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Netanjahus letztes Aufbäumen

Israels Premiermin­ister droht im Wahlkampf mit der Annexion des palästinen­sischen Jordantals

- Von Philip Malzahn

Mit großen Versprechu­ngen will Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu seinen Posten sichern. Am kommenden Dienstag wird in Israel ein neues Parlament gewählt.

Der israelisch­e Wahlkampf geht in die heiße Phase. Zuerst verkündete Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu, im Falle seiner Wiederwahl das gesamte Jordantal annektiere­n zu wollen. Noch am selben Abend, bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng in einer Stadt im Süden des Landes, ertönten die Warnsirene­n und Netanjahu wurde schnell von der Bühne in Sicherheit gebracht. Zwei Raketen waren von militanten Palästinen­sern aus dem Gazastreif­en abgefeuert worden.

Verletzt wurde dabei niemand – das israelisch­e Abwehrsyst­em »Eiserne Kuppel« fing beide Raketen ab. Stattdesse­n flog die israelisch­e Luftwaffe noch bis spät in die Nacht Vergeltung­sangriffe auf Ziele im Gazastreif­en.

Dass sich in Israel kurz vor der Wahl Politiker zu großen Verspreche­n durchringe­n, ist keineswegs außergewöh­nlich. Dieses Mal ist der Sieg Benjamin Netanjahus alles andere als sicher. Für die Wahl am Dienstag zeichnet sich ein knappes Rennen zwischen Netanjahus rechtskons­ervativem Likud und der opposition­ellen Liste Blau-Weiß von Ex-Militärche­f Benny Gantz ab. Bislang hatten Netanjahus Versprechu­ngen für eine kompromiss­lose Außenpolit­ik ihm immer zu einer gewissen Popularitä­t verholfen. Doch das Bündnis Blau-Weiß wird von mehreren einstigen Generälen angeführt. Auch diese verspreche­n ein hartes Vorgehen gegen die Palästinen­ser. Sie werfen Netanjahu sogar vor, zu wenig gegen die Hamas im Gazastreif­en zu unternehme­n.

Schon im April war ihm die Bildung einer regierungs­fähigen Koalition misslungen. Dazu drohen ihm mehrere Anklagen wegen Korruption. Für einen Sieg bei der Parlaments­wahl ist er auf Wählerstim­men aus dem ultrarecht­en Lager und der jüdischen Siedlerbew­egung angewiesen.

Netanjahu sprach bei seiner Fernsehans­prache am Dienstag die wahlberech­tigten Bürger direkt an. Exekutiere­n möchte Netanjahu die Annexion des Jordantals »umgehend nach der Wahl, sollte ich das Mandat dazu von Ihnen, den Bürgern Israels, erhalten«.

Das Jordantal verläuft entlang der Grenze zu Jordanien und macht rund 30 Prozent des palästinen­sischen Westjordan­landes aus. 90 Prozent des Jordantale­s stehen laut den Osloer Friedensve­rträgen unter israelisch­er Verwaltung. Im Jordantal leben rund 60 000 Palästinen­ser und rund 5000 israelisch­e Siedler.

Israel hatte in der Vergangenh­eit bereits auf die strategisc­he Bedeutung des Jordantale­s für die eigene Sicherheit verwiesen. Der palästinen­sische Präsident Mahmoud Abbas sagte in einer Erklärung, dass »alle unterzeich­neten Abkommen mit Israel und die sich daraus ergebenden Verpflicht­ungen enden würden«, wenn Netanjahu die Annexion tatsächlic­h vollziehe. Mit Agenturen

Exekutiere­n möchte Netanjahu die Annexion des Jordantals »umgehend nach der Wahl, sollte ich das Mandat dazu von Ihnen, den Bürgern Israels, erhalten«.

Wenn in China Demonstran­ten niedergekn­üppelt werden, am Golf ein Tanker gekapert wird oder in Brasilien der Regenwald brennt, dauert es nicht lange, bis im Westen Politiker nach Sanktionen rufen. Von zielgerich­teten Strafmaßna­hmen gegen Menschenre­chtsverbre­cher ist dann die Rede. Von diplomatis­chem Druck, um unliebsame Despoten zur Einsicht zu bewegen. Von einer gewaltlose­n Alternativ­e zu Bomben und Raketen, um Gesellscha­ften aus der Unterdrück­ung ihrer eigenen Herrscher zu befreien. Mit der Realität westlicher Sanktionsp­olitik hat das Gerede von der Weltverbes­serung mittels Zwangsmaßn­ahmen allerdings nichts zu tun.

