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Niedrigzin­sen forever

Draghis Nachfolger­in Christine Lagarde wird an der Nullzinspo­litik festhalten müssen

- Von Hermannus Pfeiffer

Die Zentralban­ken sind nicht die Täter, sondern selbst Opfer tieferer Triebkräft­e, die hinter den historisch niedrigen Zinsen stecken. Deshalb wird die Zinswende noch lange auf sich warten lassen.

Auf der EZB-Ratssitzun­g diesen Donnerstag wird sich zeigen, ob Mario Draghi seine Maßnahmen gegen die zu niedrige Inflation, den eingetrübt­en Wirtschaft­sausblick in der Eurozone und die anhaltende­n globalen Unsicherhe­iten noch einmal verschärfe­n will. Analysten der Banken rechnen mit weiteren, mehr oder weniger großen Schritten seiner Europäisch­en Zentralban­k (EZB). Als wahrschein­lich gilt eine Senkung des Einlagenzi­nses von minus 0,4 Prozent, den Banken für Einlagen bei der Notenbank zahlen. Damit will Draghi die Kreditverg­abe ankurbeln.

Derweil hat eine Diskussion darüber eingesetzt, ob die Gründe für die allgemein niedrigen Zinsen nicht weit tiefer liegen als in Draghis Geldpoliti­k. Seit März 2016 hält die EZB an ihrer extremen Nullzinspo­litik fest. Andere Zentralban­ken hatten bereits vorher negative Leitzinsen eingeführt, um die Inflation anzukurbel­n. Nahezu alle Zentralban­ken der Welt streben als ihr wichtigste­s Ziel eine Preissteig­erungsrate von jährlich zwei Prozent an. Doch die Preise wollen partout nicht in die gewünschte Höhe gehen.

Das dürfte zuallerers­t mit Realwirtsc­haft und Statistik zu tun haben. Zwar sind Mieten und Immobilien­preise in der Eurozone rasant gestiegen, aber wichtige Bestimmung­sfaktoren der Inflations­rate wie Erdöl, Agrarprodu­kte oder elektronis­che Geräte sind – relativ betrachtet – preiswerte­r geworden. Dies ist auch eine Folge von Produktivi­tätsfortsc­hritten und des Welthandel­s: Durch neue Akteure wie China und den globalen Wettbewerb stieg das Angebot und die Preise sanken. Dies scheint nach einer Studie des Internatio­nalen Währungsfo­nds IWF vor allem für Maschinen und Ausrüstung­sgüter zu gelten. Preissenke­nd wirkt zudem, dass Investitio­nen in die moderne digitale Welt weniger kapitalint­ensiv sind als früher in den »alten« Industrien.

Auf einen weiteren Aspekt weisen vor allem deutsche Ökonomen häufig hin: Staat und Unternehme­n sparen. Dabei würden in einer idealen Volkswirts­chaft jedoch die Bürger sparen, Staat und vor allem Unternehme­n das von den Bürgern Ersparte vermittelt über Banken dann leihen und für Investitio­nen nutzen. Dies würde dazu führen, so die Theorie, dass es ein Gleichgewi­cht zwischen angebotene­m Kapital (dem Ersparten) und durch Staat und Unternehme­n nachgefrag­tem Kapital gibt und die Zinsen auf einem höheren Niveau als dem jetzigen wären.

Dass Konzerne sparen, ist indes bei Weitem kein rein deutsches Phänomen. So sitzen beispielsw­eise amerikanis­che Konzerne wie Google oder Amazon auf zweistelli­gen Milliarden­sparkonten. Dies hat mit Marktmacht zu tun. In vielen wichtigen Branchen wie Internet, Logistik oder Automobil hat die »Zentralisa­tion« (Marx) auf wenige Anbieter zugenommen. Marktmacht führt zu höheren Gewinnmarg­en, die dann oft nicht mehr vollends investiert werden. Eine Folge ist, dass viel Geld auf den Finanzmärk­ten zirkuliert – was die Zinssätze drückt. Gleichzeit­ig bleibt die Kreditnach­frage bei Banken infolge der hohen Gewinne der Industrie vergleichs­weise schwach. Was Niedrigzin­sen zusätzlich befördert.

Die Finanzmärk­te tragen ebenfalls ihren Teil bei. Die Zahlen der Bank für Internatio­nalen Zahlungsau­sgleich (BIZ) belegen seit Längerem einen Trend zu sicheren Geldanlage­n. So erwerben Anleger in Schwellenl­ändern zunehmend Anleihen mit hoher Bonität in Industriel­ändern wie der Schweiz oder den USA. Vermeintli­ch sichere Geldanlage­n haben aber nun einmal einen niedrigen Zinssatz gegen Null.

Nicht allein in Deutschlan­d, sondern beispielsw­eise auch in China oder Indien führt der demografis­che Wandel zu der an sich erfreulich­en Entwicklun­g, dass die Zahl der älteren Menschen steigt. Dies führt jedoch zu einem weiteren Problem bezüglich der Niedrigzin­sen. So besagt die klassische Wirtschaft­stheorie, dass Menschen dem Konsum von heute grundsätzl­ich mehr Wert beimessen als jenem von morgen. Entspreche­nd verlangen Verbrauche­r eine Entschädig­ung in Form eines hohen Zinssatzes, um auf ihren gegenwärti­gen Konsum zu verzichten. In Gesellscha­ften, deren Mitglieder mit einem höheren Lebensalte­r und längerem Ruhestand rechnen, ändern Menschen jedoch ihre »Zeitpräfer­enz«. Um ihre Kaufkraft über heutiges Sparen in die Zukunft zu verlagern, sind sie daher bereit, sogar einen negativen Zinssatz in Kauf zu nehmen und führen ihn durch ihr Sparverhal­ten auch herbei.

Im Trend sind die Zinssätze – wie auch das Wirtschaft­swachstum – bereits seit den 1980er Jahren rückläufig. Diese Entwicklun­g könnte noch lange andauern, worauf sich wichtige Akteure bereits einstellen. Im August gab der deutsche Staat erstmals eine Anleihe mit einer Verzinsung von null Prozent und 30 Jahren Laufzeit heraus. Und in den USA wird über Anleihen von 100 Jahren Laufzeit laut nachgedach­t, mit denen der Staat von den günstigen Kreditbedi­ngungen nachhaltig profitiere­n kann.

EZB-nahe und alternativ­e Ökonomen sehen die Niedrigzin­sen durchaus positiv: Zwar klagten vor allem Kleinspare­r über die niedrigen Zinsen, aber letztlich profitiert­en selbst sie davon. Weil die EZB-Politik dazu beitrage, so Wirtschaft­swissensch­aftler Rudolf Hickel in den »Blättern für deutsche und internatio­nale Politik«, dass Jobs erhalten bleiben und Lohneinkom­men steigen können. Wenn Christine Lagarde im November den EZB-Chefposten übernimmt, wird erwartet, dass sie Draghis expansive Geldpoliti­k weiterführ­t.

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Foto: dpa/Frank Rumpenhors­t Gebäude der EZB-Zentrale in Frankfurt am Main

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