Trendwende oder Eintagsfliege?
Die Unterstützung der Gewerkschaften für »Fridays for Future« muss sich in den Betrieben bewähren.
Zahlreiche Gewerkschaftsmitglieder werden dem Aufruf zum globalen Klimastreik folgen. Zwar haben die Spitzen von DGB und Einzelgewerkschaften im Vorfeld des Aktionstags dem Wunsch linker Basisaktivisten nicht entsprochen, die Aufrufe zu einem politischen Streik gefordert hatten. Doch seitdem ver.di-Chef Frank Bsirske im August den Gewerkschaftsmitgliedern eine Teilnahme empfohlen hat, ist Bewegung in die innergewerkschaftliche Debatte gekommen. Seither machten vielfältige Aufrufe gewerkschaftlicher Gliederungen zur Teilnahme »außerhalb der Arbeitszeit« die Runde. Ausdruck einer Trendwende oder Eintagsfliege?
Die größten Berührungsängste gegenüber der Klimabewegung hat nach wie vor die Bergbau- und Chemiegewerkschaft IG BCE. Sie ist in den Braunkohlerevieren verwurzelt und steht unter dem Druck ihrer Mitglieder, die um ihre Existenz bangen, und der Konzerne, die den Tagebau betreiben und aus der Kohleverstromung Profite ziehen. Der Jenaer Soziologieprofessor Klaus Dörre spricht in diesem Zusammenhang von einer »Wagenburgmentalität« und »wechselseitigen Abschottungstendenzen« sowohl bei den Unternehmen und Beschäftigten in den Revieren, als auch im Lager der Braunkohlegegner und Klimaschützer. Dies trage dazu bei, dass »die politische Suche nach einem klimaschützenden Notausgang zusätzlich erschwert wird«, so Dörre. Klimaleugner der AfD versuchen, sich diese Verunsicherung demagogisch zunutze zu machen.
Auch ver.di organisiert Beschäftigte im Energiesektor. In früheren Jahren gingen immer wieder führende Gewerkschafter mit den Belegschaften von Kohle- und Atomkraftwerken auf die Straße. Nun bekennt sich der ver.diBundesvorstand ausdrücklich zum Pariser Klimaabkommen und der damit verbundenen Verpflichtung zur CO2-Reduktion. »Diese nationalen Ziele werden für 2020 nicht erreicht. Einzig die Energiewirtschaft erfüllt in Deutschland bislang ihre Klimaverpflichtungen«, heißt es in dem Statement, das ver.di-Mitglieder in der Energiebranche einbinden soll. »Bei Verkehr, Gebäuden und Landwirtschaft muss dringend mehr getan werden, um den CO2Ausstoß dieser Sektoren zu verringern.«
Damit liegt der Ball im Verkehrssektor, wo der CO2-Ausstoß steigt und der Straßenverkehr als Hauptverursacher gilt. Weil abgesehen vom Rad- und Fußverkehr die Eisenbahn das umweltfreundlichste Verkehrsmittel ist, hat man jetzt auch in der DGB-Bahngewerkschaft EVG den Nutzen eines Schulterschlusses mit »Fridays for Future« entdeckt. »Für mehr Klimaschutz braucht es eine stärkere Bahn und dafür deutlich mehr Investitionen in die Schieneninfrastruktur«, heißt es in einem EVG-Aufruf für den 20. September. »Wir müssen Verkehr völlig neu denken und schnellstmöglich effektive Anreize schaffen, Verkehr zu vermeiden beziehungsweise umweltfreundliche Alternativen zu nutzen.«
Aus besonderer Betroffenheit heraus machen die EVG-Betriebsräte der Güterbahn DB Cargo für die FFF-Demos mobil. Sie führen einen zermürbenden Abwehrkampf gegen den Abbau von Infrastruktur und den Rückzug aus der Fläche. Die jüngst vorgeschlagene Streichung des Einzelwagenverkehrs hat das Fass zum Überlaufen gebracht. »Neben mehreren Hundert Güterverkehrsstellen sind auch mehrere Tausend Arbeitsplätze bei Cargo in Gefahr«, warnt der Gesamtbetriebsrat. »In Zeiten, in denen die Schiene so viel politischen Zuspruch erhält wie schon lange nicht mehr, wären solche Pläne ökologischer Wahnsinn«, so das Fazit. »Der Schienengüterverkehr ist Klimaschützer und kann morgen Klimaretter werden«, sagt Jörg Hensel, DB Cargo-Gesamtbetriebsratschef. Er fordert eine »grüne Logistik« mit dem Schienenverkehr als Rückgrat. Solche Strukturen bestanden früher und wurden unter dem Druck von Mineralöllobby und als Folge der Privatisierung im Bahn-, Post- und Logistikbereich zerschlagen.
