»Das ist kollektives Politikversagen«
Jens Martens über die Umsetzung der UN-Agenda 2030 zur nachhaltigen Entwicklung durch die Mitgliedsstaaten
Am 24. und 25. September findet der erste Gipfel zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) statt. Offizielle Aufgabe ist es, die Fortschritte bei der Umsetzung der Agenda 2030 zu überprüfen und politische Schlussfolgerungen abzuleiten. Wie ist der Stand?
Ziemlich katastrophal. Zwar haben zahlreiche Regierungen auf dem Papier neue Nachhaltigkeitsstrategien formuliert. An ihrer tatsächlichen Politik hat das wenig geändert. Im Gegenteil: Die Situation hat sich seit 2015 in vielen Bereichen verschlechtert. Das gilt für die Bekämpfung des Klimawandels ebenso wie für die Reduzierung sozio-ökonomischer Ungleichheit. Der Boom nationalistischer und rechtspopulistischer Regierungen macht die Sache nur noch schlimmer. Wir haben es zu tun mit einem kollektiven Politikversagen. So ähnlich formuliert es übrigens auch der UN-Generalsekretär. Er fordert viel tiefere, schnellere und ehrgeizigere Reaktionen, um den sozialen und wirtschaftlichen Wandel in Gang zu setzen, der zur Erreichung der SDGs erforderlich sei.
Wie steht es um die SDG-Finanzierung?
Natürlich ist die Verwirklichung der SDGs auch eine Sache des Geldes. Flächendeckende Gesundheits- und Bildungssysteme, Wasserversorgung und eine öffentliche Infrastruktur, die allen zugutekommt, gibt es nicht zum Nulltarif. Angesichts leerer öffentlicher Kassen sehen viele in privatem Kapital und den Spenden ultrareicher sogenannter Philanthropen wie Bill Gates die Lösung. Ich halte das für völlig verfehlt. Notwendig wären stattdessen substanzielle Fiskalreformen, die soziale (Um-) Verteilungs- und ökologische Steuerungswirkungen miteinander verbinden. Davon abgesehen dürfen wir nicht vergessen, dass die Kosten des Nichtstuns auf lange Sicht weit höher wären als die Finanzierung von Klimaschutz und SDGs.
Welche Schlussfolgerungen müssten gezogen werden?
Auf internationaler Ebene geht es im Kern darum, endlich Steuerflucht und Steuervermeidung effektiv zu bekämpfen. Um den Steuerwettlauf nach unten zu stoppen, brauchen wir mehr globale Kooperation unter dem Dach der Vereinten Nationen. Außerdem müssen sich die SDGs auch in der Ausgabenpolitik systematisch widerspiegeln. Die Nachhaltigkeitsziele erfordern Nachhaltigkeitshaushalte. Jede öffentliche Ausgabe, von der Bundes- bis zur kommunalen Ebene, muss auf ihre SDG-Tauglichkeit überprüft werden. Dadurch könnten auch enorme Summen gespart werden, etwa indem umweltschädliche Subventionen endlich gestrichen werden.
Der Multilateralismus steht angesichts von Präsidenten wie Donald Trump oder dem rechtsradikalen Jair Bolsonaro in Brasilien stark unter Druck. Was ist überhaupt an verbindlichen Beschlüssen zu erwarten?
Der SDG-Gipfel in New York wird ebenso wie der Klimagipfel am Tag davor keine verbindlichen Beschlüsse bringen. Es wäre naiv zu hoffen, dass das mit Trump, Bolsonaro und Co. möglich ist. Das offizielle Ergebnis ist eine politische Erklärung, in der die Regierungen ein »höheres Ambitionsniveau« bei der weiteren Umsetzung der SDGs versprechen und die »dringende Notwendigkeit beschleunigten Handelns auf allen Ebenen« betonen. Dass es die Regierungen bei diesem Grad an Abstraktion und Vagheit belassen, war der Preis dafür, überhaupt eine Konsenserklärung vereinbaren zu können. Das wird natürlich den globalen Problemen in keiner Weise gerecht.
ist seit 2014 Geschäftsführer des Global Policy Forums (New York) und zugleich seit 2004 Geschäftsführer von Global Policy Forum Europe (Bonn). Zudem fungiert er seit 2011 als Koordinator der globalen Civil Society Reflection Group on the 2030 Agenda for Sustainable Development. Über den Stand der Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) sprach vor seinem Abflug nach New York mit ihm für »nd«
Wie verhält sich die Bundesregierung zu den SDGs, die sich im Gegensatz zu den vorangegangenen Millenniumszielen ausdrücklich auch an Industriestaaten richten?
Auf dem Papier hat die Bundesregierung die Umsetzung der Agenda 2030 zum Maßstab des Regierungshandelns erklärt. Es klingt auch gut, wenn sie als ihr Ziel die gerechte Gestaltung der Globalisierung im Sinne der Agenda 2030 proklamiert. Die Praxis sieht völlig anders aus. Das Problem ist, dass die Agenda 2030 in Konkurrenz zu anderen Agenden und Strategien steht, wie zum Beispiel der Nationalen Industriestrategie 2030 des Wirtschaftsministers. Und darin kommen Begriffe wie Nachhaltigkeit und Menschenrechte gar nicht vor. Die Politik der Bundesregierung ist widersprüchlich. Und im Zweifel haben sich bisher meist knallharte Wirtschaftsinteressen durchgesetzt.
Was unternehmen zivilgesellschaftliche Organisationen, um Druck für die Umsetzung der SDGs
zu machen, die weit hinter den Vorgaben zurückliegen?