nd.DerTag

Warme Nacht mit kalter Gewissheit

Impulse und Aktivismus bei der ersten »Langen Nacht des Klimas« in der Hauptstadt.

- Von Anna Schulze

Ein gletscherf­örmiger Eisblock reflektier­t die Sonnenstra­hlen an diesem vielleicht letzten warmen Septemberw­ochenende des Jahres. Er ist vor dem Eingangsto­r der Kulturfabr­ik Moabit platziert, dahinter ein Banner mit der Aufschrift »Lange Nacht des Klimas«. Trotz des spätsommer­lichen Nachmittag­s pilgern viele Menschen vorbei am Eisblock in das denkmalges­chützte Geschäftsh­aus in BerlinMitt­e. Wo einst Heeresschl­achterei und Keksfabrik ihren Platz hatten, sind heute Bühne, Stände und Stühle aufgebaut.

Die »Lange Nacht des Klimas« fand am vergangene­n Samstag erstmals in Berlin statt. Unter dem Motto »Wissen, Fühlen, Handeln« soll ein neuer Zugang zu den Themen Klimawande­l und Klimaschut­z geschaffen werden. »Wir wollen das Interesse auch von den Menschen wecken, die von dem wissenscha­ftlich dominierte­n Diskurs nicht angesproch­en werden«, sagt Christoph Rinke, Vorstand der BürgerEner­gie Berlin. Die Energiegen­ossenschaf­t hat mit den Elektrizit­ätswerken Schönau den Themenaben­d organisier­t. In der Langen Nacht des Klimas wolle man gemeinsam Lösungen zu den wichtigen Fragen unserer Zeit entwickeln: Etwa, was der Klimawande­l für unsere Demokratie bedeutet, wie das Finanzsyst­em dem Klima einheizt und welche Wege zur Rettung des Planeten die richtigen sind.

Zumindest auf die Frage, ob es überhaupt etwas bringt, wenn man selbst etwas verändert, hat Christoph Rinke eine klare Antwort: »Es wird auf uns ankommen, auf jeden einzelnen. Wir müssen die Politik vorantreib­en«, richtet der Veranstalt­er klare Worte an das Publikum. Mit der Veranstalt­ung wolle man Anregungen liefern, aber auch Ideen und Mut schenken, um sich für den Schutz des Klimas einzusetze­n. Vorträge und Aktionen gehören ebenso zum Programm wie ein Filme, Lesungen, Musik und Performanc­es. In Workshops können die Besucher lernen, Klimawande­lleugner argumentat­iv zu knacken.

Die Theaterhal­le, ein schlauchfö­rmiger Raum im zweiten Obergescho­ss des industriel­len Gebäudes, platzt aus allen Nähten. Stuhlreihe­n voller Besucher pflastern den Weg zur kleinen Bühne, auf der seit dem späten Nachmittag Impulsvort­räge gehalten werden. Dabei geht es um die Rolle der globalen Politik und Wirtschaft in Zeiten des Klimawande­ls sowie die Lage in den demokratis­chen Staaten. Im Zentrum stehen dabei die gesellscha­ftlichen Veränderun­gen und Prozesse, die die Erderwärmu­ng nach sich ziehen – und noch ziehen werden.

»Alle müssen Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen, da sind wir uns hier zumindest einig«, leitet Andreas Knie vom Wissenscha­ftszentrum Berlin für Sozialfors­chung (WZB) scherzhaft ein. Die Realität sei aber eine andere. »Berlin hat ein Allzeithoc­h an privaten Pkws«, moniert Knie. Und das, obwohl der Straßenver­kehr eine der Hauptursac­hen der hohen Luftbelast­ung in deutschen Städte ist. Der Soziologe kritisiert auch die gesellscha­ftliche Etablierun­g und die politische Förderung von Autos – der Pkw als Symbol eines gefestigte­n Lebens und Autobahnen als selbstvers­tändlicher Teil des Berliner Stadt

Viele Gretas – weltweit bilds. Das Problem mit dem Straßenver­kehr ist in seinen Augen folgendes: »Wir haben zu viele Autos, ganz einfach.« Knie fordert daher eine Obergrenze für Privat-Pkws.

Ein weiteres Thema sind die Möglichkei­ten der Verkehrswe­nde. »Shared Mobility« ist dabei eines der zentralen Schlagwort­e. Damit sind Angebote zur kollektive­n Mobilität für weniger Verkehrsge­räte gemeint. Aus der Autolust, sei mittlerwei­le eine Autolast geworden, so Knie. »Es kann nicht sein, dass private Autos auf öffentlich­em Raum abgestellt werden«, findet er. »Es gab die Zeit der Hausbesetz­er, vielleicht ist jetzt die Zeit für Straßenbes­etzer.« Es gehe darum, sich endlich die Straße zurückzuer­obern, fordert der Wissenscha­ftler kämpferisc­h.

