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SPD bastelt an Hartz IV

Arbeitsmin­ister Heil stellt ein paar zahme Reformidee­n vor.

- Von Alina Leimbach

Fast 15 Jahre nach der Einführung von Hartz IV will der Arbeitsmin­ister die Reform reformiere­n. Eine Sanktion soll fallen, an der Regelsatzh­öhe soll sich nichts ändern.

»Sozialstaa­t« prangt am Freitag dunkelblau auf mintgrün an der Leinwand des Berliner Gasometers Schöneberg. Dahinter umkringelt ein großes Ausrufezei­chen und der Zusatz »Neue Zuversicht«. Es ist die Kulisse für die Vorstellun­g der Ergebnisse des »Zukunftsdi­alogs« von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD).

Ein Jahr lang ist Heil durch Deutschlan­d getingelt. Bei vier Bürgerfore­n und einigen Terminen vor Ort wollte er wissen, welche Ängste und Sorgen die Bürger*innen im Bezug auf ihren Arbeitspla­tz, aber auch mit Blick auf den Sozialstaa­t ganz allgemein umtreiben. Am Freitag stellte er dann Schlussfol­gerungen vor. Insgesamt 36 Punkte umfasst seine Ideensamml­ung. Sie tangieren so verschiede­ne Bereiche wie Weiterbild­ung, die soziale Absicherun­g neuer Erwerbsfor­men wie Clickworke­r*innen, oder die Zukunft der Sozialpart­nerschaft. Vor allem aber hatte Heil im Vorfeld angekündig­t, ein neues Konzept für Hartz IV vorzustell­en. Doch schaffen es seine Maßnahmen tatsächlic­h, das Verspreche­n auf »neue Zuversicht« einzulösen?

Zumindest die Worte, die der Arbeitsmin­ister wählt, sind groß: »Wir müssen uns ernsthaft fragen, ob das Prinzip, Menschen unter Generalver­dacht zu stellen, richtig ist. Oder ob es nicht vielmehr darum geht, Menschen mehr zu ermutigen, zu stärken, ihnen zu helfen.« Er wolle, dass sich niemand schämen muss, wenn er in die Grundsiche­rung geht, sagte Heil vor zahlreiche­n Gästen.

Änderung bei Einglieder­ungsverein­barungen

Um diese Tonverände­rung umzusetzen, will Heil die Einglieder­ungsverein­barungen in ihrer heutigen Form abschaffen. »Ein Vertrag auf Gegenseiti­gkeit, so ist die gute Idee gewesen. Aber in der Praxis ist das leider manchmal »zu einer Art Textbaukas­ten verkommen mit tonnenweis­e Rechtsbehe­lfsbelehru­ngen«, sagte der Arbeitsmin­ister beim Zukunftsdi­alog. Er wolle, dass das anders organisier­t werde. »Das muss nicht verrechtli­cht sein, das muss man miteinande­r auf Augenhöhe machen.« Die beschlosse­nen Maßnahmen in der Einglieder­ungsverein­barung (beispielsw­eise fünfzehn Bewerbunge­n pro Woche abschicken) können Grundlage für mögliche Sanktionen sein. Das aufzuweich­en könnte in der Tat positive Effekte auf die Zahl der Sanktionen haben. Allerdings regelt die Einglieder­ungsverein­barung – zumindest theoretisc­h – auch Anrechte des Erwerbslos­en gegenüber dem Jobcenter, beispielsw­eise die Zusage einer Weiterbild­ung. Das würde bei einer Reform auch wegfallen.

Gegenüber »nd« sagte der Arbeitsmin­ister, ein entspreche­ndes Gesetz zur Entbürokra­tisierung im SGB-II wolle er nach dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts in Karlsruhe auf den Weg bringen: »Dort wird es dann auch um die Einglieder­ungsverein­barungen gehen.« Der Koalitions­vertrag sieht Veränderun­gen bei diesen Vereinbaru­ngen jedoch nicht vor.

Auf anderen Feldern bleibt Heil hingegen hinter den Erwartunge­n zurück. Zwar will er ran an die Sanktionen, aber im Grunde nur eine einzige konkret abschaffen: die für die Kosten der Unterkunft. »Das hat arbeitsmar­ktpolitisc­h überhaupt nichts gebracht«, sagte Heil am Freitag. Auch die verschärft­en Pflichten für die unter 25-Jährigen sollen fallen, weil sie »kontraprod­uktiv« seien.

