Indirektes Kopftuchverbot
Niedersachsen untersagt Justizmitarbeitern politische und religiöse Symbole
Richtern und Staatsanwälten in Niedersachsen wird künftig verboten, im Dienst Kleidungsstücke zu tragen, die »eine religiöse, weltanschauliche oder politische Überzeugung« ausdrücken.
Auf der roten Robe von Hitlers »Blutrichter« Roland Freisler, dem für seine Todesurteile gefürchteten Präsidenten des »Volksgerichtshofes«, prangte golden der Reichsadler mit dem Hakenkreuz. Mit Freislers Tod ging später auch jegliche politische Symbolik in bundesdeutschen Gerichtssälen unter. Wohl kein Richter hat sich dort jemals bis heute das Abzeichen einer politischen Partei an den schwarzen Talar geheftet. Dennoch hat sich Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) bemüßigt gefühlt, in einem jetzt im Landtag diskutierten Gesetzentwurf fortan Staatsanwälten und Richtern neben religiösen und weltanschaulichen auch politische »Symbole oder Kleidungsstücke« zu verbieten.
Womit rechnet die Ressortchefin? Dass der Vorsitzende eines Schöffengerichts mit einer alten KPD-Ballonmütze in den Saal kommt? Oder sich ein erkälteter Anklagevertreter ein CDU-Wahlkampfhalstuch mit Parteiwerbung um den geplagten Hals wickelt? Auch mit einem jüdischen Richter, der mit Kippa zum Prozess erscheint, dürfte nicht zu rechnen sein. Und so bleibt das in den Mantel allgemeinen Neutralitätsbemühens gekleidete Gesetz nichts weiter als das, was auch die oppositionellen Grünen in der Novelle sehen: Ein Kopftuchverbot.
Bereits im November 2018 war ein Referentenentwurf für das nun vor seiner Verabschiedung stehende Gesetz an die Öffentlichkeit gelangt. Von Journalisten seinerzeit zu dem geplanten Verbot befragt, sagte Havliza: Es komme immer wieder mal vor, dass eine Muslima sage, sie möchte ein Kopftuch tragen, wenn sie als Richterin oder Staatsanwältin auftrete.
Der Gesetzentwurf, so erklärte die Ministerin weiter, diene »der Sicherung des Vertrauens« sowohl der Verfahrensbeteiligen als auch der Öffentlichkeit in die »religiöse, weltanschauliche und politische Neutralität der Justiz«. Die neue Vorschrift gelte für das Auftreten von Richtern und Staatsanwälten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben »in einer Verhandlung oder bei anderen Amtshandlungen in Anwesenheit justizfremder Dritter«.
Einmütige Zustimmung erfuhr Havliza sowohl seitens der Sozial- und Christdemokraten als auch von den Oppositionsspartein FDP und AfD. Thiemo Röhler (CDU) bekundete, er sei »traurig«, dass der Gesetzesentwurf von »zwei Verbänden« – er nannte sie nicht – massiv kritisiert worden sei. Die Regelung sei doch »kein Berufsverbot«. Die Kritik kam vom Landesverband der Muslime in Niedersachsen (Schura) und von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG). Die Verbände kritisierten, dass das geplante Gesetz muslimische Frauen, die aus religiöser Überzeugung ein Kopftuch tragen, vom Richteramt ausschließen würde. Auch hatten die Organisationen bemängelt, dass Kopftücher im Verhandlungssaal verboten werden, das neue Gesetz jedoch nicht das Kreuz der Christen aus den Justizräumen verbanne. Auch dies sei ein religiöses Symbol.
Vor solch einem Kreuzverbot sei die Koalition zurückgeschreckt, stellte Helge Limburg (Grüne) fest. Nur noch in den zwei niedersächsischen Gerichten in Vechta und in Cloppenburg hingen Kreuze, erwiderte die Justizministerin. Das aber habe einen historischen Hintergrund, einen Protest aus dem Jahr 1936. Damals hatten sich in der Region viele Menschen gegen das vom Hitlerfaschismus angeordnete Abhängen der Kreuze gewehrt.
Der als »Kreuzkampf« in die Geschichte Südoldenburgs eingegangene Widerstand hatte viele tausend gläubige Katholikinnen und Katholiken mobilisiert, darunter sonst regimetreue Mitglieder der SA und der HJ. Besondere Andachten zum Verbleib der Kreuze, vor allem in Schulen, fanden statt, gut 3000 Pilger machten sich aus gleichem Anlass zu einer Wallfahrt auf. Schließlich lenkten die Nazis ein, nahmen den AntiKreuz-Erlass zurück. Dennoch blieb das Engagement der Bevölkerung nicht ohne böse Folgen: 1937 wurden mehrere Aktivisten des »Kreuzkampfes« ins Gefängnis geworfen, einer der beteiligten Männer kam ins Konzentrationslager Oranienburg.
An dieses Ereignis sollen die Kreuze in den beiden Gerichten erinnern. Auf Wunsch von Verfahrensbeteiligten können sie während einer Verhandlung abgenommen werden.
Die Verbände kritisierten, dass das Gesetz muslimische Frauen vom Richteramt ausschließen würde.