Netanjahus letztes Aufbäumen
Israels Premierminister droht im Wahlkampf mit der Annexion des palästinensischen Jordantals
Mit großen Versprechungen will Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seinen Posten sichern. Am kommenden Dienstag wird in Israel ein neues Parlament gewählt.
Der israelische Wahlkampf geht in die heiße Phase. Zuerst verkündete Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, im Falle seiner Wiederwahl das gesamte Jordantal annektieren zu wollen. Noch am selben Abend, bei einer Wahlkampfveranstaltung in einer Stadt im Süden des Landes, ertönten die Warnsirenen und Netanjahu wurde schnell von der Bühne in Sicherheit gebracht. Zwei Raketen waren von militanten Palästinensern aus dem Gazastreifen abgefeuert worden.
Verletzt wurde dabei niemand – das israelische Abwehrsystem »Eiserne Kuppel« fing beide Raketen ab. Stattdessen flog die israelische Luftwaffe noch bis spät in die Nacht Vergeltungsangriffe auf Ziele im Gazastreifen.
Dass sich in Israel kurz vor der Wahl Politiker zu großen Versprechen durchringen, ist keineswegs außergewöhnlich. Dieses Mal ist der Sieg Benjamin Netanjahus alles andere als sicher. Für die Wahl am Dienstag zeichnet sich ein knappes Rennen zwischen Netanjahus rechtskonservativem Likud und der oppositionellen Liste Blau-Weiß von Ex-Militärchef Benny Gantz ab. Bislang hatten Netanjahus Versprechungen für eine kompromisslose Außenpolitik ihm immer zu einer gewissen Popularität verholfen. Doch das Bündnis Blau-Weiß wird von mehreren einstigen Generälen angeführt. Auch diese versprechen ein hartes Vorgehen gegen die Palästinenser. Sie werfen Netanjahu sogar vor, zu wenig gegen die Hamas im Gazastreifen zu unternehmen.
Schon im April war ihm die Bildung einer regierungsfähigen Koalition misslungen. Dazu drohen ihm mehrere Anklagen wegen Korruption. Für einen Sieg bei der Parlamentswahl ist er auf Wählerstimmen aus dem ultrarechten Lager und der jüdischen Siedlerbewegung angewiesen.
Netanjahu sprach bei seiner Fernsehansprache am Dienstag die wahlberechtigten Bürger direkt an. Exekutieren möchte Netanjahu die Annexion des Jordantals »umgehend nach der Wahl, sollte ich das Mandat dazu von Ihnen, den Bürgern Israels, erhalten«.
Das Jordantal verläuft entlang der Grenze zu Jordanien und macht rund 30 Prozent des palästinensischen Westjordanlandes aus. 90 Prozent des Jordantales stehen laut den Osloer Friedensverträgen unter israelischer Verwaltung. Im Jordantal leben rund 60 000 Palästinenser und rund 5000 israelische Siedler.
Israel hatte in der Vergangenheit bereits auf die strategische Bedeutung des Jordantales für die eigene Sicherheit verwiesen. Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas sagte in einer Erklärung, dass »alle unterzeichneten Abkommen mit Israel und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen enden würden«, wenn Netanjahu die Annexion tatsächlich vollziehe. Mit Agenturen
Exekutieren möchte Netanjahu die Annexion des Jordantals »umgehend nach der Wahl, sollte ich das Mandat dazu von Ihnen, den Bürgern Israels, erhalten«.
Wenn in China Demonstranten niedergeknüppelt werden, am Golf ein Tanker gekapert wird oder in Brasilien der Regenwald brennt, dauert es nicht lange, bis im Westen Politiker nach Sanktionen rufen. Von zielgerichteten Strafmaßnahmen gegen Menschenrechtsverbrecher ist dann die Rede. Von diplomatischem Druck, um unliebsame Despoten zur Einsicht zu bewegen. Von einer gewaltlosen Alternative zu Bomben und Raketen, um Gesellschaften aus der Unterdrückung ihrer eigenen Herrscher zu befreien. Mit der Realität westlicher Sanktionspolitik hat das Gerede von der Weltverbesserung mittels Zwangsmaßnahmen allerdings nichts zu tun.
