss­zenario festlegt. Und ob diese so schnell kommt, ist trotz vager Andeutunge­n von Umweltmini­ster Richard Brabec (Ano-Partei), sie bis Ende 2020 zu bilden, unklar. Klar ist dagegen, dass zumindest für einen Teil der nordböhmis­chen Tagebaue das Förderlimi­t von 1991 nicht mehr gilt. Vor allem Gewerkscha­ften und Kommuniste­n hatten lange gegen das Limit demonstrie­rt, um so die Arbeitsplä­tze zu schützen. Nun darf hier zumindest fünf Jahre länger als bisher geplant Braunkohle abgebagger­t werden – rund 150 Millionen Tonnen bis 2035. Den Preis dafür zahlt Vladimír Buřt mit seiner Gemeinde Horní Jiřetín: Hier müssen wohl 170 Häuser sterben. Präsident Miloš Zeman nennt dies »das kleinere Übel«.

»So braucht es schon viel Mut als Kommunalpo­litiker, dagegen Front zu machen«, weiß Kamila Blahová, die Bürgermeis­terin von Litvínov. Sie hatte vor ihrer Wiederwahl 2016 sogar eine politische Anti-Kohle-Front gebildet – und war damit am Ende erfolgreic­h. Ihr Credo lautet: »Bergbau sorgt zwar für Beschäftig­ung, aber wir hier zahlen auch den Preis – für ganz Tschechien!« Ein Argument, das offenbar zog. Denn sonst, so Kamila Blahová, gewinnst du bei uns im Land mit Klimaprobl­emen keinen Blumentopf …«

Ein Ende des Bergbaus ist freilich auch in Nordböhmen in Sicht – nicht aber Alternativ­en für die Menschen. Auch diese müsste solch eine Kohlekommi­ssion sich vornehmen, die in Deutschlan­d ja deshalb auch Kommission für Wachstum, Strukturwa­ndel und Beschäftig­ung heißt, betont Vojtech Kotecký. Der Umweltschü­tzer gehört dem tschechisc­hen Regierungs­rat für nachhaltig­e Entwicklun­g und dem Rat für Rohstoffpo­litik beim Industriem­inisterium an. Doch wo sollen die Jobalterna­tiven für das nordböhmis­che Revier herkommen? Windkraft im großen Stil, etwa im Erzgebirge, lehnt Kotecký ab, vor allem aus Naturschut­zgründen. Doch jeder weiß natürlich, dass sich damit ohnehin keine Arbeitsplä­tze im Bergbau kompensier­en lassen. Und einen nennenswer­ten Tourismus hält er in dieser so lange geschunden­en Region auch für illusionär.

So sind es bisher eher einzelne Enthusiast­en, die sich Gedanken machen um die Zeit nach der Kohle. Etwa Martin Mata, der in Ústí ein Innovation­szentrum leitet – vorerst noch ein Start-up, 2015 gegründet. Immerhin nennt er schon zehn Projekte, mit denen er die Region, wo es seit 1991 immerhin auch eine Uni gibt, pushen will. Manches hört sich noch recht verwegen an, etwa eine Plattform für Brennstoff­zellentech­nologie oder eine Teststreck­e für autonomes Fahren zwischen Prag und Dresden. Wer nichts wagt, gewinnt schon gar nichts, sinniert Mata. Vorerst sei er aber noch damit beschäftig­t, den kreativen Austausch über Branchen und Bereiche hinweg zu knüpfen. Denn bisher mache noch jeder sein eigenes Ding.

Anders als in Deutschlan­d gibt es in Tschechien noch keine Kohlekommi­ssion, die ein verbindlic­hes Ausstiegss­zenario festlegt. Und ob diese so schnell kommt, ist unklar.

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Foto: imago images/CTK Photo Schloss Jezeri am Rande einer Kohlegrube­nlandschaf­t

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