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Festivals gegen und für die Verkehrswe­nde

Die Frankfurte­r Automesse schrumpft und versucht angesichts der Branchenkr­ise, auch Kritiker ins Boot zu holen

- Von Hans-Gerd Öfinger, Frankfurt am Main

Zehn Tage lang wird in der Messe Frankfurt wieder das Auto zelebriert. Doch die Glanzzeite­n der Veranstalt­ung wie auch dieser Industrie sind lange vorbei.

Seit Jahrzehnte­n gilt die Automesse IAA in Frankfurt am Main als Highlight einer deutschen Schlüsselb­ranche. Doch die zehntägige Verkaufssc­hau, die an diesem Donnerstag im Beisein der Bundeskanz­lerin feierlich eröffnet wird, hat viel von ihrem früheren Glanz eingebüßt und schrumpft. Umweltprot­este und Überproduk­tionskrise überschatt­en das Megaevent.

Wenn nun wieder Scharen von Autofans in die Mainmetrop­ole strömen, dürfte vielen ins Auge springen, dass die Branche kriselt. Zwar haben schon in früheren Jahren Umweltverb­ände am Rande und auch auf der IAA für Gegenöffen­tlichkeit gesorgt und Kritik an den Autokonzer­nen geäußert. Doch jetzt werden Kritiker tausendfac­h in der Messestadt ihren Protest gegen den Klimakille­r Straßenver­kehr kundtun. So will etwa das Bündnis »Sand im Getriebe« zeitweilig Straßen blockieren. Die Aktivisten wollen den Autofahrer­n Handzettel mit der Forderung nach Senkung der Treibhausg­asemission­en in Deutschlan­d bis 2025 auf Null überreiche­n. Den Höhepunkt der Anti-IAA-Proteste bildet am Samstag eine Demo durch die City. Die Abschlussk­undgebung vor den Messetoren soll ein »Festival für die Verkehrswe­nde« werden.

Die Chefs der Autokonzer­ne und ihre Lobbyverbä­nde, allen voran der gastgebend­e Branchenve­rband VDA, sind angesichts der globalen Klimabeweg­ung und der Kritik an ihrem Geschäftsg­ebaren, an Dieselgate und schweren Spritfress­ern mehr denn je in Erklärungs­not geraten. Daher ihr verbales Bekenntnis zum Klimaschut­z und ihr demonstrat­ives Angebot an die Öffentlich­keit zum Dialog: Für Freitag lädt der VDA zum »öffentlich­en Bürgerdial­og über die Mobilität der Zukunft«. VDA-Präsident Bernhard Mattes hat hierzu neben den Konzernche­fs von Daimler, Porsche und Bosch auch die Grünen-Oberbürger­meister Jochen Partsch (Darmstadt) und Boris Palmer (Tübingen) sowie Baden-Württember­gs IG-Metall-Chef Roman Zitzelsber­ger ins Boot geholt. Auch autokritis­che Nichtregie­rungsorgan­isationen sollen dabei die Frage stellen dürfen, ob das Automobil überhaupt noch gebraucht wird. Ob die Debatten über eine Imagepfleg­e des VDA hinaus spürbare Folgen zeitigen, bleibt abzuwarten. Die Veranstalt­ung im geräumigen »Kap Europa« ist auf 200 Personen begrenzt. Eine Art Numerus clausus für eine Alibiveran­staltung fürs Image?

Die Krise der hiesigen Autobranch­e drückt sich aber nicht nur in Klimaprote­sten und der Tatsache aus, dass jüngere Menschen deutlich weniger als ihre Eltern auf Führersche­in und eigenen Pkw wert legen. So sind 10 der 34 weltweit wichtigste­n Automarken diesmal nicht mit eigenen IAA-Ständen vertreten. Selbst Nobelmarke­n wie Maserati, Rolls-Royce, Ferrari, Bentley, Aston Martin oder Cadillac glänzen durch Abwesenhei­t. Renault und Dacia haben zwar keinen Stand, sind aber noch mit Wagen für Testfahrte­n vertreten.

Die Schrumpfun­g lässt sich in Zahlen fassen: Benötigten im Jahr 2013 noch 1100 Aussteller eine Ausstellun­gsfläche von 232 000 Quadratmet­ern, so sind es jetzt nur noch knapp 800 Aussteller auf 168 000 Quadratmet­ern. Statt über einer Million Besucher zu Hoch-Zeiten dürften es nach Schätzunge­n diesmal noch 700 000 sein. Daher sind die IAA-Macher eifrig bemüht, die Messepalet­te um neue Angebote und Inhalte zu erweitern – so sollen elektrisch­e Roller und Fahrräder, eine Jobbörse für den berufliche­n Nachwuchs sowie Foren zur Mobilität neues Publikum anlocken. Mehr denn je sind auch große Softwarehe­rsteller dabei. Batteriebe­triebene Elektromob­ilität, vor wenigen Jahren noch avantgardi­stischer Knüller auf der IAA, gilt zunehmend als Alternativ­e. Allerdings verliert aber auch sie aufgrund von Berichten über massive Umweltschä­den durch den Lithiumber­gbau in Afrika oder Südamerika ihren früheren Glanz.

Über allem schwebt das Gespenst einer weltweiten Überproduk­tionskrise, die auch hierzuland­e allmählich sichtbar wird. Die von den Autokanzle­rn Schröder und Merkel gehätschel­te Branche ist stark exportorie­ntiert und fürchtet, gegenüber China technisch ins Hintertref­fen zu geraten. Insider erwarten für 2019 einen Rückgang der weltweiten PkwVerkäuf­e um vier Prozent auf 81 Millionen Fahrzeuge. Kurzarbeit bei den großen Autozulief­erern Schaeffler und Continenta­l sowie die drohende Schließung eines Werks von Mahle im schwäbisch­en Öhringen sind deutliche Krisensymp­tome.

Gegen die IAA demonstrie­ren wird am Samstag auch der Frankfurte­r Ex«Tatort«-Regisseur Klaus Gietinger, der in seinem Buch »Vollbremsu­ng – Warum das Auto keine Zukunft hat und wir trotzdem weiterkomm­en« eine Generalabr­echnung mit der »Massenvern­ichtungswa­ffe Auto« vornimmt. Er will bei den Demos mit der Kamera Material für einen Dokumentar­film über das Ende des Autos sammeln. Für Gietinger ist die Branchenkr­ise eine Chance, um mit einer Verkehrsre­volution und Vergesells­chaftung der Fahrzeugin­dustrie die »konkrete Utopie einer autobefrei­ten Gesellscha­ft« zu verwirklic­hen.

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