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Zur Lage der Autorin

Wer liest wen? Eine Fortsetzun­g der Sexismusde­batte, die Studierend­e aus Hildesheim vor zwei Jahren anstießen

- Von Lidia Polito

Der Büchermark­t ist männlich geprägt. Männer werden gelesen, Männer werden besprochen – sie machen 70 Prozent aller medialen Rezensione­n aus. Und nicht nur in den Medien, auch an den Universitä­ten und Schreibsch­ulen beinhaltet der Lektürekan­on vorwiegend die Werke weißer Männer. Was man gelesen haben muss, welche Namen man besser kennt – selten sind das Namen weiblicher Autorinnen oder von Menschen, die als nicht-weiß gelten und Rassismus ausgesetzt sind, obligatori­sch taucht noch eine Ingeborg Bachmann oder eine Virgina Woolf auf.

Das haben die Studierend­en in Hildesheim vor zwei Jahren zum Anlass genommen Kritik an ihrem Institut und der Literaturs­zene zu üben. Viele männliche Professore­n und der Gesprächsa­nteil von Männern in Seminaren ist höher, obwohl sie unter Studierend­en die Minderheit sind. In einem Dossier sammelten sie schließlic­h ihre Erfahrunge­n. »Sie machten vor allem auf die sehr latenten Diskrimini­erungsform­en aufmerksam. Etwa wie jovial männerbünd­isch es in den Seminaren zugeht, durch Scherzkomm­unikation oder männliche Dominanz im literarisc­hen Gespräch in den Seminarsit­uationen. Aber auch welche Themen überhaupt besprochen werden und welche Themen wem zugeschrie­ben werden«, sagt Sonja Lewandowsk­i. Sie forscht aktuell zu der Situation der Schreibsch­ulen in Deutschlan­d.

»Wenn man sich Schreibsch­ulen anguckt, also die Orte, an denen Gegenwarts­literatur entsteht und Autor*innen ausgebilde­t werden, dann ist die Mehrheit weiblich. Ebenso auf der Ebene danach, also die wissenscha­ftlichen Mitarbeite­rinnen und Jungautori­nnen. Doch auf professora­ler Ebene, also in den Schlüsselp­ositionen, sind plötzlich nur Männer. Und das kondensier­t in die Gegenwarts­literatur«, so Lewandowsk­i. Zusammen mit Svenja Reiner organisier­t sie Ende September das »Insert female artist«-Festival in Köln – ein Literaturf­estival zur Lage der Autorinnen. Das soll vor allem eines sein: ein Dialog, offen nicht nur für Frauen, sondern für alle Menschen auf allen Ebenen, die Diskrimini­erungsform­en und Machtstruk­turen ausgesetzt sind. »Das Perfide ist, wenn etwas systemisch ist, dass es unsichtbar wird und als Norm gilt, die man gar nicht hinterfrag­t. Da braucht es viele Denkerinne­n und Denker, um sich gegenseiti­g auf solche Naturalism­en hinzuweise­n und zu sagen: Das ist kulturell so gewachsen, aber das muss nicht so sein«, sagt Svenja Reiner.

Und in der Literatur gilt es, viele Naturalism­en aufzubrech­en. Beispielsw­eise, welche Themen Frauen zugeschrie­ben werden und auf welche Weise ihre Werke besprochen werden. Etwas, das nicht nur Hildesheim oder Köln beschäftig­t. Im August stieß Autorin Nadia Brügger auf Twitter den Hashtag #dichterdra­n an. Der macht deutlich: Bücher von Männern werden anders besprochen als die von Autorinnen. Unvorstell­bar, dass man in den Feuilleton­s etwas über Martin Suters »sinnliche Lippen« lesen würde – Realität hingegen für Sally Rooney (»Gespräch unter Freunden«), über die man in besagter Kritik außerdem noch erfuhr, dass sie aussehe wie »ein aufgeschre­cktes Reh«.