Auch die IG Metall mit ihren Bastionen in Automobil- und Lkw-Werken sieht sich den Pariser Klimazielen verpflichtet und hält sich zugute, dass sie mit ihrer Großkundgebung »Fairwandel« im Juni in Berlin die Frage einer Vereinbarkeit von Klimaschutz und dem Erhalt gut bezahlter Arbeitsplätze auf die Straße getragen hat. Die IG-Metall-Jugend hat bereits im Frühjahr ihre Solidarität mit FFF erklärt.
So könnte der 20. September ein erster Meilenstein auf dem gemeinsamen Weg von Klimaschützern und Gewerkschaftern in eine nachhaltige Zukunft sein. Dies dürfte bei den anstehenden Gewerkschaftstagen von ver.di und IG Metall zum Ausdruck kommen. Die Bekenntnisse zum Klimaschutz werden auf die Probe gestellt, wenn Gewerkschafter wie IGMetall-Chef Jörg Hofmann und Betriebsräte wie Jörg Hensel als Akteure der Mitbestimmung und »Sozialpartnerschaft« in den Aufsichtsräten von VW oder Deutscher Bahn über Vorlagen zu entscheiden haben, die Rendite über Klimaschutz stellen. Der sich abzeichnende Wirtschaftsabschwung und die Überproduktionskrise der Autobranche werden den Druck auf die Beschäftigten verstärken und Forderungen nach einer Weiterführung der profitablen Produktion umweltschädigender Güter und einem lascheren Umgang mit Umweltstandards beflügeln.
»Unterlassene Transformation gefährdet Arbeitsplätze«, hält der frühere VW-Betriebsrat Stephan Krull solchen Erwägungen entgegen. Er plädiert in einer Modellrechnung für einen »Ausstieg aus dem Automobilismus«, Arbeitszeitverkürzung und den Umstieg auf Schienenverkehr. Wegfallenden Jobs im Autosektor stünden mehr neue Stellen bei der Produktion von Schienen und Schienenfahrzeugen, in Verkehrsbetrieben, Landespflege, Umschulung, Bildung und Gesundheitswesen gegenüber, so Krull. Er weiß, dass diese Ziele ohne Eingriffe in das kapitalistische Privateigentum nicht zu erreichen sind. In diesem Sinne trugen linke Metaller bei der Berliner Demonstration im Juni T-Shirts mit dem Wortlaut von Paragraf 2 der Gewerkschaftssatzung. Darin ist die »Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum« als Ziel festgeschrieben.
Der Schulterschluss von Umwelt- und Arbeiterbewegung könnte auch Schaden nehmen, wenn vor dem Hintergrund einer tiefen Wirtschaftskrise die Forderung nach Lohnverzicht und Abbau von sozialstaatlichen Errungenschaften mit einem ökologischen Seitenhieb und Zeigefinger versehen wird. Plädoyers für eine »ökologische Austerität« und Mäßigung bei Lohnforderungen seien kontraproduktiv, mahnt der Soziologe Klaus Dörre. Auf kapitalistischer Basis würde dies lediglich die Unternehmensgewinne erhöhen, das Ungerechtigkeitsempfinden der Lohnabhängigen steigern und Beschäftigte in die Arme rechter Kräfte treiben, so seine Warnung.