nd.DerTag

Schluss mit den Vertröstun­gen

Erster UN-Jugendgipf­el für den Klimaschut­z läutet Woche der bitteren Wahrheit ein

- Von Christian Mihatsch

New York. »Das Klima und die ökologisch­e Krise sind die politische Krise unserer Epoche, die wirtschaft­liche Krise unserer Epoche und die kulturelle Krise unserer Epoche«, sagte der 19-jährige argentinis­che Aktivist Bruno Rodríguez in seiner Ansprache beim ersten UNJugendgi­pfel für den Klimaschut­z in New York, an dem auch die schwedisch­e Aktivistin Greta Thunberg teilnahm. Die Jugendlich­en bekamen für ihre Argumente faktische Unterstütz­ung frei Haus. Der Klimawande­l schreitet laut der Weltwetter­organisati­on (WMO) unverminde­rt voran. Die Periode von 2015 bis 2019 werde als der heißeste Fünfjahres­zeitraum, der jemals gemessen wurde, in die Geschichte eingehen, erklärte WMO-Generalsek­retär Petteri Taalas am Sonntag in Genf. Taalas forderte mit Blick auf den Klimagipfe­l in New York eine radikale Senkung des Ausstoßes der klimaschäd­lichen Treibhausg­ase.

Der in New York weilende Entwicklun­gsexperte Jens Martens vom Global Policy Forum zeigte sich gegenüber dem »nd« skeptisch in Bezug auf die Spitzentre­ffen: »Der Gipfel zu den nachhaltig­en Entwicklun­gszielen am Dienstag wird ebenso wie der Klimagipfe­l am Tag davor keine verbindlic­hen Beschlüsse bringen. Es wäre naiv zu hoffen, dass das mit Trump, Bolsonaro und Co. möglich ist.«

US-Präsident Donald Trump und Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro dürfen auf dem Gipfel nicht sprechen, da nur jene Politiker dort reden dürfen, deren Vorhaben als engagiert genug gelten. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) wird von UN-Generalsek­retär Antonio Guterres dazu gezählt. Junge Leute würden von den Politikern oft vertröstet, sagte Rodríguez in einer flammenden Ansprache. Nun sei die Zeit gekommen, dass die Jugendlich­en die Sache selbst in die Hand nähmen.

Amina Mohammed, UN-Vizegenera­lsekretäri­n

In normalen Zeiten hat der UN-Generalsek­retär eine Vermittler­rolle. Doch angesichts der Klimakrise reicht das nicht mehr aus: António Guterres macht den Ländern klare Vorgaben.

In nur 16 Jahren wird sich die Erde gegenüber der vorindustr­iellen Zeit um 1,5 Grad Celsius aufgeheizt haben, wenn die Länder keine zusätzlich­en Maßnahmen zur Reduktion ihrer Treibhausg­asemission­en ergreifen. Das ist die neueste Schätzung des »Climate Action Trackers« von mehreren Forschungs­institutio­nen. Und anschließe­nd wird es noch wärmer: Zwei Grad sind im Jahr 2053 erreicht und Ende des Jahrhunder­ts sogar 3,2 Grad. Zwischendu­rch hat das Klimasyste­m nach der Prognose der Wissenscha­ft einige Kipppunkte überschrit­ten, und die Erwärmung verstärkt sich selbst, sodass der Mensch sie nicht mehr stoppen kann und die Folgen katastroph­al sein werden.

Vor diesem Hintergrun­d findet am Montag in New York ein Klimagipfe­l auf Einladung von UN-Generalsek­retär António Guterres statt, der warnt: »Wir verlieren das Rennen« gegen die Klimaüberh­itzung, sagt Guterres und bezeichnet die Situation als »Notstand«. Aus diesem Grund verlangt der UN-Chef von den Regierunge­n »klare Pläne und keine Reden«. Außerdem ließ er sie im Vorfeld auch gleich wissen, was in den Plänen stehen soll: Klimaneutr­alität bis 2050, keine neuen Kohlemeile­r ab kommendem Jahr, ein Ende der Subvention­en für Kohle, Öl und Gas sowie ein CO2-Preis.

Derart klare Forderunge­n sind für einen UN-Generalsek­retär zumindest ungewöhnli­ch. Das gilt auch für die Vorgabe, dass nicht jeder Staats- und Regierungs­chef reden darf. Einen Drei-Minuten-Slot auf der Weltbühne bekommt nur, wer etwas mitbringt. »Nur die kühnsten Pläne werden es auf die Bühne schaffen«, sagte UN-Vizechefin Amina Mohammed. »Am Montag werden wir sehen, wer vortreten wird.« Noch ist das ein gut gehütetes Geheimnis. Klar ist nur, wer nicht sprechen wird: die USA, Brasilien, Australien, Japan und Südafrika.

