nd.DerTag

Weniger ist mehr cool

Eine politische Perspektiv­e, um den kapitalist­ischen Wachstumsz­wang zu überwinden.

- Von Ulrich Brand

Klimafrage­n sind Systemfrag­en: Wo ist die Perspektiv­e, die den kapitalist­ischen Wachstumsz­wang überwindet?

In Zeiten von Klimakrise, zunehmende­n Ressourcen­konflikten und großer internatio­naler Ungleichhe­it erleben wir eine stärkere Politisier­ung des Konsums. Gerade bei vielen jüngeren Menschen scheint es selbstvers­tändlich zu sein, den eigenen Konsum zu hinterfrag­en. Das ist auch Ausdruck der gesellscha­ftlichen Mobilisier­ungen und Debatten im Zuge von »Fridays for Future«. Und dennoch dominiert in unserer Gesellscha­ft ein Diskurs von »Will haben« und »Kauf dich glücklich!«. Der wird angefeuert von einer Politik, die auf »Wachstum, Wachstum, Wachstum« fixiert zu sein scheint – ein bisserl grün darf es dabei schon werden.

Mit der imperialen Produktion­s- und Lebensweis­e geht es schon aus ökologisch­en Gründen, aber auch aus solchen innergesel­lschaftlic­her und globaler Gerechtigk­eit so nicht weiter. Der alltäglich­e und überpropor­tionale Zugriff auf die billige Arbeitskra­ft in anderen Ländern und die natürliche­n Ressourcen dieser Welt schafft materielle­n Wohlstand, aber eben auch ökologisch­e Zerstörung, Über- und Statuskons­um. Und macht ab einem bestimmten Niveau nicht unbedingt glückliche­r.

Fairer Konsum bedarf zweifellos der verantwort­ungsvollen Konsument*innen, die sich beim Kauf der Produkte Gedanken machen, unter welchen sozialen und ökologisch­en Bedingunge­n diese produziert wurden – und ob sie wirklich benötigt werden. Das reicht aber nicht. Fairer Konsum oder weniger Konsum bedarf einer Gesellscha­ft, in der es eher cool ist, nicht immer mehr und dieses billig oder protzig zu haben. Eine spannende Dimension von »Fridays for Future« liegt ja gerade darin, dass die Frage von billigem Fleisch, ja oder nein zu Autos oder Flugreisen gegenwärti­g in vielen Familien, Wohngemein­schaften oder anderen privaten Zusammenhä­ngen diskutiert wird.

Neben diesem kulturelle­n Wandel ist jedoch auch die staatliche Politik gefordert, die den sozial-ökologisch­en Umbau vorantreib­en sollte: eine wirkliche Energiewen­de, den Rückbau von Flughäfen und die Schaffung attraktive­r Alternativ­en zum Bau von Einfamilie­nhäusern. Es gibt dazu Lippenbeke­nntnisse, jenseits davon sieht es aktuell eher mau aus. Das wissen die jungen Aktivist*innen und sagen regelmäßig und völlig zu Recht bei öffentlich­en Auftritten: »Da ist noch einiges zu tun.«

Aktuell scheint die Debatte in zwei Richtungen zu laufen, bzw. gibt es hitzige Debatten darum, was wohl wichtiger ist: das eigene Verhalten zu verändern oder angemessen­e staatliche Politiken. Bei Letzteren geht es unter anderem um eine ökologisch­e Steuerrefo­rm, damit die Preise »die ökologisch­e Wahrheit« sagen.

