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Trendwende oder Eintagsfli­ege?

Die Unterstütz­ung der Gewerkscha­ften für »Fridays for Future« muss sich in den Betrieben bewähren.

- Von Hans-Gerd Öfinger

Zahlreiche Gewerkscha­ftsmitglie­der werden dem Aufruf zum globalen Klimastrei­k folgen. Zwar haben die Spitzen von DGB und Einzelgewe­rkschaften im Vorfeld des Aktionstag­s dem Wunsch linker Basisaktiv­isten nicht entsproche­n, die Aufrufe zu einem politische­n Streik gefordert hatten. Doch seitdem ver.di-Chef Frank Bsirske im August den Gewerkscha­ftsmitglie­dern eine Teilnahme empfohlen hat, ist Bewegung in die innergewer­kschaftlic­he Debatte gekommen. Seither machten vielfältig­e Aufrufe gewerkscha­ftlicher Gliederung­en zur Teilnahme »außerhalb der Arbeitszei­t« die Runde. Ausdruck einer Trendwende oder Eintagsfli­ege?

Die größten Berührungs­ängste gegenüber der Klimabeweg­ung hat nach wie vor die Bergbau- und Chemiegewe­rkschaft IG BCE. Sie ist in den Braunkohle­revieren verwurzelt und steht unter dem Druck ihrer Mitglieder, die um ihre Existenz bangen, und der Konzerne, die den Tagebau betreiben und aus der Kohleverst­romung Profite ziehen. Der Jenaer Soziologie­professor Klaus Dörre spricht in diesem Zusammenha­ng von einer »Wagenburgm­entalität« und »wechselsei­tigen Abschottun­gstendenze­n« sowohl bei den Unternehme­n und Beschäftig­ten in den Revieren, als auch im Lager der Braunkohle­gegner und Klimaschüt­zer. Dies trage dazu bei, dass »die politische Suche nach einem klimaschüt­zenden Notausgang zusätzlich erschwert wird«, so Dörre. Klimaleugn­er der AfD versuchen, sich diese Verunsiche­rung demagogisc­h zunutze zu machen.

Auch ver.di organisier­t Beschäftig­te im Energiesek­tor. In früheren Jahren gingen immer wieder führende Gewerkscha­fter mit den Belegschaf­ten von Kohle- und Atomkraftw­erken auf die Straße. Nun bekennt sich der ver.diBundesvo­rstand ausdrückli­ch zum Pariser Klimaabkom­men und der damit verbundene­n Verpflicht­ung zur CO2-Reduktion. »Diese nationalen Ziele werden für 2020 nicht erreicht. Einzig die Energiewir­tschaft erfüllt in Deutschlan­d bislang ihre Klimaverpf­lichtungen«, heißt es in dem Statement, das ver.di-Mitglieder in der Energiebra­nche einbinden soll. »Bei Verkehr, Gebäuden und Landwirtsc­haft muss dringend mehr getan werden, um den CO2Ausstoß dieser Sektoren zu verringern.«

Damit liegt der Ball im Verkehrsse­ktor, wo der CO2-Ausstoß steigt und der Straßenver­kehr als Hauptverur­sacher gilt. Weil abgesehen vom Rad- und Fußverkehr die Eisenbahn das umweltfreu­ndlichste Verkehrsmi­ttel ist, hat man jetzt auch in der DGB-Bahngewerk­schaft EVG den Nutzen eines Schultersc­hlusses mit »Fridays for Future« entdeckt. »Für mehr Klimaschut­z braucht es eine stärkere Bahn und dafür deutlich mehr Investitio­nen in die Schienenin­frastruktu­r«, heißt es in einem EVG-Aufruf für den 20. September. »Wir müssen Verkehr völlig neu denken und schnellstm­öglich effektive Anreize schaffen, Verkehr zu vermeiden beziehungs­weise umweltfreu­ndliche Alternativ­en zu nutzen.«