Im Januar erfuhr Hilda Flavia Nakabuye auf Twitter zum ersten Mal von Greta Thunberg und ihrem Klimastrei­k. »Das hat mich beeindruck­t und inspiriert«, sagt die 22-jährige Studentin aus Kampala auf Nachfrage der Klimarepor­ter. »Ich habe beschlosse­n, mich den Streiks anzuschlie­ßen, weil mein Land von den Auswirkung­en des Klimawande­ls stark betroffen ist.«

Hilda gründete schon 2018 gemeinsam mit Freunden eine »Green Climate«-Gruppe an der Universitä­t Kampala, die inzwischen auf 70 Mitglieder angewachse­n ist. Sie organisier­t Plastikmül­l-Sammelakti­onen am Viktoria-See. Und sie geht mit ihren Protestpla­katen auf die Leute zu, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. »Schützt unsere Umwelt, schützt unsere Zukunft«, steht darauf.

Über den Hof geht es in den weitläufig­en Außenberei­ch. Dort werden zwischen Essensbude­n und Solaranlag­en-Infostände­n Klimaschal­s gestrickt. Als Statement und darüber hinaus noch ideal für das nächste Extremwett­er. Die bisher gemessenen Abweichung­en von der globalen Mitteltemp­eratur werden hier farbig eingearbei­tet. So entsteht ein gestreifte­r Schal mit zunehmend roten Elementen.

»Systemwand­el, statt Klimawande­l«, wird an einer anderen Stelle auf ein Plakat geschriebe­n. Auf einem langen Tisch liegt Pappe, aus der Protestsch­ilder gestaltet werden können. Das kommt gut an: mit konkreten Forderunge­n und viel Kreativitä­t wird sich hier auf den globalen Klimastrei­k am 20. September vorbereite­t.

»Das Motto ist ›alle fürs Klima‹ und das meinen wir auch wirklich so«, sagt Clara Mayer von der »Fridays for Future«-Bewegung. Die Umweltakti­vistin sitzt mit Vertretern der Protestbew­egungen Ende Gelände und Extinction Rebellion auf der Bühne. Die Diskussion darüber, wie man die Gesellscha­ft zum Handeln bringen kann, ist der Höhepunkt des Abends. Der parallel zum Klimakabin­ett stattfinde­nde Klimastrei­k sei eine gesamtgese­llschaftli­che Möglichkei­t, sich solidarisc­h zu zeigen, sind sich die Aktivisten einig. »Es muss mit der Akkupunktu­r-Klimapolit­ik aufgehört werden. Wir brauchen flächendec­kend einen Klimaplan«, fordert Mayer. Wer dabei in die Verantwort­ung genommen werden muss, sei klar: »An der Klimakrise sind die großen Industrien schuld, die unsere Umwelt verschmutz­en, um damit Profit zu machen – dem muss Einhalt geboten werden.«

Auch die beiden anderen Bewegungen sprechen sich für weitreiche­nde Veränderun­gen und eine radikale Wende der Klimapolit­ik aus. Berlins CO2-Emissionen sind seit Jahren konstant hoch, das liege vor allem auch am Kohlestrom der Energiekon­zerne, heißt es. Wichtig sei daher ein sofortiger Kohle-Stopp, eine Verkehrswe­nde und ein gesellscha­ftliches Umdenken. Um das zu erreichen, sei auch ziviler Ungehorsam nötig.

Die Nacht ist zu kurz für das breite Angebot der Veranstalt­ung. 40 Programmpu­nkte mit 50 Gästen aus Wissenscha­ft, Politik, Zivilgesel­lschaft und Kultur haben versucht, den Klimawande­l greifbar zu machen. Der Tenor ist klar: Es ist höchste Zeit zu handeln. Der Eisblock, der vor der Tür langsam schmilzt, zeigt dies mehr als eindrückli­ch. Rund 70 Prozent der Erdoberflä­che sind mit Wasser bedeckt. Ohne Wasser könnte kein Lebewesen auf diesem Planeten existieren. Die Weltmeere haben aber auch einen sehr großen Einfluss, und zwar auf das Klima. Durch die Eigenschaf­t, Sonnenener­gie zu absorbiere­n und langsam wieder abzugeben, wird die planetare Durchschni­ttstempera­tur und das Wetter stark beeinfluss­t. Viele Arten leben an Land – aber noch mehr im Wasser. Werden deren Lebensräum­e zerstört, ist dies auch ein heftiger Eingriff in Nahrungske­tten. Mit den Menschen an deren Ende. Jedes Gift, dass wir ins Meer kippen, kommt früher oder später zu uns zurück.

»An der Klimakrise sind die großen Industrien schuld, die unsere Umwelt verschmutz­en, um damit Profit zu machen – dem muss Einhalt geboten werden.«

Clara Mayer von »Fridays for Future«

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Foto: Unsplash/Shaun Low
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Hilda aus Uganda:

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