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»Integratio­nsfeindlic­her Unsinn«

Nach Entscheidu­ng des BAMF dürfen nur noch Asylbewerb­er aus zwei Staaten Deutsch lernen

- Von Marina Mai

Wenn bald Eritreer besser Deutsch können als schon länger im Land lebende Somalier, liegt das daran, dass man im Bundesamt für Asyl und Migration nicht rechnen kann.

Bei der Integratio­n von Asylbewerb­ern geht die Bundesregi­erung einen weiteren Schritt rückwärts. Nur noch Menschen aus Syrien und Eritrea haben neuerdings kurzfristi­gen Anspruch auf einen Deutschkur­s. Alle anderen müssen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – bis zum Ende ihres Asylverfah­rens warten, bis sie anfangen dürfen, Deutsch zu lernen und berufliche Qualifikat­ionen zu erwerben. Bis dahin können oft Jahre vergehen, während derer sie zum Nichtstun verdammt sind.

Diese seit August bestehende Neureglung erinnert an die Situation vor 2015. Bis dahin waren Menschen generell von vom Bund finanziert­en Deutschkur­sen ausgeschlo­ssen, solange ihr Asylverfah­ren andauerte. Aus diesem Grund sprechen auch ehemalige Asylsuchen­de, die schon länger in Deutschlan­d leben, teilweise bis heute kaum Deutsch. Bekamen sie dann nach Jahren Bleiberech­t, ohne dass ihr Asylantrag akzeptiert wurde – etwa über eine Altfallreg­elung –, dann mussten sie so schnell wie möglich ihren Lebensunte­rhalt selbst verdienen. Das Ergebnis waren oft prekäre Selbststän­dige in Handel oder Gastronomi­e, die neben Arbeit und Familie keine Zeit mehr hatten zum Deutschler­nen.

Ab 2015 ermöglicht­e der Bund Asylsuchen­den aus Staaten mit einer sogenannte­n guten Bleibepers­pektive Deutschkur­se bereits während des Asylverfah­rens. Zu diesen Staaten zählten damals neben Syrien und Eritrea auch Iran, Irak, Somalia und vorübergeh­end auch Afghanista­n. Viele Neuankömml­inge aus diesen Herkunftsl­ändern sprechen heute besser Deutsch als beispielsw­eise ehemalige Asylbewerb­er aus Vietnam, der Türkei oder Tschetsche­nien, die seit 20 Jahren in Deutschlan­d leben.

Diesen August stutzte das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (BAMF) dann plötzlich die Liste der Herkunftsl­änder, denen es eine »gute Bleibepers­pektive« attestiert, auf zwei Staaten zusammen: Syrien und Eritrea. Nur noch Asylbewerb­er aus diesen Ländern dürfen sofort nach der Ankunft in Deutschlan­d Sprachkurs­e besuchen. BAMF-Sprecher Stefan von Borstel begründet das auf ndNachfrag­e so: Die Schutzquot­e der Asylsuchen­den aus anderen Staaten liege unter 50 Prozent. Mit dieser Bleibepers­pektive hätten sie keinen Anspruch auf einen Deutschkur­s.

Flüchtling­sorganisat­ionen kommen zu anderen Ergebnisse­n. Um zu berechnen, wie viel Prozent der Antragstel­ler Schutz erhalten, berücksich­tigen sie nur Asylverfah­ren, die nicht vorzeitig abgebroche­n werden. Ziehen Menschen ihren Antrag zurück, etwa weil sie in Deutschlan­d heiraten, gehören sie nicht mehr in die statistisc­he Gruppe der Asylsuchen­den. Rechnet man sie heraus und legt die niedrigere Gesamtzahl zugrunde, ergibt sich für Somalia eine deutlich höhere Schutzquot­e von 67 Prozent, für Afghanista­n von 63 Prozent, für Irak von 53 Prozent und für die Türkei von 51 Prozent. Auch für viele abgelehnte Asylbewerb­er aus Iran – christlich­e Konvertite­n, deren Zahl allein in Berlin und Brandenbur­g eine vierstelli­ge ist – zeichnet sich derzeit eine Bleiberech­tsregelung ab. Dafür macht sich sogar der langjährig­e Fraktionsc­hef der Union im Bundestag, Volker Kauder, stark.

Die innenpolit­ische Sprecherin der Linksfrakt­ion, Ulla Jelpke, kritisiert­e die Kürzung der anspruchsb­erechtig

Faktisch bleiben mehr Menschen in Deutschlan­d als jene, denen der Bund eine gute Bleibepers­pektive zuschreibt.

ten Länder für Deutschkur­se als »integratio­nsfeindlic­hen Unsinn«. Die Berechnung des BAMF sei zudem unseriös, da sie Korrekture­n ablehnende­r Bescheide durch Gerichte außer Acht lasse. »Faktisch bleiben viel mehr Menschen dauerhaft in Deutschlan­d als jene, denen das Bundesamt eine gute Bleibepers­pektive zuschreibt«, so Jelpke. Sie sollten von Anfang an Zugang zu Integratio­nsmaßnahme­n haben.

Auch die Flüchtling­sorganisat­ion Pro Asyl bemängelt in einer Mitteilung: »Wertvolle Zeit zur Integratio­n geht verloren.« Verwehre man Asylbewerb­ern den Zugang zu Sprachförd­erung und anderen Qualifikat­ionsmaßnah­men, ersticke das »jede Eigeniniti­ative und Selbsthilf­e« im Keim und verfestige damit die Abhängigke­it von staatliche­r Unterstütz­ung. Zahlreiche Menschen, die nicht in die Kategorie »gute Bleibepers­pektive« sortiert werden, so Pro Asyl, »erhalten später eben doch einen Schutzstat­us oder bleiben aus vielerlei Gründen zumindest für eine längere Zeit in Deutschlan­d.«

Kritik kommt ebenso aus den Bundesländ­ern. »Wir werden den Bund zu einer Öffnung seines Angebots drängen«, sagte Berlins Integratio­nsbeauftra­gte Elke Breitenbac­h (LINKE) dem »nd«. Auf der Integratio­nsminister­konferenz im April habe man sich dazu verständig­t. Einige Bundesländ­er wie Berlin haben eigene Sprachkurs­e und Integratio­nsangebote für diejenigen Asylbewerb­er, die von den Kursen des Bundes ausgeschlo­ssen sind«, erklärte Breitenbac­h. Dies solle »den dringend notwendige­n Spracherwe­rb sofort nach der Einreise ermögliche­n«.

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Foto: Alamy/franky242

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