Steigende Löhne für gut Verdienende
Neue Zahlen des Statistischen Bundesamtes bestätigen die Kritik an der sozialen Spaltung auf dem deutschen Arbeitsmarkt.
Das wirtschaftliche Wachstum in den vergangenen Jahren schlug sich nicht nennenswert in den Einkommen der Beschäftigten nieder. Das ist zumindest ein weit verbreitetes Gefühl unter der lohnabhängigen Bevölkerung. Doch wie passt dies zu der jüngsten, vordergründig erfreulichen Meldung aus dem Statistischen Bundesamt (Destatis)? Danach sind die Löhne in Deutschland im zweiten Quartal um immerhin rund drei Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal und damit eigentlich überaus beachtlich gestiegen.
Arbeitsmarktexperten kennen einige Gründe, welche die Kluft zwischen öffentlicher Wahrnehmung und den Zahlen der Statistiker erklären können. Wie das Bundesamt ebenfalls am Freitag in Wiesbaden mitteilte, legten die Verbraucherpreise im selben Zeitraum um gut 1,6 Prozent zu. Dies ergibt dann einen realen, preisbereinigten Verdienstzuwachs von lediglich 1,3 Prozent.
Die Kluft zwischen Gutverdienern und Schlechtverdienern nimmt zu.
Dazu kommt, dass die Öffentlichkeit die gefühlte Inflation oft höher einschätzt, als es die Destatis-Fachleute mit ihrem speziellen Warenkorb tun. Wozu steigende Mieten beitragen, aber beispielsweise auch die in diesem Sommer infolge der Witterung recht hohen Preise, die der Einzelhandel für Gemüse und Obst verlangt.
Ohnehin geben die gemessenen 1,3 Prozent Reallohnsteigerung lediglich einen Durchschnittswert an. So sanken in einigen Bereichen die durchschnittlichen Verdienste sogar, etwa im Bereich Verkehr und Lagerei (-1,3 Prozent) sowie im Verarbeitenden Gewerbe (-0,9 Prozent). Überdurchschnittlich stark gestiegen sind in den vergangenen zwölf Monaten dagegen die Reallöhne beispielsweise in der Öffentlichen Verwaltung (plus 4,3 Prozent), im Grundstücks- und Wohnungswesen (plus 3,1 Prozent), im Baugewerbe sowie im Bereich Erziehung und Unterricht.
Dabei ist Deutschland von Vollbeschäftigung nach wie vor weit entfernt, kritisiert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik in ihrem Jahresgutachten »Memorandum 2019«. »Auch prekäre Arbeit und Armut gehen kaum zurück«, schreiben die Wissenschaftler. Sie beklagen den scharfen Kontrast zwischen steigender Erwerbstätigkeit und verfestigter sozialer Spaltung.
Die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes schreiben diesen Negativtrend fort: Die Kluft zwischen Gutverdienern und Schlechtverdienern nimmt zu. In der Unterscheidung nach »Leistungsgruppen« war der prozentuale Verdienstzuwachs am größten bei ohnehin meist hoch bezahlten Fachkräften und leitenden Angestellten. Bei ungelernten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern war er am niedrigsten.
Gleichzeitig haben die vergleichsweise niedrigen Tarifabschlüsse seit der Jahrtausendwende der deutschen Exportwirtschaft international einen preislichen Wettbewerbsvorteil verschafft. So zeigt der Arbeitskostenindex der Europäischen Union, dass die deutsche Industrie infolge niedrigerer Lohnkosten immer noch klare preisliche Vorteile gegenüber Konkurrenten hat.