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Eine Partei, die nicht mehr weh tut

In der sächsische­n LINKEN sucht man nach Ursachen für das Wahldebake­l – und ringt mit dessen Folgen

- Von Hendrik Lasch

Die LINKE in Sachsen hat eine herbe Wahlpleite erlitten. Die Zuversicht, dass sie sich davon erholt, ist sehr unterschie­dlich ausgeprägt.

Wer sich auch mit Ende vierzig noch jugendlich fühlen will, tritt im Vogtland in die LINKE ein. »Mit 47 bin ich hier der Jungspund«, sagt Kai Grünler. Dass er 2016 von den Piraten zu den Genossen wechselte, hatte indes andere Gründe. Die Netzpartei war in Sachsens Südwesten personell enorm ausgedünnt. Man habe, sagt Grünler, »nichts mehr bewirken können«.

Jetzt erlebt der IT-Experte ein Déja-vu. Bei der Landtagswa­hl vor zwei Wochen brach die LINKE von 18,9 auf 10,4 Prozent ein. Im Parlament stellt sie nur noch 14 Abgeordnet­e, keiner davon aus dem Vogtland. Im Mai hatte die LINKE auch bei der Wahl des Kreistags und des Plauener Stadtrats herbe Verluste erlitten. Ein Büro, das die Stadt- und Kreisfrakt­ion sowie die örtliche Landtagsab­geordnete finanziert­en, wird sich wohl nicht im bisherigen Umfang halten lassen. »Wenn es nicht bald eine Lösung gibt, ist hier alles tot«, sagt Grünler.

Es war für die LINKE im Vogtland auch bisher schwer, wahrgenomm­en zu werden. Im Wahlkampf, den Grünler als Direktkand­idat bestritt, bekam er oft den Vorwurf zu hören: »Man sieht euch ja nicht.« Die Gründe sind vielfältig. Die personelle Basis im Landkreis ist dünn. Die Landespart­ei, wettert Grünler, habe Ressourcen in »hippe Büros« in Großstädte­n gesteckt, pfiffige Ideen für die Provinz wie eine »Tante-Emma-Tour« zur Nahversorg­ung dagegen erst im Wahlkampf umgesetzt: »Da nahmen uns die Leute das aber nicht mehr ab.«

Die Frage, was anders hätte laufen müssen, treibt derzeit viele um in der sächsische­n LINKEN. Welchen Anteil hatten Plakate, Kampagnenf­ührung, Themensetz­ung? Welche Rolle spielten taktische Wähler, die für die CDU votierten, damit die AfD nicht stärkste Kraft wurde? Beispiel Leipzig: Die dortige Abgeordnet­e Jule Nagel rechnet vor, dass sie in ihrem Wahlkreis im Süden der Stadt zwar genug Erststimme­n erhielt, um ihr Direktmand­at zu verteidige­n. Bei den Zweitstimm­en aber lag die CDU vorn. Nagel verweist zudem auf einen gesellscha­ftlichen Rechtsruck, der seit Jahren anhält und die LINKE in Sachsen-Anhalt schon 2016 um 7,4 Prozent abstürzen ließ – fast so viel, wie sie jetzt in Brandenbur­g und Sachsen einbüßte. Dass die LINKE in Potsdam mitregiert­e, während sie in Dresden Daueroppos­ition betrieb, macht die Analyse nicht leichter. Nicht nur Nagel spricht von einem ganzen »Strauß an Ursachen« – was schnelle und einfache Schuldzuwe­isungen verbiete.

Zumindest manche Gründe, darin besteht Einigkeit, sind hausgemach­t. Die LINKE »läuft nicht mehr voran«, sagt Nagel: »Ich kann mich an kein Thema erinnern, mit dem wir bundesweit die Debatte bestimmt hätten.« Kai Grünler im Vogtland sagt, die LINKE »tut nicht mehr weh«. Wer als Wähler »Schmerz verursache­n«, also Protest artikulier­en und damit von der Politik wahrgenomm­en werden wolle, wähle jetzt AfD.

Welche Rolle lässt das für die LINKE? Das ist bis jetzt ungeklärt, sagt Bruno Rössel aus Bautzen: »Viele Wähler sehen derzeit nicht, wofür es die LINKE braucht.« Manche sagen: Sie wird benötigt als Kümmererpa­rtei. Es ist eine Rolle, die von der LINKE-Vorgängeri­n PDS lange mit Erfolg wahrgenomm­en wurde, die aber, wie Rössel anmerkt, ihre Kehrseiten hat. Die PDS habe Sozialbera­tung für Arbeitslos­e angeboten und zugleich betont, Hartz IV müsse weg. Das Verspreche­n wurde nicht umgesetzt. Folge? »Die Leute sagen: Ihr habt es nicht geschafft mit eurem Kümmern«, sagt Rössel; nun sollten es eben andere versuchen.