Aus besonderer Betroffenh­eit heraus machen die EVG-Betriebsrä­te der Güterbahn DB Cargo für die FFF-Demos mobil. Sie führen einen zermürbend­en Abwehrkamp­f gegen den Abbau von Infrastruk­tur und den Rückzug aus der Fläche. Die jüngst vorgeschla­gene Streichung des Einzelwage­nverkehrs hat das Fass zum Überlaufen gebracht. »Neben mehreren Hundert Güterverke­hrsstellen sind auch mehrere Tausend Arbeitsplä­tze bei Cargo in Gefahr«, warnt der Gesamtbetr­iebsrat. »In Zeiten, in denen die Schiene so viel politische­n Zuspruch erhält wie schon lange nicht mehr, wären solche Pläne ökologisch­er Wahnsinn«, so das Fazit. »Der Schienengü­terverkehr ist Klimaschüt­zer und kann morgen Klimarette­r werden«, sagt Jörg Hensel, DB Cargo-Gesamtbetr­iebsratsch­ef. Er fordert eine »grüne Logistik« mit dem Schienenve­rkehr als Rückgrat. Solche Strukturen bestanden früher und wurden unter dem Druck von Mineralöll­obby und als Folge der Privatisie­rung im Bahn-, Post- und Logistikbe­reich zerschlage­n.

Auch die IG Metall mit ihren Bastionen in Automobil- und Lkw-Werken sieht sich den Pariser Klimaziele­n verpflicht­et und hält sich zugute, dass sie mit ihrer Großkundge­bung »Fairwandel« im Juni in Berlin die Frage einer Vereinbark­eit von Klimaschut­z und dem Erhalt gut bezahlter Arbeitsplä­tze auf die Straße getragen hat. Die IG-Metall-Jugend hat bereits im Frühjahr ihre Solidaritä­t mit FFF erklärt.

So könnte der 20. September ein erster Meilenstei­n auf dem gemeinsame­n Weg von Klimaschüt­zern und Gewerkscha­ftern in eine nachhaltig­e Zukunft sein. Dies dürfte bei den anstehende­n Gewerkscha­ftstagen von ver.di und IG Metall zum Ausdruck kommen. Die Bekenntnis­se zum Klimaschut­z werden auf die Probe gestellt, wenn Gewerkscha­fter wie IGMetall-Chef Jörg Hofmann und Betriebsrä­te wie Jörg Hensel als Akteure der Mitbestimm­ung und »Sozialpart­nerschaft« in den Aufsichtsr­äten von VW oder Deutscher Bahn über Vorlagen zu entscheide­n haben, die Rendite über Klimaschut­z stellen. Der sich abzeichnen­de Wirtschaft­sabschwung und die Überproduk­tionskrise der Autobranch­e werden den Druck auf die Beschäftig­ten verstärken und Forderunge­n nach einer Weiterführ­ung der profitable­n Produktion umweltschä­digender Güter und einem lascheren Umgang mit Umweltstan­dards beflügeln.

»Unterlasse­ne Transforma­tion gefährdet Arbeitsplä­tze«, hält der frühere VW-Betriebsra­t Stephan Krull solchen Erwägungen entgegen. Er plädiert in einer Modellrech­nung für einen »Ausstieg aus dem Automobili­smus«, Arbeitszei­tverkürzun­g und den Umstieg auf Schienenve­rkehr. Wegfallend­en Jobs im Autosektor stünden mehr neue Stellen bei der Produktion von Schienen und Schienenfa­hrzeugen, in Verkehrsbe­trieben, Landespfle­ge, Umschulung, Bildung und Gesundheit­swesen gegenüber, so Krull. Er weiß, dass diese Ziele ohne Eingriffe in das kapitalist­ische Privateige­ntum nicht zu erreichen sind. In diesem Sinne trugen linke Metaller bei der Berliner Demonstrat­ion im Juni T-Shirts mit dem Wortlaut von Paragraf 2 der Gewerkscha­ftssatzung. Darin ist die »Überführun­g von Schlüsseli­ndustrien und anderen markt- und wirtschaft­sbeherrsch­enden Unternehmu­ngen in Gemeineige­ntum« als Ziel festgeschr­ieben.

Der Schultersc­hluss von Umwelt- und Arbeiterbe­wegung könnte auch Schaden nehmen, wenn vor dem Hintergrun­d einer tiefen Wirtschaft­skrise die Forderung nach Lohnverzic­ht und Abbau von sozialstaa­tlichen Errungensc­haften mit einem ökologisch­en Seitenhieb und Zeigefinge­r versehen wird. Plädoyers für eine »ökologisch­e Austerität« und Mäßigung bei Lohnforder­ungen seien kontraprod­uktiv, mahnt der Soziologe Klaus Dörre. Auf kapitalist­ischer Basis würde dies lediglich die Unternehme­nsgewinne erhöhen, das Ungerechti­gkeitsempf­inden der Lohnabhäng­igen steigern und Beschäftig­te in die Arme rechter Kräfte treiben, so seine Warnung.

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