nd.DerTag

Überrasche­nde Freiheit

Max Zirngast in der Türkei freigespro­chen

- Von Svenja Huck, Ankara

Mit diesem Ausgang hatten weder Max Zirngast noch Familie und Freunde gerechnet, die ihn zum zweiten Prozesster­min im Strafgeric­ht von Ankara begleitete­n. Doch nachdem der Staatsanwa­lt in monoton vorgetrage­nen Sätzen erklärte, dass es keine Beweise dafür vorlägen, dass Zirngast und die drei weiteren Angeklagte­n Mitglieder einer Terrororga­nisation seien, war absehbar, was der Richter fünf Minuten später verkündete: Freispruch für alle Angeklagte­n.

»Das Urteil kam überrasche­nd. Nach der Rede des Staatsanwa­ltes, die wie ein Schlussplä­doyer klang, schaute ich zu meinen Anwälten, die den Daumen nach oben zeigten. Da habe ich geahnt, dass wir frei kommen würden«, beschreibt Zirngast diesen Moment. Rechtsanwa­lt Clemens Lahner, der als Prozessbeo­bachter teilnahm, meint: »Aus juristisch­er Sicht war der Freispruch die einzige logische Möglichkei­t, da keine Beweise vorlagen.« Die Aktenlage war jedoch

»Es kann eigentlich keine juristisch­e Entscheidu­ng gewesen sein, eventuell kam ein Befehl aus dem Präsidente­npalast.« Clemens Lahner, Rechtsanwa­lt und Prozessbeo­bachter

exakt dieselbe, wie schon während des ersten Gerichtste­rmins am 11. April. Lahner findet, »es kann eigentlich keine juristisch­e Entscheidu­ng gewesen sein, eventuell kam ein Befehl aus dem Präsidente­npalast.« Auf welcher Ebene entschiede­n wurde, können man jedoch nur mutmaßen.

Zirngast glaubt auch, dass die Veränderun­g der politische­n Situation seit April einen Einfluss auf das Urteil hatte. »Ähnliche Fälle, wie die der Friedensak­ademiker, in denen es um Meinungsfr­eiheit geht, werden momentan auf dieselbe Art abgehandel­t. Auch von ihnen wurden einige in den letzten Woche freigespro­chen. Die Justiz ist wahrschein­lich überlastet mit substanzlo­sen Prozessen wie unserem.« Dem gegenüber stehen die Amtsentheb­ung gewählter Bürgermeis­ter oder das Urteil gegen die Vorsitzend­e der CHP in Istanbul.

Sieben Tage hätte die Oberstaats­anwaltscha­ft nun Zeit, Widerspruc­h gegen das Urteil einzulegen und solange gelten auch die Auflagen noch, wie die Ausreisesp­erre. Diese Woche will Zirngast nutzen, um seinen rechtliche­n Status zu klären und ein gültiges Visum für die Türkei zu beantragen. Zwar möchte er nach Österreich fahren, auch um Anfang Oktober an der Vorstellun­g seines Buches teilzunehm­en, doch die Rückkehr in die Türkei will er sich offen halten, »einfach aus Prinzip«, wie er sagt. Außerdem wird er eine Entschädig­ungsklage einreichen.

Auf die Frage, ob er seinen Sohn lieber in Österreich hätte, antwortet Zirngasts Vater: »In der Türkei ist er glücklich und sowieso ist Max mehr Türke als Österreich­er mittlerwei­le. Ich denke, es geht ihm gut hier.« Dass hinter Zirngast nicht nur seine Familie, sondern auch seine Freunde stehen, ist an diesem Tag deutlich spürbar. Ein Jahr lang organisier­ten sie eine Solidaritä­tskampagne für ihn und schufen Öffentlich­keit für seinen Fall, während sich die österreich­ische Regierung bedeckt hielt. Doch an diesem Tag gratuliert sogar der österreich­ische Präsident Van der Bellen Zirngast und seiner Familie zu dem Freispruch und merkt an, dass die vielen weiteren inhaftiere­n Journalist­en nicht vergessen werden dürfen.

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