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Jetzt aber rebellisch

Ex-Spitzenkan­didat Rico Gebhardt bleibt Chef der Linksfrakt­ion im sächsische­n Landtag / Wie seine Stellvertr­eter ist er zunächst nur im ersten Jahr der Legislatur im Amt

- Von Hendrik Lasch

Die sächsische LINKE will nach dem Wahldebake­l mehr auffallen.

Die geschrumpf­te Linksfrakt­ion im sächsische­n Landtag sieht schweren Zeiten entgegen. Sie setzt deshalb an der Fraktionss­pitze auf Kontinuitä­t – zumindest für ein Jahr.

Sachsens LINKE und ihre parlamenta­rische Vertretung durchleben turbulente Zeiten. Bei der Landtagswa­hl am 1. September stürzte die Partei völlig unerwartet um gut acht Punkte auf 10,4 Prozent ab; ihre Fraktion wurde von 27 auf 14 Mitglieder fast halbiert.

An ihrer Spitze aber bleibt zumindest vorerst alles, wie es war: Rico Gebhardt ist erneut Fraktionsc­hef. Neun Abgeordnet­e sprachen sich bei der Wahl des Vorstands für ihn aus. Es gab vier Gegenstimm­en und eine Enthaltung. Seine Stellvertr­eterinnen sind Susanne Schaper (neun Ja, drei Nein) und Marika Tändler-Walenta (acht Ja, fünf Nein). Sarah Buddeberg bleibt Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin. Alle sind zunächst nur für ein Jahr und nicht, wie in früheren Wahlperiod­en, jeweils bis zur Hälfte der fünfjährig­en Legislatur im Amt.

Gebhardt räumte ein, er habe mit seiner Bewerbung »lange gezögert«. Der 56-jährige gebürtige Erzgebirge­r hatte die Partei zum zweiten Mal als Spitzenkan­didat in einen Wahlkampf geführt – und musste ein Ergebnis verdauen, das er am Wahlabend als »Katastroph­e« bezeichnet­e.

Die Frage nach der persönlich­en Verantwort­ung lag nahe. Gebhardt hat sie für sich so beantworte­t, dass er sein Amt fortführen will. »Verantwort­ung heißt, den Übergang zu organisier­en«, sagte er und fügte in Anspielung auf die Ex-Vorsitzend­e der Bundes-SPD an, er habe »nicht die Nahles machen« wollen. »Wenn Rücktritte etwas bringen würden«, sagte er, »läge die SPD heute bei 50 Prozent.«

Gebhardt führt die Fraktion der sächsische­n LINKEN seit 2012. Drei Jahre zuvor hatte er nach einer Landtagswa­hl bereits versucht, dem damaligen Spitzenkan­didaten André Hahn per Kampfkandi­datur den Fraktionsv­orsitz streitig zu machen, aber ohne Erfolg.

Von 2009 bis 2017 war er zudem Landesvors­itzender der sächsische­n LINKEN. Dabei erarbeitet­e er sich einen Ruf als Moderator – oder, in Anspielung auf seinen langjährig­en Heimatort, als »Schlichter von Bad Schlema«. In dieser Rolle wolle er dazu beitragen, dass die neue Fraktion »trotz der krisenhaft­en Situation« ihre Aufgaben wahrnehmen könne. Zu dieser Situation trägt bei, dass viele versierte Fachpoliti­ker nicht mehr im Landtag vertreten sind. Eines von vielen Beispielen: Finanzexpe­rtin Verena Meiwald, die, während die neue Fraktion den Vorstand wählte, ihr Ar

beitszimme­r ausräumen muss; Platz 19 auf der Landeslist­e reichte nicht für den Wiedereinz­ug ins Parlament.

In den Umzugskist­en werden auch alle Landesetat­s von 1999 bis heute landen, die Meiwald für ihre Fraktion zunächst als Mitarbeite­rin, dann federführe­nd als haushaltsp­olitische Sprecherin erarbeitet­e. Diese Expertise wird der neuen Fraktion fehlen.

In die Materie soll sich nun Nico Brünler einarbeite­n, der sich bisher um Arbeitsmar­ktpolitik kümmerte. Fraktionsc­hef Gebhardt wird sich künftig um den Bereich Justiz kümmern, die Antifa-Expertin Kerstin Köditz um Innenpolit­ik, um Bildung voraussich­tlich Luise Neuhaus-Wartenberg.

Neben neuen fachlichen Zuständigk­eiten muss sich die Fraktion auch an eine völlig neue Rolle im Parlament gewöhnen – die eher eine Nebenrolle sein dürfte. Die mediale Aufmerksam­keit dürfte sich auf die bereits im Wahlkampf entscheide­nde Konfrontat­ion zwischen CDU und AfD richten, zudem, falls diese zustande kommt, auf die Binnendyna­mik in der Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen und dabei vor allem die Frage, wie sich das Verhältnis zwischen den Christdemo­kraten und der Ökopartei gestaltet.

Die LINKE, die jahrelang Opposition­sführer war, droht unter dem Radar der Aufmerksam­keit hindurch zu rutschen. Die Erfahrung hat sie bereits in Sachsen-Anhalt sammeln müssen, wo sie seit 2016 in einer identische­n Lage ist.

Bei einer Klausur in der vergangene­n Woche haben sich die sächsische­n Abgeordnet­en mit Wulf Gallert, Vizepräsid­ent des Landtags in Sachsen-Anhalt, und dem dortigen Landeschef Stefan Gebhardt auch über mögliche Antworten ausgetausc­ht. Wie diese aussehen, dazu hält sich Rico Gebhardt noch bedeckt. Immerhin deutet er so viel an: »Bei uns fällt jetzt häufig das Wort ›rebellisch‹«.

»Ich werde nicht die Nahles machen. Wenn Rücktritte etwas bringen würden, läge die SPD heute bei 50 Prozent.« Rico Gebhardt, alter und neuer Chef der Linksfrakt­ion

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