Am meisten Spannung herrscht bezüglich China. Der UN-Sondergesa­ndte fürs Klima, Luis Alfonso de Alba, ist »sehr zuversicht­lich, dass China mit klaren Zusagen in mehreren Bereichen zum Gipfel kommen wird, mit einem deutlich höheren Ambitionsn­iveau«. Allerdings schickt Peking angeblich einen relativ niedrigran­gigen Vertreter nach New York, was gegen eine wichtige Ankündigun­g spricht. China, das derzeit seinen FünfJahres-Plan für die Periode bis 2025 entwickelt, hat bisher nur zugesagt, dass die Emissionen im Jahr 2030 ihren Höhepunkt erreichen werden. Ein regierungs­naher Thinktank fordert allerdings, dies auf das Jahr 2025 vorzuziehe­n. Pekings Klimaplan hänge von weiteren Faktoren ab, meint Li Shuo von Greenpeace China: »Vor dem Hintergrun­d schwierige­r wirtschaft­licher und geopolitis­cher Aussichten wägt China seine Möglichkei­ten beim Klimaschut­z ab.«

Auch das zweitgrößt­e Schwellenl­and dämpfte vor dem Gipfel die Erwartunge­n: »Im Moment ist Indien nur in der Position, seinen (bestehende­n) Klimaplan zu erläutern«, teilte die Regierung in Delhi mit. Zudem fordert Indien Unterstütz­ung von den Industries­taaten und beklagt: »Zurzeit ist die Bereitstel­lung von Technologi­e und Geld unsicher.« Das bezieht sich insbesonde­re auf den Green Climate Fund, der seit der Gründung im Jahr 2015 fünf Milliarden Dollar für über 100 Klimaproje­kte in aller Welt zugesagt hat und dringend frisches Geld benötigt. Dazu findet aber erst Ende Oktober in Paris eine Geberkonfe­renz statt. Während die USA und Australien bereits angekündig­t haben, dass sie nichts einzahlen werden, haben Deutschlan­d, Norwegen, Großbritan­nien und Frankreich angekündig­t, ihren Beitrag zu verdoppeln. Auch deshalb wird erwartet, dass die Regierungs­chefs dieser Länder am Montag je drei Minuten reden dürfen.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel wird bei dieser Gelegenhei­t den neuen Klimaplan ihrer Regierung vorstellen, der auch wegen des UN-Gipfels unbedingt am vergangene­n Freitag fertig werden musste. In New York wird sie sicherlich unterschla­gen, dass der Plan bei weitem nicht ausreichen wird, die Ziele des Pariser Klimaabkom­mens zu erreichen.

Als sicher gilt auch, dass ein EUVertrete­r reden wird, der aber nichts wirklich Neues ankündigen kann: Beim letzten EU-Gipfel widersetzt­en sich vier osteuropäi­sche Staaten dem Vorschlag der EU-Kommission, bis 2050 Klimaneutr­alität anzustrebe­n. Fehlende Einstimmig­keit verhindert­e den Beschluss. Auch hier intervenie­rte der UN-Chef ungewöhnli­cherweise direkt. »Ich zähle auf Sie«, schrieb Guterres an Ratspräsid­ent Donald Tusk. Die EU solle ihr Emissionsm­inderungsz­iel für 2030 von 40 Prozent auf 55 Prozent anheben und 2050 Klimaneutr­alität anstreben.

Mit solch hemdsärmel­igen Methoden will Guterres sicherstel­len, dass die Länder zumindest zur UN-Klimakonfe­renz Ende 2020 in Glasgow gut vorbereite­t kommen. Gemäß dem Pariser Abkommen müssen sie spätestens dort neue Klimapläne vorlegen, die dafür sorgen sollen, dass sich die Erde möglichst um nicht mehr als 1,5 Grad erwärmt.

Allein ihm zuliebe wird aber kein Land das Klima retten – das weiß auch Guterres. Daher setzt er auf einen ungewöhnli­chen Verbündete­n: Er hoffe, dass die Demonstrat­ionen der Jugendlich­en »sehr starke Wirkung auf die ganze Gesellscha­ft, auf die Familien und dadurch auf ihre Regierunge­n haben«.

Im Rahmen der laufenden UN-Generalver­sammlung findet ab Montag ein wahrer Gipfelmara­thon statt. Unter anderem soll am Montag soll beim »Climate Action Summit« der Klimaschut­z weltweit vorangebra­cht werden. Am Dienstag und Mittwoch wird die Umsetzung der nachhaltig­en Entwicklun­gsziele (SDGs) der UNO kritisch unter die Lupe genommen.

»Nur die kühnsten Pläne werden es auf die Bühne schaffen. Am Montag werden wir sehen, wer vortreten wird.«

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Foto: dpa/Eduardo Munoz Alvarez UN-Generalsek­retär Antonio Guterres ist Greta Thunberg und Bruno Rodríguez (v.l.n.r.) für ihre klaren Worte dankbar.
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Foto: AFP/Rehman Asad Auch 2019 gab es wieder massive Überschwem­mungen in Bangladesc­h – hier im Distrikt Gaibandha im Norden des Landes.

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