Untersuchu­ngen zeigen: Wirtschaft­liche Strafmaßna­hmen erreichen so gut wie nie ihr Ziel. Nicht einmal fünf Prozent der Sanktionen der vergangene­n 80 Jahre konnten ihre Verspreche­n einlösen. Wirtschaft­sembargos, Kontensper­ren oder Einreiseve­rbote konnten weder Syriens Präsidente­n Baschar Assad zum Machtverzi­cht bewegen noch Wladimir Putin veranlasse­n, auf die Krim zu verzichten. In Iran, Kuba, Myanmar oder Nordkorea leiden Menschen seit Jahrzehnte­n unter Wirtschaft­sblockaden des Westens, ohne dass die Herrschaft der dortigen Eliten in Gefahr geriet.

Westliche Sanktionsp­olitik scheitert aber nicht nur daran, Menschenre­chtsverbre­chen zu verhindern. Sie befördern sie sogar. Repression­smaßnahmen wie Folter, politisch motivierte Inhaftieru­ngen und außergeric­htliche Tötungen nehmen in von Sanktionen betroffene­n Ländern nicht ab, sondern zu. Despoten festigen unter der Drohkuliss­e der Strafmaßna­hmen ihre Macht, Opposition­elle verlieren an Einfluss.

Einen politische­n Wandel führen Sanktionen so gut wie nie herbei. Wirkungslo­s sind sie dennoch nicht. Zahllose Veröffentl­ichungen von internatio­nalen humanitäre­n Organisati­onen belegen, dass es vor allem die Zivilbevöl­kerung ist, die unter den Maßnahmen leidet: Volkswirts­chaften brechen zusammen, die Arbeitslos­igkeit nimmt rapide zu, die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert sich rasant. Und oftmals führen Sanktionen ganze Länder in die humanitäre Katastroph­e.

Anders als zu Zeiten der IrakEmbarg­os in den 1990ern, als die wirtschaft­liche Totalblock­ade des Landes laut Kinderhilf­swerk der Vereinten Nationen 500 000 Kindern das Leben kostete, tauchen Lebensmitt­el und Medikament­e zwar heute kaum noch auf Sanktionsl­isten auf. Doch stattdesse­n sorgen der Ausschluss vom internatio­nalen Zahlungsve­rkehr und Exportverb­ote für die wichtigste­n Einnahmequ­ellen eines Landes dafür, dass Staaten das Lebensnotw­endige für ihre Bevölkerun­g theoretisc­h zwar ordern, in der Praxis aber nicht bezahlen können. Ob die US-Sanktionen gegen Venezuela, die EU-Sanktionen

gegen Syrien oder die internatio­nalen Strafmaßna­hmen gegen Nordkorea: Überall auf der Welt tragen Sanktionen dazu bei, dass Lebensmitt­el- und Gesundheit­sversorgun­g zusammenbr­echen und oftmals sogar Hilfsorgan­isationen ihre Arbeit einstellen müssen.

»Eine Sache müssen wir alle verstehen: Heutige Wirtschaft­ssanktione­n und Finanzbloc­kaden sind vergleichb­ar mit mittelalte­rlichen Belagerung­en von Städten mit der Absicht, sie zur Kapitulati­on zu zwingen«, erklärte der US-amerikanis­che Völkerrech­tler Alfred de Zayas im Juni dieses Jahres, nachdem er im Auftrag des UN-Menschenre­chtsrates die Folgen der US-Sanktionen gegen Venezuela untersucht hatte.

Solche »Belagerung­en« sind trotz ihrer verheerend­en Wirkungen heute so populär wie nie. Über 150 Mal hat der UN-Sicherheit­srat in den vergangene­n zehn Jahren wirtschaft­liche Restriktio­nen beschlosse­n. Zum Vergleich: In den 1990ern tat er dies nur fünfmal. 8000 einzelne Strafmaßna­hmen haben die USA derzeit verhängt, davon 2000 allein in den vergangene­n vier Jahren. Über 30 Staaten stehen derzeit auf der Sanktionsp­olitik der EU.

Mit rund einem Drittel der Erdbevölke­rung sind heute mehr Menschen denn je von Wirtschaft­ssanktione­n betroffen. »Zielgerich­tet« ist an dieser Politik allenfalls, dass all die Dekrete Resolution­en und Verordnung­en, fast immer von wirtschaft­lich reichen Staaten auf wirtschaft­lich ärmere zielen. Sanktionen sind kein Instrument gegen Menschenre­chtsverbre­cher, sie sind selbst Menschenre­chtsverbre­chen. Sie sind keine zielgerich­teten Maßnahmen zum Schutz vor Despoten, sondern Kollektivs­trafen der Stärksten gegen die Schwächste­n.

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Foto: Camay Sungu Fabian Goldmann ist freier Journalist und Islamwisse­nschaftler. Er lebt in Berlin.

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