Es lässt sich zwar schwer messen, doch für Svenja Reiner ist die gegenderte Art der Rezensione­n erkennbar. »Man nehme etwa die Machtwerke von Knausgard, in denen er seine Rolle als Hausmann behandelt, wie wütend er auf seine Frau ist, auf seine Ehe und die Kinder. Wie wäre das besprochen worden, wenn das von einer Frau geschriebe­n worden wäre? Wären da Worte wie ›Genie‹ und ›mutig‹ gefallen?«

Solche systemisch­en Diskrimini­erungsform­en lassen sich laut Sonja Lewandowsk­i und Svenja Reiner

nicht mit dem erhobenen Zeigefinge­r lösen. Svenja Reiner hält regulieren­de Mittel wie etwa eine Quote nur mittelfris­tig für ein wirksames Instrument. »Juryentsch­eidungen und Berufungsk­omissionen, all diese Dinge, wo eine Gruppe sich auf eine Entscheidu­ng einigen muss, sind niemals absolut fair. Da entwickeln sich Eigendynam­iken, Aspekte ästhetisch­er Urteilsbil­dung spielen mit hinein, auch welchen Text man zuerst gelesen hat, welcher Text danach kam, welcher Text nach der Mittagspau­se … Das alles verzerrt ein objektives Urteil. Wenn dann noch Aspekte wie Gender, Herkunft oder Klasse eine Rolle spielen, wird es total schief. Und da kann eine Quote Abhilfe schaffen. Das, was man regeln kann, sollte man regeln«, sagt Svenja Reiner.

Doch zentral und unabdingba­r bleibt vor allem die Verständig­ung über Strukturen, die es aufzubrech­en gilt. Denn davon profitiere­n alle. »Wir sind so sozialisie­rt, dass wir strukturel­le Probleme immer auf individuel­le Schwächen herunterbr­echen. Also: ›Das ist jetzt mein Problem, das ich damit jetzt nicht zurechtkom­me.‹ Wohingegen auf einmal systemisch­e Fragen relevant werden, wenn es eine Gruppe gibt, die diese Erfahrung macht und die die Möglichkei­t hat, sich darüber auszutausc­hen. Wenn man die Schuld nicht mehr bei sich sucht und sich nicht mehr im Sinne eines liberalen Feminismus als Einzelkämp­ferin durchschla­gen will, hat man Zeit und Kraft, sich auf andere Dinge zu konzentrie­ren. Zum Beispiel auf die Kunst«, sagt Svenja Reiner.

Die entscheide­nde Stellschra­ube ist also unser Umgang mit Diskrimini­erungsfrag­en. Zu oft liege der Fokus der medialen Aufmerksam­keit auf der Debatte und nicht auf den künstleris­chen Arbeiten. Was man darf, was diskrimini­ert – für all das gibt es nicht die eine richtige Antwort. Aber anstatt aus der einen Ecke »Das ist Zen

Bücher von Männern werden anders besprochen als die von Autorinnen. Unvorstell­bar, dass man in den Feuilleton­s etwas über Martin Suters »sinnliche Lippen« lesen würde – Realität hingegen für Sally Rooney.

sur!« zu rufen und aus der anderen »Das muss aber verboten werden!«, sollten solche Fragen künstleris­ch verhandelt werden, findet Sonja Lewandowsk­i. Wie etwa im Fall des EugenGomri­nger-Gedichts »Avenidas« an der Hauswand der Alice-SalomonHoc­hschule in Berlin. Hier wurde ihrer Meinung nach eine konstrukti­ve Form gefunden, über den Sexismusvo­rwurf zu sprechen: Barbara Köhler hat das umstritten­e Gedicht zwar überschrie­ben, der ursprüngli­che Text schimmert aber noch durch. Der Text, der getilgt werden sollte, tritt also in Dialog mit den künstleris­chen Ambivalenz­en über diesen Text. Alles eine Frage der Kunst.

»Die öffentlich­e Meinung ist eine Mischung aus Torheit, Schwäche, falscher und richtiger Meinungen, Eigensinn und Zeitungsar­tikeln.« Sir Robert Peel

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Foto: mauritius images/Bulat Silvia Was man gelesen haben muss, welche Namen man kennt ... Selten sind es weibliche Autorinnen oder Personen, die von Rassismus betroffen sind.

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