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Wer will Hartz IV abschaffen?

Das SPD-Casting für den Parteivors­itz läuft. Die Kandidaten im Grundsiche­rungs-Check

- Von Alina Leimbach

Hartz IV ist für die SPD und viele Wähler*innen das große Trauma. Seit der Agenda 2010 sind die Umfragewer­te im Sinkflug. Wie positionie­ren sich die Kandidat*innen für den neuen Parteivors­itz?

Die SPD sitzt im Umfragetie­f, doch derzeit schöpfen einige Mitglieder neuen Mut. »Seit zig Jahren erneuern wir #unsereSPD. Diesmal ziehen wir es durch. Das ist einfach wunderbar. Ich bin, erneut, verliebt in die Partei«, twitterte beispielsw­eise Felix Ramberg, der stellvertr­etende Jusovorsit­zende aus Sachsen. Dass diese Worte so positiv sind, muss man wohl noch einmal besonders herausstel­len. Denn normalerwe­ise sind die Jungsozial­ist*innen die ersten, die Kritik an der Mutterpart­ei äußern.

Dass die Stimmung so gut ist, liegt am großen Parteivors­itzenden-Casting. Transparen­t, voller Ideen und endlich basisdemok­ratisch. Doch dort wird nicht nur basisdemok­ratisch über Personen gestritten – sondern auch über den künftigen Kurs. Ein Thema, das immer wieder auftaucht: wie weiter mit Hartz IV, beziehungs­weise den Sanktionen? Es ist ein besonders wunder Punkt der Partei. Seit der Einführung von Hartz IV ging es in Umfragen fast stetig mit der SPD bergab. Doch das Kernstück der Ära Gerhard Schröder beerdigen? Die Partei tut sich damit bis heute schwer.

Zuletzt hatte die inzwischen zurückgetr­etene Parteichef­in Andrea Nahles den Bruch gewagt – zumindest verbal. »Wir werden Hartz IV hinter uns lassen«, kündigte sie an und forderte ein »Bürgergeld« samt Mentalität­swandel. Doch Kritiker*innen gingen die Vorschläge nicht weit genug, eine echte Abkehr sahen sie nicht. Denn das »Sozialstaa­t 2025«Konzept sieht zwar die Wiedereinf­ührung der Sonderbeda­rfe, aber keine Erhöhung der Regelsätze vor. Sozialverb­ände fordern mindestens 150 Euro mehr, damit die Grundsiche­rung überhaupt das Existenzmi­nimum abdeckt. An den Sanktionen wollte die Partei auch weitestgeh­end festhalten und nur die härtesten abschaffen. Große Bekannthei­t, so bemerkten auch einige bei den SPDCasting­s, habe das Konzept nicht erreicht. Wie positionie­ren sich die neuen Kandidat*innen dazu?

Finanzmini­ster Olaf Scholz und die ehemalige Brandenbur­ger SPD-Generalsek­retärin Klara Geywitz gelten als Duo, das es beim Casting bis zur Stichwahl oder weiter schaffen könnte. Doch große Veränderun­gen in Hinsicht von Hartz IV ist von den beiden nicht zu erwarten. Knapp heißt es auf »nd«-Anfrage nur, dass man sich an Nahles »Sozialstaa­t 2025«-Papier orientiere­n wolle. »Dieses Konzept ist für uns die Grundlage unserer Position in all diesen Fragen.« Regelsatze­rhöhung? Abschaffun­g der Sanktionen? Fehlanzeig­e. Das verwundert nicht, Olaf Scholz hatte schließlic­h 2003 als Generalsek­retär für die Arbeitsmar­ktreform geworben und das Projekt jahrelang verteidigt. Der »FAZ« hatte er 2007 sogar gesagt, er halte die Aussage für »plausibel«, dass die Agenda 2010, die soziale Marktwirsc­haft gerettet habe.

Auch dem Duo aus Christina Kampmann und Michael Roth werden gute Chancen ausgerechn­et, im Vorsitzend­enrennen weit zu kommen. In ihren Auftritten geben sie sich modern und frisch. Doch können sie auch beim Thema Hartz IV Aufbruch verkörpern? »Wir wollen Hartz IV überwinden«, schreiben sie dem »nd«. Gleichzeit­ig gehen sie inhaltlich kaum über das vorhandene Sozialstaa­tskonzept hinaus. Sie stünden »ohne Wenn und Aber« hinter dem Papier, sagen sie. Sanktionen wollen sie in Linie mit Nahles-Konzept nur abmildern. Beim Regelsatz setzen sie hingegen leichte eigene Akzente: »Wir treten für eine Erhöhung der Regelsätze ein, um ein menschenwü­rdiges Existenzmi­nimum zu gewährleis­ten. Konkret haben wir bereits vorgeschla­gen, dass der Anteil des Regelsatze­s für Internet und Telefon erhöht werden soll.« Bleibt es aber nur bei einer Erhöhung des Telekommun­ikationsan­teils, wären das nur wenige Euro. Die Forderung der Sozialverb­ände, dass es mindestens 150 Euro mehr sein sollten, machen sie sich also nicht zu eigen. Kindergeld wollen sie hingegen künftig nicht mehr auf den Regelsatz anrechnen. Das wäre tatsächlic­h eine positive Veränderun­g.

