nd.DerTag

Metropolen­tourismus

Berlin und New York in Kooperatio­n beim Stadtmarke­ting.

- Von Anna Schulze

30 Jahre Mauerfall – 30 Jahre freie Marktwirts­chaft. Das Berliner Stadtbild ist zum Sinnbild einer neoliberal­en Wohnungspo­litik mutiert. Eine neue Ausstellun­g beleuchtet, wie es dazu gekommen ist.

Ein Stadtbild ist das Gesicht eines Ortes. Geprägt von charakteri­stischen Merkmalen politische­r und gesellscha­ftlicher Prozesse. Der Fall der Berliner Mauer ist so ein besonderes Merkmal. Eine Zäsur, eine Kollision von System und Raum gleicherma­ßen. Privatisie­rung, geschichts­trächtige Neubaustil­e und kulturelle Selbstverm­arktung haben das Berliner Stadtbild seither gewandelt. Doch wie ist Berlin zu dem geworden, das es heute ist? Dieser Frage haben sich die Kunstschaf­fenden der Ausstellun­g »1989 – 2019: Politik des Raums im Neuen Berlin« angenommen. Bis zum 13. Oktober ist das Kooperatio­nsprojekt des Neuen Berliner Kunstverei­n und ARCH+ in der Galerie n.b.k in der Chausseest­raße 128/129 zu sehen.

Der Eintritt in die Ausstellun­g erfolgt im wahrsten Sinne über den Grund und Boden Berlins: Eine fünf mal sechs Meter große Karte der Hauptstadt ziert das Fundament des Eingangsbe­reichs. Auf dem weißen Umriss der Stadt sind verstreut bunte Flecken eingezeich­net. Was auf den ersten Blick nach Konfetti aussieht, ist bei näherem Hinsehen weniger feierlich: Es ist die »Kartografi­e der Privatisie­rung«. Die dazu gehörende statistisc­he Auswertung zeigt das Ausmaß von drei Jahrzehnte­n neoliberal­er Wohnungs- und Bodenpolit­ik. »Der Befund ist erschrecke­nd«, sagt Anh-Linh Ngo, Mitkurator der Ausstellun­g. Demnach sind rund 7700 landeseige­ne Grundstück­e seit der Wende in private Hände übergegang­en. Zusammenge­rechnet ergebe das eine Fläche von 21 Quadratkil­ometern. »Wenn in 30 Jahren eine Fläche in der Größe des Bezirks Friedrichs­hain-Kreuzberg privatisie­rt wurde, braucht man sich nicht darüber wundern, dass wir jetzt über Verknappun­g sprechen«, findet Ngo. Trotz der Aktualität des Themas im Stadtdisku­rs, so der Architekt, gleiche die Bodenpolit­ik in Berlin einer Black Box: »Es war sehr schwierig, die Informatio­nen aufzutreib­en«, sagt er. Den Datenbesta­nd verdanke man der Stadtforsc­herin Florine Schüschke. Mit dieser Arbeit wurde erstmals eine Gesamtdars­tellung geschaffen, die als Diskussion­sgrundlage dienen kann. Die Datenanaly­se zeige, wie groß das Problem sei, so der Kurator. Darum ist die Ausstellun­g um ein mehrteilig­es Diskurspro­gramm ergänzt. Vertreter*innen aus Politik, Architektu­r und Kunst werden die »Mythen des Marktes, der Geschichte und der Kreativitä­t« diskutiere­n, darunter die stadtentwi­cklungspol­itische Sprecherin der Linksfrakt­ion, Katalin Gennburg, sowie der Stadtsozio­loge Andrej Holm.

Es ist kein Geheimnis: Die Privatisie­rungspolit­ik der Nachwendej­ahre hat tiefe Spuren hinterlass­en. Sie bewirkt Verdrängun­g auf dem Wohnungsma­rkt, aber auch innerhalb der Stadtgesch­ichte. Der Architektu­rstil, der Berlins Neubauten im Schein vergangene­r Epochen auftreten ließ, knüpft, so Kurator Ngo, an die Vorkriegsz­eit an, »als hätte es die Zäsur durch die Nazis nicht gegeben«. Das historisie­rte Bauen sei der Versuch, die Stadtgesch­ichte des wiedervere­inigten Berlins architekto­nisch zu überschrei­ben. So habe die Marktwirts­chaft den Sozialismu­s auch aus dem Stadtbild verdrängt, beispielha­ft zu sehen an Bauwerken der DDR-Moderne wie dem Palast der Republik.

Das Image Berlins durchlief auch deshalb eine vermeintli­che Aufwertung, um der vereinten Stadt ein kosmopolit­isches Antlitz zu verleihen. Die Stadtpolit­ik versuchte, mittels einer gezielten Inwertsetz­ung von Subund Gegenkultu­ren, den Mythos vom kreativen Berlin zu überhöhen und die Stadt als einen globalen Sehnsuchts­ort zu etablieren. Angesichts mangelnder Industrie fand unter dem Motto »Arm, aber sexy« »eine Inwertsetz­ung von Kultur für ökonomisch­e Zwecke« statt, erklärt Ngo. Diese habe gleichzeit­ig einen Prozess des »Kannibalis­mus« provoziert: Durch das kreative Aushängesc­hild der Stadt werden die Kunstschaf­fenden selbst verdrängt.

»Es wird nur ungern über Fehler der Vergangenh­eit gesprochen«, so der Kurator. Dank der vielen stadtpolit­ischen Initiative­n in den Kiezen, die Druck auf die Politik machen, finde aber mittlerwei­le ein Umdenken statt. Kein neues Phänomen, sagt Ngo und verweist auf die Hausbesetz­erszene der Achtziger: »Ohne die Zivilgesel­lschaft wäre Kreuzberg abgeräumt worden.« Heute ist es vor allem das Vorkaufsre­cht, das als Mittel der Wahl gegen Verdrängun­g eingesetzt wird. Für Ngo reicht das nicht: »Wenn man die Dimension der Privatisie­rung betrachtet, können wir nicht nur darüber sprechen, Einzelobje­kte zurückzuka­ufen.« Um das grundlegen­de, strukturel­le Problem zu lösen, gibt es für ihn nur eine Lösung: »Die Frage der Sozialpfli­chtigkeit muss anders gestellt werden.«

’89

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Foto: nd/Nicolas Šustr
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Foto: imago images/Jürgen Ritter Getilgt: Palast der Republik, 1983, in Farbe

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