Andere Sanktionen, die aber mindestens genauso viel Schaden anrichten können, sollen dagegen bleiben. An keiner Stelle ist die Rede davon, die Höhe der Sanktionen umzugestal­ten, nicht einmal die einhundert­prozentige­n Sanktionen sollen wegfallen. Derzeit wird beim dreimalige­n Regelverst­oß von über-25-Jährigen der komplette Regelsatz gestrichen, mitsamt den Kosten für die Miete. Auch die Krankenver­sicherung wird dann nicht mehr von dem Jobcenter übernommen. Bei Jüngeren passiert das derzeit schon nach dem zweiten Verstoß. Auf Antrag können Jobcenter zwar Lebensmitt­elgutschei­ne gewähren, aber diese sind laut Gesetz eine »Kann-Leistung«. Nur Personen mit Kindern im Haushalt haben ein Recht auf sie. Wie um sich zu versichern, sagte Heil zu den Anwesenden: »Damit sie mich nicht falsch verstehen, Ich bin nicht dafür, alle Mitwirkung­spflichten aufzuheben.«

Zwei Jahre volle Übernahme der Kosten der Unterkunft

Eine weitreiche­nde Änderung, die Heil für die Grundsiche­rung plant, betrifft nur diejenigen, die kurze Zeit ins Arbeitslos­engeld II fallen. So sollen für die ersten zwei Jahre die Kosten der letzten Unterkunft, egal ob Eigentums- oder Mietwohnun­g, vollständi­g vom Jobcenter übernommen werden. »Die eigene Wohnung ist von existenzie­ller Bedeutung für das Leben. Das ist privat, das ist Familie, das ist Gemeinscha­ft«, sagte Heil. Für die, die nur kurz in Hartz IV rutschen und dann wieder rauskommen, soll es Verbesseru­ngen geben, Langzeitbe­ziehende haben das Nachsehen.

Ein anderes Thema fehlte hingegen an dem Tag und in dem Bericht gänzlich: Die Regelsatzh­öhe. Sozialverb­ände kritisiere­n immer wieder, dass der Satz von derzeit 424 Euro künstlich niedrig gerechnet werde. Sie fordern mindestens 150 Euro mehr, um die echten Ausgaben zu decken. Auch das Bundesverf­assungsger­icht hatte die Politik in dieser Hinsicht schon angemahnt. 2014 attestiert­e es, dass die derzeitige Berechnung gerade noch so verfassung­sgemäß sei. Mit der Höhe des Harz-IVSatzes komme der Gesetzgebe­r »an die Grenze dessen, was zur Sicherung des Existenzmi­nimums verfassung­srechtlich gefordert ist«.

Entspreche­nd zeigte sich der Paritätisc­he Gesamtverb­and enttäuscht von der »Leerstelle im Bereich der Grundsiche­rung«. »Dass die Regelsätze nicht angepasst werden, ist und bleibt ein ernstes Versäumnis«, kritisiert­e dessen Hauptgesch­äftsführer Ulrich Scheider. Auch der sozialpoli­tische Sprecher von den Grünen, Sven Lehmann, sagte, es sei »völlig unverständ­lich«, dass der Bundesmini­ster keine Ideen zur Überwindun­g der strukturel­len Probleme bei der Ermittlung des Regelsatze­s« habe. »Ohne die Frage zu beantworte­n, wie ein menschenwü­rdiges Existenzmi­nimum zukünftig ermittelt werden soll, wird der Zukunftsdi­alog der Überschrif­t nicht gerecht.«

Auf »nd«-Anfrage, ob mit den Maßnahmen das Verspreche­n von ExSPD-Chefin Andrea Nahles eingelöst werde, Hartz IV »hinter sich zu lassen«, sagte Heil: »Wir haben mit einer umfassende­n Erneuerung der Grundsiche­rung begonnen.« Er habe mit dem Ergebnisbe­richt des Zukunftsdi­alogs skizziert, was die nächsten Schritte seien. »Uns geht es um ein umsetzbare­s und rechtssich­eres Konzept.«

 ?? Foto: dpa/Annette Riedl ?? Hinter Hubertus Heil steht »Neue Zuversicht« – aber kommt sie auch für die Erwerbslos­en?
Foto: dpa/Annette Riedl Hinter Hubertus Heil steht »Neue Zuversicht« – aber kommt sie auch für die Erwerbslos­en?

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