Mauricio Macri im freien Fall
Argentiniens Präsident versucht vor den Wahlen mit Kurswechsel aus der Krise zu kommen
Der Absturz des Peso nach den Vorwahlen hat Argentiniens neoliberale Regierung zu einem radikalen Kurswandel gezwungen: Kapitalverkehrskontrollen und keine Mehrwertsteuer auf Lebensmittel.
Für Argentiniens neoliberalen Präsidenten Mauricio Macri muss es eine bittere Einsicht sein: Kapitalverkehrskontrollen wirken. Zumindest im Moment in Argentinien. Die langen Schlangen vor den Banken, die selbst nach dem Dekret vom 1. September zur Devisenkontrolle die ersten Tage noch anhielten, sind fürs Erste passé.
Seit den von Macri am 11. August mit 16 Prozent Abstand verlorenen Vorwahlen galt in Argentinien wieder einmal das Motto »Rette seine Einlagen, wer kann.« Allein seitdem haben die Argentinier*innen rund vier Milliarden Dollar von den Banken abgezogen – in der seit Ende 2015 währenden Ära Macri wird die Kapitalflucht auf 75 Milliarden Dollar veranschlagt.
Seit die Regierung Macri am 1. September ein Dekret veröffentlichte, wonach große Exporteure künftig eine Erlaubnis der Notenbank für den Kauf von Fremdwährungen und zur Überweisung von Devisen ins Ausland einholen müssen und für Privatpersonen, die die US-Währung erwerben wollen, eine monatliche Obergrenze von 10 000 Dollar (rund 9100 Euro) festgesetzt wurde, lässt der Run auf die Bankschalter Zug um Zug nach. Der argentinische Peso, der allein im August ein Viertel seines Wertes gegenüber dem US-Dollar verloren hat, stabilisiert sich derzeit auf niedrigem Niveau von rund 56 Peso zu einem US-Dollar. Um das Ausmaß des Verfalls zu benennen: Mitte 2018 mussten 20 Peso für einen US-Dollar aufgebracht werden.
Mit den Kapitalverkehrskontrollen hat Macri einen drastischen Kurswechsel vollzogen. 2015 hatte er versprochen, die »von der Vorgängerregierung bevorzugten Kontrollen aufzugeben.« Jetzt heißt es in dem Dekret, die Maßnahmen seien nötig, um »den Devisenhandel intensiver zu regulieren und das normale Funktionieren der Wirtschaft zu stärken«.
Das Dekret ist der zweite Kurswechsel seit den verlorenen Vorwahlen am 11. August. Da hatten die Wähler*innen Präsident Macri durch ihr Votum mit fast 16 Prozentpunkten Vorsprung für das oppositionelle Mitte-links-Bündnis von Alberto Fernández und Cristina Kirchner klargemacht, wie wenig sie von den Ergebnissen seiner Wirtschaftspolitik halten: Unternehmen gehen reihenweise Konkurs, es gibt Massenentlassungen und ein Drittel der knapp 45 Millionen Argentinier*innen lebt unter der Armutsgrenze.
Wenige Tage nach der Vorwahlschlappe verkündete Macri eine Reihe von Maßnahmen, die er seiner Vorgängerin Cristina Kirchner (Präsidentin 2007-2015), die nun als Vizepräsidentin kandidiert, immer vorgeworfen hatte. Er versprach unter anderem eine Erhöhung des Mindestlohns, setzte die Mehrwertsteuer für Lebensmittel aus, kündigte günstigere Kredite für kleine Unternehmen an und setzte die Kraftstoffpreise für 90 Tage fest.
Macris Maßnahmen kommen für eine Wiederwahl am 27. Oktober oder einen Erfolg bei einer möglichen Stichwahl mit ziemlicher Sicherheit zu spät. Alberto Fernández gilt mit seinen 48 Prozent bei den Vorwahlen als klarer Favorit, um Macri ab dem 10. Dezember im Präsidentenamt zu beerben. Hinterlassen wird Macri ihm einen riesigen Schuldenberg: Seit der seit Mai 2018 grassierenden Wirtschafts- und Finanzkrise stieg die Staatsverschuldung steil auf fast 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an. Das sind 334 Milliarden US-Dollar. Drei Viertel der Ausstände sind in Devisen denominiert, rund 100 Milliarden Dollar hat allein die Regierung Macri an neuen Auslandsschulden aufgenommen, darunter Mitte 2018 einen Bereitschaftskredit beim Internationalen Währungsfonds in der Rekordhöhe von 57 Milliarden Dollar. Auch die Rückzahlung des IWF-Kredits bliebe im Falle seines Sieges an Alberto Fernández hängen. Die erste Tranche wird erst 2020 fällig. Nicht weniger als 34 Milliarden Dollar muss das Land dann zurückzahlen. Fernández hat mehrfach erklärt, dass die Schulden neu verhandelt werden müssen. Denn sonst werden erneut die Armen und die Mittelschicht die Zeche zahlen. Dass sie darauf nicht untätig warten, zeichnet sich ab.
Am 4. September gingen Zehntausende Argentinier*innen in der Hauptstadt Buenos Aires auf die Straße. Die Demonstrant*innen forderten höhere Mindestlöhne, mehr Sozialprogramme sowie Lebensmittelhilfen für Arme. Und einige davon sind gekommen, um zu bleiben. Sie haben auf der Prachtstraße 9 de Julio im Stadtzentrum vor dem Ministerium für soziale Angelegenheiten ihre Zelte aufgestellt, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Sie wollen bleiben, bis ihre Forderungen erfüllt werden – von welcher Regierung auch immer.