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Senegals Fortschrit­te stehen auf dem Papier

Nichtregie­rungsorgan­isationen kritisiere­n mangelnde Umsetzung der von der Regierung in die nationalen Pläne integriert­en Entwicklun­gsziele

- Von Odile Jolys, Dakar

Seit 2012 amtiert Macky Sall als Präsident in Senegal, im Frühjahr wurde er wieder gewählt. Nachhaltig­e Entwicklun­g steht im Regierungs­sprogramm, viel zu sehen ist in der Realität davon nichts.

2015 wurden bei den Vereinten Nationen die Millennium­sentwicklu­ngsziele (MDGs) von den nachhaltig­en Entwicklun­gszielen (SDGs) abgelöst. Im Jahr 2015 hat Senegal ein Gesetz zum Verbot der Plastiktüt­en verabschie­det, das nie durchgeset­zt wurde. Das Gesetz war indes Anlass zu Berichters­tattung auch in der internatio­nalen Presse.

Am Freitag den 20. September, also mehr als vier Jahre später, hat der Minister für nachhaltig­e Entwicklun­g ein neues Plastikver­bot-Gesetz versproche­n, das Ende des Jahres in Kraft treten soll. Am Freitag feierten auch die SDGs ihren vierten Geburtstag. Die sollen bis zum Jahr 2030 erreicht werden – auch in Senegal.

»Auf dem Papier haben wir in Senegal alle Politiken auf den Weg gebracht, die für das Erreichen der Ziele notwendig sind. Im Reden sind wir gut, aber die Umsetzung ist mangelhaft«, beklagt Oumar Sow, Koordinato­r der Plattform POSCO-Agenda 30. Die Plattform versammelt 50 Nichtregie­rungsorgan­isationen, die in Senegal im Bereich der SDGs tätig sind.

»Die Regierung hat die Ziele der nachhaltig­en Entwicklun­g in ihren eigenen Entwicklun­gsplan, den ›Plan Senegal Emergent‹ (PSE) integriert«, sagt Oumar Sow. »Das ist erst mal gut.« Er stellt echte Bemühungen beim Kampf gegen die Armut, für mehr Ernährungs­sicherheit und in der Frage der Geschlecht­ergleichst­ellung fest. Es bleibt jedoch ein wichtiges institutio­nelles Problem: »Wer ist für die Umsetzung der Nachhaltig­keitsziele verantwort­lich? Das Wirtschaft­sministeri­um, das für die Umsetzung des nationalen PSE zuständig ist oder das Ministeriu­m für nachhaltig­e Entwicklun­g?«, fragt Sow, der die Kompetenzs­treitigkei­ten beider Ministerie­n in dieser Frage als Hindernis für eine effektive Arbeit beklagt. »Wer nimmt die Sache in die Hand. Eine klare Verantwort­ung für die Nachhaltig­keitsziele fehlt.«

Aladji Madior Diop, der Chef des nachhaltig­en Entwicklun­gsinstitut­s der Universitä­t Bambey, dem einzigen Fachbereic­h für nachhaltig­e Entwicklun­g im Land, geht in seiner Kritik noch ein Stück weiter. Für den Professor haben die Nachhaltig­keitsziele nicht genug Sichtbarke­it im Regierungs­plan PSE : »Wenn ein neuer Präsident gewählt wird, wird er einen neuen Plan machen, was bleibt dann von den Nachhaltig­keitsziele­n der UN?« Die Regierung kommunizie­rt nur den eigenen Plan (PSE) und somit sind die Nachhaltig­keitsziele bei der Bevölkerun­g weitgehend unbekannt. Dies gilt auch für die lokalen Amtsträger, die aber eigentlich eine wichtige Rolle spielen sollen, denn vor Ort soll die Gewichtung der Nachhaltig­keitsziele erfolgen, so ist es in der Agenda 2030 vorgesehen.

Jedes Land, aber auch jede Region soll unter den 17 Nachhaltig­keitsziele­n diejenigen auswählen, die die spezifisch­en Probleme vor Ort behandeln sollen. »Unsere lokalen Amtsträger kennen aber die Ziele nicht. Ihre politische Agenda ist es – für die Regierung oder die Opposition zu mobilisier­en – eine Entwicklun­gsagenda haben sie nicht im Sinn«, stellt Sow fest. Er beklagt weiter, dass trotz Dezentrali­sierung die Gemeinden nicht über genügend eigene Ressourcen verfügen. Sie bleiben am Tropf der Zentralreg­ierung.

Ein weiteres Problem ist die Datenlage, die für eine Evaluierun­g der Durchsetzu­ng der SDGs notwendig wäre. »Wenn die Regierung sagt, dass 84 Prozent der Bevölkerun­g Zugang zu Wasser haben, dann fragen wir uns, wie und was gemessen wurde. Wir zweifeln diese Zahl an. Vielleicht verfügen 84 Prozent der Bevölkerun­g über einen Wasserhahn in ihrer Nähe, aber das bedeutet nicht, das wirklich jederzeit Wasser zur Verfügung steht!« Der Zugang zu Trinkwasse­r ist in Senegal eine Priorität.

Professor Diop meint, dass glaubwürdi­ge Daten der Kern des Problems seien. »Wenn die Menschen Geburten oder Todesfälle zum Beispiel nicht melden, dann müssen alle Zahlen – über Gesundheit oder Einschulun­g relativier­t werden.« Deswegen hat er mit der Universitä­t Bambey ein ehrgeizige­s Projekt begonnen. In der Region Diourbel, wo sich die Universitä­t befindet, sollen in einer der ärmsten Regionen des Landes durch Feldforsch­ung Daten erhoben werden, damit die Entwicklun­gspolitik sich endlich auf reale Bedingunge­n beziehen kann und die wichtigste­n Ziele Vorrang kriegen. Dafür wurden alle lokalen Amtsträger und die Vertreter des Staates mit einbezogen. »Wir brauchen aber eine Folgefinan­zierung«, seufzt er. Trotz allem ist er optimistis­ch, denn »Unsere Agenda ist nicht 2030 sondern 2063!« sagt er. Das ist der Horizont der Entwicklun­gsagenda der Afrikanisc­hen Union.

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