Untersuchungen zeigen: Wirtschaftliche Strafmaßnahmen erreichen so gut wie nie ihr Ziel. Nicht einmal fünf Prozent der Sanktionen der vergangenen 80 Jahre konnten ihre Versprechen einlösen. Wirtschaftsembargos, Kontensperren oder Einreiseverbote konnten weder Syriens Präsidenten Baschar Assad zum Machtverzicht bewegen noch Wladimir Putin veranlassen, auf die Krim zu verzichten. In Iran, Kuba, Myanmar oder Nordkorea leiden Menschen seit Jahrzehnten unter Wirtschaftsblockaden des Westens, ohne dass die Herrschaft der dortigen Eliten in Gefahr geriet.
Westliche Sanktionspolitik scheitert aber nicht nur daran, Menschenrechtsverbrechen zu verhindern. Sie befördern sie sogar. Repressionsmaßnahmen wie Folter, politisch motivierte Inhaftierungen und außergerichtliche Tötungen nehmen in von Sanktionen betroffenen Ländern nicht ab, sondern zu. Despoten festigen unter der Drohkulisse der Strafmaßnahmen ihre Macht, Oppositionelle verlieren an Einfluss.
Einen politischen Wandel führen Sanktionen so gut wie nie herbei. Wirkungslos sind sie dennoch nicht. Zahllose Veröffentlichungen von internationalen humanitären Organisationen belegen, dass es vor allem die Zivilbevölkerung ist, die unter den Maßnahmen leidet: Volkswirtschaften brechen zusammen, die Arbeitslosigkeit nimmt rapide zu, die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert sich rasant. Und oftmals führen Sanktionen ganze Länder in die humanitäre Katastrophe.
Anders als zu Zeiten der IrakEmbargos in den 1990ern, als die wirtschaftliche Totalblockade des Landes laut Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen 500 000 Kindern das Leben kostete, tauchen Lebensmittel und Medikamente zwar heute kaum noch auf Sanktionslisten auf. Doch stattdessen sorgen der Ausschluss vom internationalen Zahlungsverkehr und Exportverbote für die wichtigsten Einnahmequellen eines Landes dafür, dass Staaten das Lebensnotwendige für ihre Bevölkerung theoretisch zwar ordern, in der Praxis aber nicht bezahlen können. Ob die US-Sanktionen gegen Venezuela, die EU-Sanktionen
gegen Syrien oder die internationalen Strafmaßnahmen gegen Nordkorea: Überall auf der Welt tragen Sanktionen dazu bei, dass Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung zusammenbrechen und oftmals sogar Hilfsorganisationen ihre Arbeit einstellen müssen.
»Eine Sache müssen wir alle verstehen: Heutige Wirtschaftssanktionen und Finanzblockaden sind vergleichbar mit mittelalterlichen Belagerungen von Städten mit der Absicht, sie zur Kapitulation zu zwingen«, erklärte der US-amerikanische Völkerrechtler Alfred de Zayas im Juni dieses Jahres, nachdem er im Auftrag des UN-Menschenrechtsrates die Folgen der US-Sanktionen gegen Venezuela untersucht hatte.
Solche »Belagerungen« sind trotz ihrer verheerenden Wirkungen heute so populär wie nie. Über 150 Mal hat der UN-Sicherheitsrat in den vergangenen zehn Jahren wirtschaftliche Restriktionen beschlossen. Zum Vergleich: In den 1990ern tat er dies nur fünfmal. 8000 einzelne Strafmaßnahmen haben die USA derzeit verhängt, davon 2000 allein in den vergangenen vier Jahren. Über 30 Staaten stehen derzeit auf der Sanktionspolitik der EU.
Mit rund einem Drittel der Erdbevölkerung sind heute mehr Menschen denn je von Wirtschaftssanktionen betroffen. »Zielgerichtet« ist an dieser Politik allenfalls, dass all die Dekrete Resolutionen und Verordnungen, fast immer von wirtschaftlich reichen Staaten auf wirtschaftlich ärmere zielen. Sanktionen sind kein Instrument gegen Menschenrechtsverbrecher, sie sind selbst Menschenrechtsverbrechen. Sie sind keine zielgerichteten Maßnahmen zum Schutz vor Despoten, sondern Kollektivstrafen der Stärksten gegen die Schwächsten.