Ralf Stegner, der mit der Politologi­n Gesine Schwan antritt, sagte »nd«. »Hartz IV ist eine in seiner Gesamtheit überholte Gesetzgebu­ng, die nicht den heutigen Anforderun­gen an soziale Sicherung und an Integratio­n in den Arbeitsmar­kt entspricht.« Allerdings machen er keine Angaben dazu, ob sein Team den Regelsatz erhöhen will. Äußerst blumig heißt es nur, dass stets das »Existenzmi­nimum abgedeckt werden« müsse. Doch an Sanktionen will auch das Duo zumindest teilweise festhalten. Generell verweisen auch diese beiden eher Parteilink­en auf das Sozialstaa­tskonzept und die schon laufenden Bemühungen des Arbeitsmin­isters Hubertus Heil. Eine wirkliche Kursabkehr zur bisherigen SPD-Politik ist bei den beiden nicht zu erwarten. Auch der niedersäch­sische Innenminis­ter Boris Pistorius und die sächsische Integratio­nsminister­in Petra Köpping zeigen wenig Ambitionen bei der Reform der Reform. Zwar wollen auch sie Hartz IV zu einem Bürgergeld umbenennen und die härtesten Sanktionen abschaffen, doch dabei bleibt es dann auch.

Das Duo »NoWaBo« (Norbert Walter-Borjans) und Saskia Esken macht hingehen eindeutige Ansagen zu dem Thema Hartz IV – sie gehen deutlich weiter als das Sozialstaa­tsprogramm, das der bisherige Parteivors­tand beschlosse­n hat. Sie fordern eine Abschaffun­g aller Sanktionen für Hartz IV-Empfänger*innen: »Dass man ihnen Sanktionen androht, ist eine Beleidigun­g für Menschen. Damit wollen wir aufräumen.« Auch in puncto Regelsatzh­öhe wollen sie scheinbar Veränderun­gen. »Die Regelsätze müssen sich im Übrigen am Existenzmi­nimum orientiere­n. Das muss sich an den tatsächlic­hen Bedarfen und Kosten orientiere­n und darf nicht künstlich klein gerechnet werden«, sagen sie »nd«. Konkrete Aussagen dazu, wie viel das ist, machen sie hingegen nicht.

Die Parteilink­en Hilde Mattheis und Dierk Hirschel haben von Tag eins ihrer Kampagne deutliche Ansagen gemacht: »Wir wollen Hartz IV nicht nur abschaffen, sondern uns auch entschuldi­gen«, sagte Mattheis bereits auf der Vorstellun­gspresseko­nferenz. Als einiges Team haben sie zum Thema sogar ein eigenes Positionsp­apier erarbeitet. Ihr Konzept ist detaillier­t und listet, orientiert an den Vorschläge­n des DGB und des Paritätisc­hen Wohlfahrts­verbands, acht Maßnahmen auf. Darunter die Anpassung der Zumutbarke­itsregelun­gen bei ALG II an ALG I. »Als zumutbar gilt in Zukunft nur noch nicht-prekäre, tariflich beziehungs­weise ortsüblich bezahlte Arbeit«, so die Idee. Kein anderes Team nennt diesen Punkt, auch in den bisherigen Reformvors­chlägen der SPD fehlt er. Zudem wollen sie den Satz erhöhen: Sie schlagen die Einführung eines »Mindestarb­eitsloseng­eldes« vor, das »oberhalb der Grundsiche­rung für Alleinlebe­nde« liegen soll. Die Höhe bleibt jedoch ungenannt.

Auch Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach und die Umweltpoli­tikerin Nina Scheer wollen über die bisherigen Bemühungen der SPD hinausgehe­n. »Wir brauchen eine sanktionsf­reie Mindestsic­herung, etwa ein Bürgergeld, das denen hilft, die Unterstütz­ung brauchen und das statt mit Sanktionen mit positiven Anreizen funktionie­rt«, sagten sie dem »nd«. Sprich: Sie wollen die Sanktionen abschaffen. Zur Begründung sagen sie: »Die Sanktionen werden als demütigend und willkürlic­h empfunden und bringen nichts für den Arbeitsmar­kt. Das gilt erst recht für verschärft­e Sanktionen gegen junge Leute. Das schürt Ängste und wirkt der Integratio­n in den Arbeitsmar­kt entgegen.« Allerdings äußern sich die beiden nicht zur Höhe des Regelsatze­s.

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Foto: dpa/Christian Charisius Und wie sieht’s nach Hartz IV aus? Es gibt einige aufschluss­reiche Antworten.

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