Kein weißer Fleck mehr
Bewegungsexperte Simon Teune über die Schülerstreiks
Auch in Kuba ist »Fridays for Future« angekommen – aber nicht vom Staat als Bewegung anerkannt.
Für dieses Wochenende hat die Schülerstreikbewegung »Fridays for Future« (FFF) zum internationalen Klimastreik aufgerufen. Was bräuchte es, damit der Protest ein Erfolg wird? Wenn es gelingt, dass sehr viele Menschen – und nicht nur die üblichen Verdächtigen – auf die Straße und nicht zur Arbeit gehen, könnte von dem Streik tatsächlich ein starkes Signal ausgehen. Wie groß die Beteiligung sein wird, ist im Vorfeld aber überhaupt nicht abzuschätzen. Die Protestform des Sozialstreiks, also der Versuch, das ganze Land lahmzulegen, ist abseits des Frauenstreiks sehr selten und gewissermaßen unkartiertes Gelände.
Die Gewerkschaften unterstützen zumindest verbal den Protest. Sie rufen ihre Mitglieder jedoch nur zum Ausstempeln oder Freimachen auf, aber nicht zum direkten politischen Streik. Ist das nur ein Lippenbekenntnis? Die politischen Kosten für eine Unterstützung sind in den Gewerkschaften sehr unterschiedlich verteilt. Wenn man nur auf die gegenwärtig Beschäftigten schaut, gibt es klare Interessenskonflikte. Die IG-Metall beispielsweise ist in der Automobilindustrie stark verankert und wird sich dementsprechend eher zurückhalten, Ver.di kann sich ein lauteres Bekenntnis zum Klimaschutz einfacher leisten. Generell hätte man sich von den Gewerkschaften für den Klimastreik ein stärkeres Signal vorstellen können.
Hat FFF die Interessengegensätze zwischen Wirtschaft und Umweltschutz denn auf dem Schirm? Grundsätzlich finden wir innerhalb der FFF das Nebeneinander einer schwächeren antikapitalistischen und einer stärkeren liberalen Perspektive. Es gibt Leute, die macht- und herrschaftskritische Positionen vertreten, aber es gibt auch eine weit verbreitete Annahme, dass man einfach nur die Regierung überzeugen müsste, wissenschaftliche Erkenntnisse in Politik umzusetzen und dann werde alles gut. Dass große Bereiche der Wirtschaft im Moment Teil des Problems sind, ist den meisten klar. Aber dass politische Entscheidungen auch an ökonomische Interessen gekoppelt sind, nicht unbedingt.
Wie ist es mit der sozialen Frage in der Bewegung? Die soziale Dimension von Klimaschutzmaßnahmen steht in der Bewegung noch nicht ganz oben auf der Prioritätenliste. Inwiefern Menschen von bestimmten Maßnahmen unterschiedlich betroffen sind, wird wenig berücksichtigt. Man pocht vor allem auf die Einhaltung der Pariser Klimaziele, offensive Vorschläge zum Umgang mit den sozialen Kosten der ökologischen Transformation gibt es kaum. Diese Kritik gilt explizit nicht für die internen Diskussionen in den einzelnen Ortsgruppen. Aber in den öffentlichen Äußerungen kommt davon wenig an. Da ist die Gefahr groß, dass man weite Teile der Bevölkerung nicht mitnimmt und gleichzeitig den politischen Gegnern das Spielfeld überlässt.
Welche weiteren Diskussionen werden derzeit in der Bewegung geführt? Es wird innerhalb FFF immer wieder auch darüber diskutiert, ob man jenseits des Schulstreiks Aktionen des zivilen Ungehorsams stärker unterstützen sollte.
Sollten sie aus Forschersicht?
FFF hat eine klare, wiedererkennbare Form gefunden, mit der es gelungen ist, großen Druck aufzubauen. Die wöchentlichen Streiks und Demonstrationen haben die gesamte Klima-Bewegung belebt. Radikalere Protestformen wie die Blockaden von Braunkohlebaggern haben eine andere Funktion: Sie unterbrechen alltägliche Abläufe und schaffen symbolträchtige Ereignisse. Die unterschiedlichen Ansätze entfalten im Zusammenspiel die stärkste Wirkung. Dazu müssen die FFF nicht selbst Blockaden organisieren, einige von ihnen beteiligen sich auch so schon an den Aktionen von Ende Gelände oder »Extinction Rebellion«.
Ist es FFF ist denn gelungen, die öffentliche Debatte nachhaltig zu bestimmen? Von einer bundesweiten Perspektive aus ist es gelungen, den drohenden Klimakollaps ganz oben auf die Agenda zu setzen. Regional gibt es aber große Unterschiede. In einzelnen Gegenden rangiert das Thema deutlich weiter hinten. Und es gibt nach wie vor eine kleine, aber laute Minderheit, die sich offensiv gegen FFF und speziell Greta Thunberg positioniert.
Die meisten Parteien und auch einige Konzerne haben dagegen die Stärke von FFF erkannt und versuchen immer offensiver die Bewegung zu vereinnahmen. Wie geht diese damit um? Am Anfang wurde noch versucht, die Proteste zu delegitimieren. Das war aber nur bedingt erfolgreich. Angesichts der diskursiven Übermacht von FFF musste die Strategie angepasst werden. Nun versucht man das Engagement der Bewegung zu loben, aber eine Politik zu suggerieren, die die eigenen Interessen möglichst wenig tangiert. FFF geht mit dieser Herausforderung ziemlich intelligent um. Schon mehrmals hat FFF gegen Vereinnahmungsversuche von Politikern interveniert, etwa von Wirtschaftsminister Altmaier oder auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Jugendlichen sind nicht naiv, sie kennen die Fakten und sie wissen sehr genau was die Bundesregierung bislang getan hat und was nicht.
Könnte sich die FFF weiter radikalisieren, falls die Politik keine substanzielle Veränderung in der Umweltpolitik einleitet? Das ist eine absehbare Entwicklung. Wenn die Schulstreiks und Demonstrationen keine Wirkung zeigen, werden mehr Leute bei den FFF sagen: »Wir können auch anders«. Der Zeitdruck wird diese Haltung noch verstärken.