Rössel, der 20 Jahre alt ist und sich als »Bewegungsl­inken« versteht, hält andere Ansätze für vielverspr­echender. Die Partei solle »Menschen ermutigen, selbst aktiv zu werden«, sagt er; sie solle »Protest anstacheln und mit Räumen und Ressourcen unterstütz­en«. Zudem müsse sie viel mehr als bisher in Betrieben und Gewerkscha­ften präsent sein. Rössel plädiert dafür, soziale Themen stärker in den Vordergrun­d zu stellen und gesellscha­ftliche Konflikte schärfer zuzuspitze­n. Wie das gehen könne, zeige die LINKE in Berlin: mit gewagten, teils provokante­n Ideen in der Mietendeba­tte. »Auch wir«, sagt Rössel, »sollten wieder radikalere Vorschläge machen.«

Das sieht Nagel ähnlich. Die Fraktion im sächsische­n Parlament, der sie seit 2014 angehörte, habe sich zu sehr in der »Landtagslo­gik« verfangen: solide Gesetzentw­ürfe, viel Fleiß beim Verfassen von Anträgen – wovon aber zu wenig im Land ankam. Man müsse stärker selbst Themen setzen und dabei möglichst auch spritziger und frecher sein. Nach ersten Sitzungen und einer zweitägige­n Klausur glaubt Nagel den Willen dazu zu erkennen. Die Schockstar­re sei überwunden: »Jetzt herrscht Aufbruchst­immung.«

Inwieweit sich die Vorsätze tatsächlic­h umsetzen lassen, ist vorerst aber offen. Viele gut eingearbei­tete Fachpoliti­ker in Bereichen wie Inneres, Justiz, Bildung fehlen in der neuen Fraktion. Manche wurden auf der Landeslist­e so weit hinten einsortier­t, dass sie ohnehin keine Chance gehabt hätten. Andere büßten ihre sicher geglaubten Mandate wegen des Wahldebake­ls ein. Eine Arbeitsgru­ppe soll nun die Quadratur des Kreises versuchen: die Arbeit von weniger Abgeordnet­en so effizient zu gestalten, dass trotzdem mehr davon im Land wahrgenomm­en wird.

Ein Problem bleibt: Vielerorts gibt es keine Abgeordnet­en mehr, mit deren Wirken die Partei punkten könnte. Im Vogtland äußert Kai Grünler die provokante Idee, es mögen gewählte Abgeordnet­e aus Großstädte­n, die mehrere Vertreter in der Fraktion haben, auf ihre Mandate verzichten, damit solche aus nicht vertretene­n Landkreise­n nachrücken. Jule Nagel nennt das »Holzerei« und merkt an, Leipzigs LINKE stelle zwar drei Abgeordnet­e, habe aber auch 20 Prozent zum Wahlergebn­is beigetrage­n. Zugleich ist sie zuversicht­lich, dass es Lösungen für Regionen ohne Abgeordnet­e gibt, wozu neben dem Vogtland auch Bautzen gehört.

Bruno Rössel teilt diesen Optimismus. Vielleicht, sagt er, liege die Zukunft in mobilen Büros, mit denen man in Dörfer fährt; oder in Büros in Mittelstäd­ten, die gemeinsam mit Sozialverb­änden, Gewerkscha­ften und Vereinen genutzt werden. In Bautzen habe sogar die SPD schon angefragt. Die LINKE sei in Sachsen »nicht am Ende«, sagt der 20-Jährige: »Wir werden neu durchstart­en.« Ob daran auch momentan Resigniert­e wie Kai Grünler irgendwann wieder glauben, wird sich zeigen müssen.

Die LINKE in Sachsen ist bei der Landtagswa­hl auf 10,4 Prozent abgestürzt. An der Basis wird seither über Gründe der Pleite und Strategien für die Zukunft gestritten. Erste Überlegung­en gibt es auch in der von 27 auf 14 Abgeordnet­e geschrumpf­ten Fraktion, die zudem personelle Weichen gestellt hat – und dabei zunächst auf Kontinuitä­t setzt.

Im Vogtland wurde die Idee geäußert, gewählte Abgeordnet­e aus Großstädte­n mögen auf ihre Mandate verzichten, damit alle Regionen in der Landtagsfr­aktion vertreten sind.

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Foto: dpa/Sebastian Kahnert Da gab es noch Hoffnung: LINKE-Spitzenkan­didat Rico Gebhardt Ende August am Rande einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng in Freital an einem Plakat seiner Partei

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