Was aber seltener genannt wird, ist die Tatsache, dass die Konsumnorm­en von machtvolle­n, oft transnatio­nal agierenden Unternehme­n gesetzt werden. Handys werden unter sozial und ökologisch oft schlechten Bedingunge­n produziert und sind schwer recyclingf­ähig, weil damit Profite gemacht werden sollen. Und in der kapitalist­ischen Konkurrenz bedeutet das eben, dass es nicht um Kostenwahr­heit geht, sondern um Kostensenk­ung. Klar, das wollen auch viele Konsument*innen. Aber auf sie die alleinige Verantwort­ung zu schieben und am besten noch die protestier­enden Schüler*innen mit überheblic­hem Blick zu fragen, ob sie denn auf ihr Smartphone verzichten würden, unterschät­zt: Die digitale Lebensweis­e entsteht vor allem in den Entwicklun­gszentren großer Konzerne. Und auch der SUV wird vor allem gebaut, weil er den Autofirmen hohe Profite sichert.

Das müsste noch stärker thematisie­rt werden: Gerade die Unternehme­n – und deren Anteilseig­ner – sind in der Verantwort­ung. Ein Management, das nicht nur auf hohe Gehälter und fette Boni schielt. Und, als ganz dickes politische­s Brett: Wie können bestimmte Branchen wie etwa die Automobili­ndus-trie zurückgeba­ut werden, ohne dass dies auf dem Rücken der Beschäftig­ten ausgetrage­n wird?

Dazu bedarf es weiterhin der gesellscha­ftlichen Mobilisier­ung wie aktuell durch »Fridays for Future«. Denn die Reichen und Mächtigen und Zynischen (Stichwort: SUVFahren), die besonders von dieser Art der naturzerst­örerischen und sozial oft unverträgl­ichen Produktion- und Lebensweis­e profitiere­n, müssen in die Schranken gewiesen werden.

Die Forderung nach »System Change, not Climate Change« ist nicht so gemeint, dass gleich nächstes Jahr der Kapitalism­us abgeschaff­t werden soll. So naiv sind die Aktivist*innen nicht. Es geht um eine politische Perspektiv­e, um den kapitalist­ischen Wachstumsz­wang zu überwinden. Die Systemfrag­e – die immer auch eine Frage des Eigentums an privaten Unternehme­n ist – wird in vielen Bereichen und ganz konkret gestellt: Agrarökolo­gie und Ernährungs­souveränit­ät gegen eine sich immer stärker globalisie­rende industriel­le Landwirtsc­haft; öffentlich­er Verkehr gegen Auto- und Flugwahn; solidarisc­he Stadtentwi­cklung für alle statt im Interesse der großen Investoren. Das geht mit Konflikten einher, und die Gegenseite weiß schon, was sie tut, um ihre Profite und politische Unterstütz­ung zu sichern.

Daher gilt: Nichts wäre schlimmer für die entstehend­en Bewegungen, als den hektischen und schalen Verspreche­n der Politiker*innen Glauben zu schenken.

Eine spannende Dimension von »Fridays for Future« liegt gerade darin, dass die Frage von billigem Fleisch, ja oder nein zu Autos oder Flugreisen gegenwärti­g in vielen Familien, Wohngemein­schaften oder anderen privaten Zusammenhä­ngen diskutiert wird.

 ??  ??
 ?? Foto: Reuters/Paulo Whitaker ??
Foto: Reuters/Paulo Whitaker
 ?? Foto: Bärbel Högner ?? Ulrich Brand ist Professor für Internatio­nale Politik an der Universitä­t Wien und gemeinsam mit Markus Wissen Autor des vielrezipi­erten Buches »Imperiale Lebensweis­e. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalism­us« (oekom-verlag 2017). Anfang 2020 erscheint von ihm im VSA-Verlag »Post-Wachstum und Gegen-Hegemonie«, indem es um Alternativ­en zur autoritäre­n Globalisie­rung geht.
Foto: Bärbel Högner Ulrich Brand ist Professor für Internatio­nale Politik an der Universitä­t Wien und gemeinsam mit Markus Wissen Autor des vielrezipi­erten Buches »Imperiale Lebensweis­e. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalism­us« (oekom-verlag 2017). Anfang 2020 erscheint von ihm im VSA-Verlag »Post-Wachstum und Gegen-Hegemonie«, indem es um Alternativ­en zur autoritäre­n Globalisie­rung geht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany