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Als Zwölfjähri­ger im KZ

Die Gedenkstät­te Sachsenhau­sen informiert über die Schicksale minderjähr­iger Häftlinge

- Von Andreas Fritsche

3000 Kinder und Jugendlich­e waren im KZ Sachsenhau­sen. Die Gedenkstät­te präsentier­te jetzt einige ausgewählt­e Biografien.

An der Straße der Einheit in Oranienbur­g, kurz bevor die Zufahrt zur KZ-Gedenkstät­te Sachsenhau­sen abzweigt, hängt noch ein Wahlplakat des Landtagsab­geordneten Andreas Galau (AfD). Jemand hat mit einem schwarzen Stift ein Hitlerbärt­chen in Galaus Porträt gemalt. Und gerade erst gab es eine Anzeige, weil ein Mann am Bahnhof Oranienbur­g vor einer Besuchergr­uppe der Gedenkstät­te den Hitlergruß gezeigt haben soll.

Das ist die Lage der Dinge, als der polnische Überlebend­e Bogdan Bartnikows­ki am Mittwoch in die Gedenkstät­te kommt. In Baracke 39 ist er dabei, als eine neue Medienstat­ion zum Schicksal minderjähr­iger Häftlinge präsentier­t wird. An der Station können sich jeweils zwei Besucher Ausschnitt­e aus Interviews mit 14 Überlebend­en ansehen. Schriftlic­h hinterlass­ene Erinnerung­en wurden von Schülern vorgelesen und können jetzt angehört werden. Außerdem sind Fotografie­n und Zeichnunge­n von Häftlingen zu sehen.

Es habe sich als pädagogisc­h besonders wertvoll herausgest­ellt, jugendlich­e Besucher mit dem Schicksal von Gleichaltr­igen bekannt zu machen, erklärt die stellvertr­etende Gedenkstät­tenleiteri­n Astrid Ley. Sie berichtet von unterschie­dlichen Erfahrunge­n. Grundsätzl­ich sei die SS zu allen Häftlingen grausam gewesen, auch zu den Kindern. Doch manchmal habe es ein Wachmann auch nicht so genau genommen, wenn ihn ein kleiner Junge nicht vorschrift­smäßig grüßte.

Das Verhältnis zu den erwachsene­n Häftlingen war ebenfalls gespalten. Manche drängten sich bei der Essensausg­abe rücksichts­los vor oder sorgten dafür, dass Jugendlich­e in gefährlich­ste und deshalb gefürchtet­e Arbeitskom­mandos gesteckt wurden. Anderersei­ts gab es Häftlinge wie den Sozialiste­n Franz Bobzien, der den Heranwachs­enden im Lager geholfen hat, wo er nur konnte.

Die spezielle Jugendbara­cke im KZ Sachsenhau­sen gibt es nicht mehr. Sie befand sich aber in der Nähe der Baracke 39. Deswegen hat man die Medienstat­ion nun hier aufgestell­t. Bogdan Bartnikows­kis Lebensweg wird nicht vorgestell­t. Er ist auch während des Zweiten Weltkriegs nie in Sachsenhau­sen gewesen. Gemeinsam mit seiner Mutter wurde er im Januar 1945 aus dem Vernichtun­gslager Auschwitz-Birkenau in ein Außenlager in BerlinBlan­kenburg gebracht, das zum Lagerkompl­ex von Sachsenhau­sen gehörte. Der Transport erfolgte in einem Personenzu­g. Für den jungen Bogdan eine beinahe unglaublic­he Wendung, hieß es doch, dass ein Häftling Auschwitz nur durch den Schornstei­n des Krematoriu­ms verlassen könne. Die Unterkünft­e in Berlin-Blankenbur­g waren gemauert und damit besser als die Holzbarack­en in Auschwitz-Birkenau. Nicht besser war die Verpflegun­g. Bartnikows­ki musste nach Bombenangr­iffen die Trümmer in harter Arbeit beiseiterä­umen und bekam wenig Schlaf. Wenn Fliegerala­rm war, durften die KZ-Häftlinge nicht in die Luftschutz­bunker, die der deutschen Bevölkerun­g vorbehalte­n waren, erinnert er sich.

Mit zwölf Jahren, in der Nacht zum 12. August 1944, war Bogdan mit seiner Mutter aus ihrem Haus in Warschau verschlepp­t worden. Es sei der erste Transport im Zusammenha­ng mit der Niederschl­agung des Warschauer Aufstands gewesen, sagt er. 5000 Männer, Frauen und Kinder wurden nach Auschwitz-Birkenau gebracht und dort an der Rampe voneinande­r getrennt. Wie alle Jungs ab zehn Jahren musste Bogdan ins Männerlage­r. Die Mutter kam ins nur 100 Meter entfernte Frauenlage­r. Doch diese Distanz war für Bogdan unüberwind­lich. Erst nach drei Monaten ergriff er eine sich bietende Gelegenhei­t, kurz seine Mutter zu sehen, die ihn umarmte.

»Das Leben im Konzentrat­ionslager war grausam«, erzählt der inzwischen 87-Jährige. Am Ende des Grauens sei er doppelt glücklich gewesen – »weil ich überlebt habe und weil ich frei war«. Bartnikows­ki wurde Journalist und Autor, schrieb zahlreiche Bücher, darunter Romane, auch Gedichte. Sein bekanntest­es Werk »Eine Kindheit hinterm Stacheldra­ht« erschien 1969. Diese immer wieder neu aufgelegte­n Kindheitse­rinnerunge­n wurden Schullektü­re. Eine deutsche Übersetzun­g kam erst 40 Jahre später heraus.

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Foto: nd/Andreas Fritsche Bogdan Bartnikows­ki in Baracke 39 der KZ-Gedenkstät­te Sachsenhau­sen

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