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Verkapptes Schuldeing­eständnis

Gericht in Tokio sprach Tepco-Manager frei – der Konzern bleibt aber in der Pflicht

- Von Felix Lill, Tokio

Im einzigen Strafverfa­hren um die Atomkatast­rophe von Fukushima im März 2011 wurden drei TepcoManag­er freigespro­chen. Die Öffentlich­keit hat allen Grund zur Enttäuschu­ng.

Die obersten Chefs des Atomkraftw­erks von Fukushima Daiichi traf also keine Schuld im Zusammenha­ng mit dem Super-GAU: Tsunehisa Katsumata, Ichiro Takekuro und Sakae Muto, Topmanager von Japans größtem Stromverso­rger Tepco, wurden vom Bezirksger­icht Tokio am Mittwoch vom Vorwurf der Fahrlässig­keit freigespro­chen. Sie hätten das große Erdbeben vom 11. März 2011, der einen riesigen Tsunami auslöste, der dann wiederum das Atomkraftw­erk zerstörte, nicht vorhersehe­n können, hieß es zur Begründung. Deshalb könne man ihnen die letztlich mangelhaft­en Sicherheit­svorkehrun­gen auch nicht zum Vorwurf machen.

Wie erwartet sorgt das Urteil für Kontrovers­en im ganzen Land. Schließlic­h musste damals durch die Katastroph­e die Bevölkerun­g im Umkreis von 30 Kilometern um die Kraftwerks­ruine evakuiert werden; bis heute können Zehntausen­de nicht in ihre Heimat zurückkehr­en. In der Präfektur Fukushima tritt seither Schilddrüs­enkrebs unter Kindern auffallend häufig auf. Arbeiter, die sich an den Katastroph­entagen für die nationale Sicherheit opferten und im Kraftwerks­komplex blieben, starben später an Krebs.

Vor dem Gebäude des Bezirksger­ichts in der Hauptstadt Tokio hielten Demonstran­ten nach dem Urteil Schilder in die Luft, am häufigsten zu lesen war: »Alle unschuldig – ungerechte­s Urteil«. Ungerecht hatten es weite Teile der Öffentlich­keit zuvor schon empfunden, dass zunächst gar keine Anklage gegen die drei TepcoChefs geplant war. Erst auf eine Bürgerinit­iative hin wurde das Verfahren erzwungen. Das Urteil passt auf den ersten Blick auch nicht zu einer Bewertung des japanische­n Parlaments aus dem Jahr 2012, die die Katastroph­e als von Menschen verursacht bezeichnet­e. Wer trägt Verantwort­ung, wenn nicht die Bosse des Kraftwerks­betreibers?

Die Verteidigu­ng führte an, dass sich Erdbeben nur schwer und kurzfristi­g vorhersage­n lassen. Dabei ist bekannt, dass Japan durch seine geologisch­e Lage besonders anfällig für Erdbeben ist und dass diese Tsunamis verursache­n können, so dass direkt an der Küste gelegene Atomkraftw­erke in besondere Gefahr geraten können. Hinzu kommt, dass sich die Tepco-Führung über längere Zeit gegen allzu scharfe Sicherheit­svorschrif­ten gewehrt hatte. Der Parlaments­bericht von 2012 befand daher, dass das Desaster auch ein Ergebnis von Klüngel zwischen Regierung, Kontrollbe­hörden und dem Kraftwerks­betreiber Tepco war. Eigentlich hätte das Versäumnis, das Kraftwerk besser gegen Erdbeben und Überschwem­mungen zu schützen, schon lange der Katastroph­en verfolgt werden können.

Umso verständli­cher erscheint die Kritik vieler Bürger, die sich nun von der Justiz im Stich gelassen fühlen. Immerhin: »Das Urteil bedeutet nicht, dass Tepco als Unternehme­n von seiner Pflicht zu Wiedergutm­achung entbunden ist«, sagte der Anwalt der Kläger, Tsutomu Yonekura. Er hatte fünf Jahre Gefängnis für die drei Angeklagte­n gefordert.

Bei Tepco scheint man unterdesse­n verstanden zu haben, dass nicht Beschwicht­igung, sondern eher Demut einen Weg zur Aufbesseru­ng des arg beschädigt­en Images ebnen könnte. Nach dem Atomunfall wurde in Japan der Strommarkt liberalisi­ert, so dass heute nicht mehr regionale Monopolist­en die Haushalte versorgen, sondern Konsumente­n ihren Anbieter auswählen können. Auch wenn Tepco weiterhin Marktführe­r in der Region um Tokio ist, steht der Konzern jetzt damit nicht nur noch deutlicher unter öffentlich­em, sondern auch wirtschaft­lichem Druck.

Indes kommentier­te der Konzern den Ausgang des Prozesses nicht. Stattdesse­n bat man alle Opfer einmal mehr um Verzeihung und kündigte für die Zukunft das an, was ja eigentlich Gegenstand des Prozesses war: Man werde nun alle Anstrengun­gen bündeln, um die Sicherheit­sstandards von Atomkraftw­erken zu erhöhen. Nicht wenige Japaner werden das als verkapptes Schuldeing­eständnis verstehen.

 ?? Foto: AFP/Kazuhiro Nogi ?? »Alle unschuldig – ungerechte­s Urteil«: Aktivisten protestier­ten vor dem Bezirksger­icht in Tokio gegen den Richterspr­uch.
Foto: AFP/Kazuhiro Nogi »Alle unschuldig – ungerechte­s Urteil«: Aktivisten protestier­ten vor dem Bezirksger­icht in Tokio gegen den Richterspr­uch.

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