Festivals gegen und für die Verkehrswende
Die Frankfurter Automesse schrumpft und versucht angesichts der Branchenkrise, auch Kritiker ins Boot zu holen
Zehn Tage lang wird in der Messe Frankfurt wieder das Auto zelebriert. Doch die Glanzzeiten der Veranstaltung wie auch dieser Industrie sind lange vorbei.
Seit Jahrzehnten gilt die Automesse IAA in Frankfurt am Main als Highlight einer deutschen Schlüsselbranche. Doch die zehntägige Verkaufsschau, die an diesem Donnerstag im Beisein der Bundeskanzlerin feierlich eröffnet wird, hat viel von ihrem früheren Glanz eingebüßt und schrumpft. Umweltproteste und Überproduktionskrise überschatten das Megaevent.
Wenn nun wieder Scharen von Autofans in die Mainmetropole strömen, dürfte vielen ins Auge springen, dass die Branche kriselt. Zwar haben schon in früheren Jahren Umweltverbände am Rande und auch auf der IAA für Gegenöffentlichkeit gesorgt und Kritik an den Autokonzernen geäußert. Doch jetzt werden Kritiker tausendfach in der Messestadt ihren Protest gegen den Klimakiller Straßenverkehr kundtun. So will etwa das Bündnis »Sand im Getriebe« zeitweilig Straßen blockieren. Die Aktivisten wollen den Autofahrern Handzettel mit der Forderung nach Senkung der Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2025 auf Null überreichen. Den Höhepunkt der Anti-IAA-Proteste bildet am Samstag eine Demo durch die City. Die Abschlusskundgebung vor den Messetoren soll ein »Festival für die Verkehrswende« werden.
Die Chefs der Autokonzerne und ihre Lobbyverbände, allen voran der gastgebende Branchenverband VDA, sind angesichts der globalen Klimabewegung und der Kritik an ihrem Geschäftsgebaren, an Dieselgate und schweren Spritfressern mehr denn je in Erklärungsnot geraten. Daher ihr verbales Bekenntnis zum Klimaschutz und ihr demonstratives Angebot an die Öffentlichkeit zum Dialog: Für Freitag lädt der VDA zum »öffentlichen Bürgerdialog über die Mobilität der Zukunft«. VDA-Präsident Bernhard Mattes hat hierzu neben den Konzernchefs von Daimler, Porsche und Bosch auch die Grünen-Oberbürgermeister Jochen Partsch (Darmstadt) und Boris Palmer (Tübingen) sowie Baden-Württembergs IG-Metall-Chef Roman Zitzelsberger ins Boot geholt. Auch autokritische Nichtregierungsorganisationen sollen dabei die Frage stellen dürfen, ob das Automobil überhaupt noch gebraucht wird. Ob die Debatten über eine Imagepflege des VDA hinaus spürbare Folgen zeitigen, bleibt abzuwarten. Die Veranstaltung im geräumigen »Kap Europa« ist auf 200 Personen begrenzt. Eine Art Numerus clausus für eine Alibiveranstaltung fürs Image?
Die Krise der hiesigen Autobranche drückt sich aber nicht nur in Klimaprotesten und der Tatsache aus, dass jüngere Menschen deutlich weniger als ihre Eltern auf Führerschein und eigenen Pkw wert legen. So sind 10 der 34 weltweit wichtigsten Automarken diesmal nicht mit eigenen IAA-Ständen vertreten. Selbst Nobelmarken wie Maserati, Rolls-Royce, Ferrari, Bentley, Aston Martin oder Cadillac glänzen durch Abwesenheit. Renault und Dacia haben zwar keinen Stand, sind aber noch mit Wagen für Testfahrten vertreten.
Die Schrumpfung lässt sich in Zahlen fassen: Benötigten im Jahr 2013 noch 1100 Aussteller eine Ausstellungsfläche von 232 000 Quadratmetern, so sind es jetzt nur noch knapp 800 Aussteller auf 168 000 Quadratmetern. Statt über einer Million Besucher zu Hoch-Zeiten dürften es nach Schätzungen diesmal noch 700 000 sein. Daher sind die IAA-Macher eifrig bemüht, die Messepalette um neue Angebote und Inhalte zu erweitern – so sollen elektrische Roller und Fahrräder, eine Jobbörse für den beruflichen Nachwuchs sowie Foren zur Mobilität neues Publikum anlocken. Mehr denn je sind auch große Softwarehersteller dabei. Batteriebetriebene Elektromobilität, vor wenigen Jahren noch avantgardistischer Knüller auf der IAA, gilt zunehmend als Alternative. Allerdings verliert aber auch sie aufgrund von Berichten über massive Umweltschäden durch den Lithiumbergbau in Afrika oder Südamerika ihren früheren Glanz.
Über allem schwebt das Gespenst einer weltweiten Überproduktionskrise, die auch hierzulande allmählich sichtbar wird. Die von den Autokanzlern Schröder und Merkel gehätschelte Branche ist stark exportorientiert und fürchtet, gegenüber China technisch ins Hintertreffen zu geraten. Insider erwarten für 2019 einen Rückgang der weltweiten PkwVerkäufe um vier Prozent auf 81 Millionen Fahrzeuge. Kurzarbeit bei den großen Autozulieferern Schaeffler und Continental sowie die drohende Schließung eines Werks von Mahle im schwäbischen Öhringen sind deutliche Krisensymptome.
Gegen die IAA demonstrieren wird am Samstag auch der Frankfurter Ex«Tatort«-Regisseur Klaus Gietinger, der in seinem Buch »Vollbremsung – Warum das Auto keine Zukunft hat und wir trotzdem weiterkommen« eine Generalabrechnung mit der »Massenvernichtungswaffe Auto« vornimmt. Er will bei den Demos mit der Kamera Material für einen Dokumentarfilm über das Ende des Autos sammeln. Für Gietinger ist die Branchenkrise eine Chance, um mit einer Verkehrsrevolution und Vergesellschaftung der Fahrzeugindustrie die »konkrete Utopie einer autobefreiten Gesellschaft« zu verwirklichen.