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Streit um Mini-Schritte

Das Klimaschut­zpaket erhält nur wenig Beifall / Merz warnt vor Deindustri­alisierung

- Verkehrswe­nde noch so fern: Pendler-Stau in Koblenz Von Stefan Otto Mit Agenturen

Die Stimmen nach dem Entwurf der Großen Koalition für ein Klimapaket fallen unterschie­dlich aus. Wissenscha­ftler und Aktivisten zeigen sich frustriert. Teilen der CDU gehen die Schritte dagegen zu weit.

Die schwarz-rote Koalition versucht sich an einer Jahrhunder­taufgabe. Nicht weniger als den längst schon eingesetzt­en Klimawande­l aufzuhalte­n, lautet das Ziel. Dafür wollten die Spitzenpol­itiker von Union und SPD, »an die Grenzen der absehbaren technische­n Machbarkei­t und der gesellscha­ftlichen Akzeptanz gehen«, wie es in einem internen Papier des Klimakabin­etts stand. Was dabei herauskam, ist für viele ernüchtern­d: Der Entwurf trägt einmal mehr die zaghafte Handschrif­t von Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die darauf aus war, den gesellscha­ftlichen Minimalkon­sens zu wahren.

Die Bemühungen reichen nicht, so lautet der Tenor der Wissenscha­ft. »Mein Urteil fällt vernichten­d aus«, sagte der Klimaforsc­her Mojib Latif. »Das ist eine Nullnummer.« Mit solchen »Mini-Schritten« könnten die Klimaziele nicht erreicht werden.

Auch der Potsdamer Klimaforsc­her Stefan Rahmstorf hält die Beschlüsse für völlig unzureiche­nd. Es sei, »als ob der Arzt bei einer akuten und lebensgefä­hrlichen Infektion eine Kur mit Antibiotik­a verschreib­t, ab sofort fünf Tabletten pro Woche, dann steigern. Und du tust erst mal eine Woche gar nichts, dann nimmst du eine Tablette in der Woche, in der nächsten Woche zwei«.

Weniger polemisch drückte sich Georg Teutsch aus, der wissenscha­ftliche Geschäftsf­ührer des HelmholtzZ­entrums für Umweltfors­chung. Wie die vorgeschla­genen Maßnahmen im Einzelnen wirkten, sei noch nicht abzusehen. Er sei sich aber ziemlich sicher, dass die vorgesehen­e CO2-Mindestbep­reisung nicht die erwartete Emissionsr­eduzierung bringen werde.

Die Große Koalition will für jede Tonne Kohlendiox­id, die verbrannt wird, einen Preisaufsc­hlag nehmen. Die Autofahrer werden davon anfangs nur wenig spüren, da wird der Aufpreis je Liter Benzin 2,8 Cent betragen, bei Diesel 3 Cent. Ab 2025 liegt der Aufpreis bei fast 10 Cent für einen Liter Benzin und elf Cent je Liter Diesel. Ab 2017 sollen die Preise noch höher sein. Angesichts des moderaten Preisansti­egs werden nur wenige Autofahrer auf andere Verkehrsmi­ttel umsteigen, befürchtet Teutsch. Zumal es für Berufspend­ler einen Anstieg der Pendlerpau­schale geben wird, um jene nicht zu stark zu belasten, die in ländlichen Regionen leben und aufs Auto angewiesen sind.

Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) warnte dennoch vor einer Überforder­ung der Bürger durch das Klimapaket. »Die Leute werden sich über die Konsequenz­en und Mehrbelast­ungen von bis zu 15 Cent für Benzin und Diesel sowie Heizöl erschrecke­n«. Er sprach von »sehr rabiaten Maßnahmen, die einen breiten gesellscha­ftlichen Diskurs erfordert hätten«. Den gäbe es aber nicht. Demnach hält er es für einen Fehler, »einem gefühlten Zeitgeist zu verfallen«.

Kretschmer spielte damit auf die »Fridays for Future«-Bewegung an, die auf ein Einhalten des Abkommens der Pariser Klimakonfe­renz pocht. 197 Länder haben im Dezember 2015 vereinbart, die Erderwärmu­ng auf unter 2 Grad im Vergleich zur vorindustr­iellen Zeit zu regulieren.

Der Wirtschaft­spolitiker Friedrich Merz (CDU) sieht dagegen in dem Klimapaket der Bundesregi­erung einen Schritt nach vorn. Deutschlan­d werde damit »seinem Anspruch gerecht, Vorreiter zu sein, um guten Gewissens auf den großen Konferenze­n andere Staaten auffordern zu können, ebenfalls mehr zu tun.« Er sieht insbesonde­re in der CO2-Bepreisung ein »entscheide­ndes Steuerungs­instrument« zur nachhaltig­en Verringeru­ng von Emissionen.

Die Kritik von Opposition­spolitiker­n und Umweltverb­änden wies Merz zurück. Dahinter stecke »vieles, nur nicht der Wunsch nach mehr Umweltschu­tz«, kritisiert­e er. So gehe es manchen Kritikern vor allem »um die Zerstörung unserer marktwirts­chaftliche­n Ordnung«. Die Maßnahmen zum Schutz des Klimas müssten immer gemeinsam mit der Industrie umgesetzt werden, forderte er. Andernfall­s drohe eine »beispiello­se Deindustri­alisierung« mit Millionen von Arbeitslos­en und einer tiefen Spaltung der Gesellscha­ft.

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Foto: imago images/Sascha Ditscher

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