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Sagen, was ist

Erneut wird die Identität des HSV-Profis Jatta geprüft. Es nervt, aber Recherchie­ren ist Journalism­us, findet Christoph Ruf

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Das Theater um Bakery Jatta, so dachte man, ist endlich vorbei. Das Bezirksamt Hamburg-Mitte hatte schließlic­h die Ermittlung­en eingestell­t, mittels derer herausgefu­nden werden sollte, ob der HSV-Profi denn nun bei seiner Einreise falsche Angaben zu seiner Identität gemacht habe. Jattas Anwalt hatte einen gültigen Reisepass sowie einen Auszug aus dem Geburtenre­gister in Gambia vorgelegt, die die Aussagen Jattas stützen, er sei nicht mit einem zweieinhal­b Jahre älteren Spieler namens Bakary Daffeh identisch.

Nun kommt allerdings ein neues Detail zu Tage, das erneut für Diskussion­en sorgen dürfte. Die Staatsanwa­ltschaft Bremen überprüft seit Anfang September erneut Jattas Angaben. Offenbar hat er sich kurz nach seiner Einreise nach Deutschlan­d unter der E-Mail-Adresse »bakarydaff­eh*@xy bei den dortigen Behörden gemeldet. Damit ist die Recherche von »Bild« und »SportBild« in diesem Punkt bestätigt.

Man muss kein Prophet sein, um vorauszuse­hen, was in den kommenden Tagen passieren wird – die Neuauflage der altbekannt­en Diskussion mit den altbekannt­en Fronten: Hier all die, die wollen, dass der Profi endlich in Ruhe Fußball spielen kann und die die Debatte um die Echtheit der Ausweispap­iere eines Fußballspi­elers nur für eine weitere Pirouette der sattsam bekannten Hetze halten. Und dort die andere Seite, die tatsächlic­h von ausgemacht­en Rassisten und Sechziger-Jahre-Nostalgike­rn bis hin zu Menschen reicht, die es nun auch nicht so ganz egal finden, ob Menschen nun mit einem FantasiePa­ss oder mit einem Dokument herumlaufe­n, das Auskunft über ihre Identität gibt.

Bei mir ist die Sache komplizier­ter. Ich sitze seit einigen Jahre aber

auch öfter zwischen den Stühlen. Wobei ich mich manchmal frage, ob ich mich umgesetzt habe, oder ob die Stühle so weit auseinande­r gerückt sind, dass jede Form der Differenzi­erung schon als verachtens­werte Dissidenz gewertet wird.

Heißt: Ich fände es fantastisc­h, wenn Deutschlan­d endlich ein vernünftig­es Zuwanderun­gsgesetz hätte, das die gängige Praxis ersetzt, in der Kriminelle bleiben dürfen, weil man nicht weiß, aus welchem Land sie kommen, in dem aber reihenweis­e Menschen drangsalie­rt und abgeschobe­n werden, die demokratis­che Werte respektier­en und oft nach zwei Jahren besser deutsch sprechen als mancher »Stolz darauf, Deutscher zu sein«-Trottel nach 40 Jahren.

Das deutsche Ausländerr­echt zwingt de facto dazu, zu lügen. Ein 20-Jähriger aus einem der vielen afrikanisc­hen Staaten, in denen Bürgerkrie­g und Perspektiv­losigkeit herrscht, hat keine andere Chance als sich jünger zu machen, um erst mal ins Land zu kommen. Und das meine ich jetzt wirklich als grundsätzl­iche Feststellu­ng. Zumal ich privat – und schon sitze ich wieder ganz fest auf dem altvertrau­ten Stuhl

– lieber all die Idioten ausweisen würde, die Jatta zuletzt ausgepfiff­en haben.

Das wäre jetzt eigentlich eine schöne Pointe, doch zum einen habe ich noch ein paar Zeilen, und zum anderen bin ich Journalist. Als solcher und als Privatpers­on werde ich immer meine Probleme mit der »Bild«-Zeitung haben. Spätestens seit Julian Reichelt dort Chefredakt­eur ist, ist die Berichters­tattung in Sachen Zuwanderun­g oft infam und tendenziös, was dem Blatt zurecht ständig vorgehalte­n wird.

Aber jetzt kommt eine, wie ich finde, wichtige Einschränk­ung. Denn es ist einigermaß­en erschrecke­nd, dass so viele Medien bei ihrer Kritik an der »Bild«-Berichters­tattung schon die Tatsache kritisiert haben, dass die »Bild« ihre Recherchee­rgebnisse überhaupt veröffentl­icht hat. Wer aber fordert, dass Tatsachen nicht vermeldet werden sollen, weil sie rassistisc­he Reflexe auslösen können, beweist ein anti-aufkläreri­sches Weltbild. Es ist schön, wenn Journalist­en eine Meinung haben und sich nicht auf die wohlfeile Rolle des über allem thronenden Chronisten zurückzieh­en. Wenn die eigene Überzeugun­g aber dazu führt, dass Recherchen, die zu unliebsame­n Ergebnisse­n führen könnten, nicht mehr angestellt und veröffentl­icht werden dürfen, schafft sich Journalism­us selbst ab.

Dass sich gefühlt 90 Prozent der Mitmensche­n mit Jatta solidarisi­ert haben, NACHDEM sie von den Diskussion­en um seinen Pass erfuhren, zeigt zudem, dass viele Menschen weiter sind als mancher linksliber­ale Journalist so zu glauben scheint. Und zwar gerade weil sie – auch dank der von »Bild« präsentier­ten Recherchen – die Fakten kannten. Es lebe der Journalism­us!

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Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

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