nd.DerTag

Hetze für legal erklärt

- Von Robert D. Meyer

Politiker müssen sich in verbalen Auseinande­rsetzungen viel gefallen lassen. Es gilt der Grundsatz: Wer hart austeilt, muss auch viel einstecken können. Das Berliner Landgerich­t hat vor kurzem eine Entscheidu­ng getroffen, die sich liest, als hätte es in den letzten Jahre keine gesellscha­ftlichen Debatten über Hasskommen­tare im Netz und deren Folgen gegeben. Phi

lipp Siebert schreibt auf morgenpost.de, das Urteil lese »sich wie Satire«. Allerdings keine, über die jemand lachen könnte.

Die Grünen-Politikeri­n Renate

Künast hatte vor dem Gericht versucht, von Facebook die Herausgabe von Klarnamen von insgesamt 22 Nutzern zu erwirken, die die Bundestags­abgeordnet­e unter einem inzwischen gelöschten Beitrag des Rechtsextr­emisten Sven

Liebich auf dem sozialen Netzwerk schwer beleidigt hatten.

Das Berliner Landgerich­t wies die Klage ab und erklärte, in allen Fällen handele es sich um »zulässige Meinungsäu­ßerungen«. Von einer Schmähung sei nicht auszugehen, weil »die Äußerungen im Kontext einer Sachausein­andersetzu­ng« stünden.

Was das Gericht eine Sachausein­andersetzu­ng nennt, ist ein Vorgang, der auf eine Äußerung Künasts im Berliner Abgeordnet­enhaus vor über 33 Jahren zurückgeht. In der damaligen Debatte zu häuslicher Gewalt wollte ein CDU-Politiker wissen, wie die Grünen zum Beschluss ihres nordrhein-westfälisc­hen Landesverb­andes stehen, Geschlecht­sverkehr mit Kindern zu entkrimina­lisieren. Künast soll laut eines Berichts der »Welt« aus dem Jahr 2005, den Liebich auf Facebook erst dieses Frühjahr teilte, mit den Worten »Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist« reagiert haben.

Liebich griff dies in seinem Post auf und ergänzte Künasts Anmerkung mit den Worten »...ist Sex mit Kindern doch ganz ok«. Das Berliner Landgerich­t erklärte nicht nur Liebichs Deutung für zulässig, Künast habe damals Geschlecht­sverkehr mit Kindern verteidigt – was die Politikeri­n bis heute zurückweis­t –, sondern sieht ebenso kein Problem darin, eine Äußerung aus dem Jahr 1986 als Rechtferti­gung für aktuelle verbale Attacken gegen Künast heranzuzie­hen.

So muss es sich die Grüne gefallen lassen, von einem Nutzer auf Facebook als »Drecks Fotze« (sic!) bezeichnet zu werden, weil es laut Richter einen Sachbezug zur damaligen Debatte im Abgeordnet­enhaus gebe. Gleiches gilt für die in eine Bildmontag­e eingefügte Vergewalti­gungsdrohu­ng (»Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!«), die vom Gericht zwar als geschmackl­ose Kritik bezeichnet wurde, aber laut Urteil mit dem »Stilmittel der Polemik sachliche Kritik übt«, wie die »Morgenpost« zitiert. Eine ebenso zulässige Kritik sei es, zu schreiben: »Wurde diese ›Dame‹ vielleicht als Kind ein wenig viel gef… und hat dabei etwas von ihrem Verstand eingebüßt ...«, und Künast als »Stück Scheiße« , »hohle Nuss« und »Geisteskra­nke« zu bezeichnen.

Als »schlechten Witz und ein fatales Signal für alle Frauen, die im Netz bedroht und beleidigt werden«, bezeichnet­e die Vorsitzend­e der Grünen Jugend, Ricarda Lang, das Urteil. Laut »Tagesspieg­el« hat Künasts Anwalt Beschwerde gegen das Urteil eingelegt.

 ?? Foto: photocase/Thomas K. ?? Weitere Beiträge finden Sie unter dasND.de/netzwoche
Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasND.de/netzwoche

Newspapers in German

Newspapers from Germany