Gefährliche Reise nach Kenia
Kleiner Parteitag der Grünen macht Weg frei für Koalitionsverhandlungen mit SPD und CDU
Die Grünen würden in Brandenburg lieber mit der Linkspartei regieren, steuern nun aber auf eine Kenia-Koalition zu.
Giftschlangen, Cholera, ostafrikanische Schlafkrankheit, Erdbeben, Erdrutsche, bewaffnete Überfälle – die Liste der Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes für Kenia ist lang. Touristen sollen Menschenansammlungen und Busse meiden. Trotzdem wollen sich die brandenburgischen Grünen auf die Reise machen, mit SPD und CDU eine Koalition aushandeln. Ein Bündnis dieser drei Parteien wird in Anlehnung an die Flagge Kenias als Kenia-Koalition bezeichnet.
Am Sonnabend machte ein Kleiner Parteitag der Grünen im Rathaus Kleinmachnow den Weg frei für die Koalitionsverhandlungen. Er erteilte den Verhandlungsauftrag mit 46 JaStimmen. Es gab sieben Gegenstimmen und eine Enthaltung.
Mit einem so deutlichen Ergebnis, einem so »tollen Vertrauensbeweis« hätte Fraktionschefin Ursula Nonnemacher nicht gerechnet. Doch Ricarda Budke, Sprecherin der Grünen Jugend, war nicht überrascht. Sie hatte unmittelbar vor der Abstimmung für ein »Nein« geworben, da aber bereits geahnt, dass es für ihren Vorschlag keine Mehrheit geben würde. Noch stärker als die Mutterpartei würde die Grüne Jugend Rot-Rot-Grün vorziehen. Die Jugend stellte sich allerdings nicht völlig quer. Ein »Nein« hätte nicht geheißen, Kenia komplett auszuschließen, versicherte Ricarda Budke. Es sollte nach ihrer Ansicht nur noch weiter sondiert werden, ehe man sich in Koalitionsverhandlungen begibt. Auch die LINKE sollte noch einmal an den Tisch geholt werden, meinte die Grüne Jugend.
Aber daraus wird nun nichts. Zumindest vorerst nicht. Es könnte höchstens sein, dass die Koalitionsverhandlungen mit der CDU scheitern und dann noch ein Versuch mit der Linkspartei gestartet wird.
Erst einmal verhandeln die Grünen ab Montag über Kenia, aber dies durchaus mit »Bauchschmerzen«, wie Ursula Nonnemacher zugab. An den mit SPD und CDU getroffenen Vorabsprachen gab es in Kleinmachnow teils fundamentale Kritik. »Ich war enttäuscht«, urteilte die Delegierte Ruth Wagner. Es schmeckt ihr gar nicht, dass nun gemeinsame Sache gemacht werden solle mit einer rechtskonservativen CDU, die auch schon mal mit der AfD kuschele, und mit der »Beton-SPD«. Als Gewerkschafterin gefällt Wagner allerdings, dass bis zum Jahr 2021 ein Mindestlohn von 13 Euro zur Bedingung für öffentliche Aufträge gemacht werden soll. Darum hält sie das zehnseitige Papier mit den Sondierungsergebnissen für eine »gute Grundlage«, um zu verhandeln. Ein bisschen launig riet Wagner, einmal in die Empfehlungen des Auswärtigen Amtes für Reisen nach Kenia hineinzuschauen, um für eine Kenia-Koalition gewappnet zu sein. Würde man die stets etwas dramatisierenden Warnungen des Außenministeriums allerdings ernst nehmen, müsste man die Finger von einer solchen Koalition lassen.
Insbesondere sorgte am Sonnabend für Verstimmung, dass die Grünen in ihrem Wahlprogramm einen Ausstieg aus der Braunkohle im Lausitzer Revier im Jahr 2030 versprochen hatten, im Sondierungspapier aber steht, dass spätestens erst 2038 Schluss sein soll und nur eventuell schon 2035. Die Befürworter der Koalitionsverhandlungen verwiesen darauf, dass es keine neuen Tagebaue mehr geben solle. Wolfgang Renner meinte, das erzielte Ergebnis bei der Braunkohle sei »das maximal Erreichbare«.
Die jungen und auch alten Kritiker ließen sich aber nicht so leicht umstimmen. Robert Funke von der Grünen Jugend fühlt sich »teilweise auf die Schippe genommen«, wenn er das Sondierungspapier durchliest. Er sagte, wie sich die SPD an Koalitionsvereinbarungen halte, wisse man ja aus den vergangenen fünf Jahren Rot-Rot. Da hatte zum Beispiel Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) in einem Alleingang das Personal des Verfassungsschutzes aufgestockt, was eine Ohrfeige für die LINKE war, die erst einmal in Ruhe den NSU-Unterschuchungsausschuss des Landtags auswerten wollte. Die Grüne Jugend hatte nicht zuletzt auch deshalb zusammen mit Jusos und Linksjugend solid für Rot-Rot-Grün getrommelt. Während Robert Funke seine Bedenken am Rednerpult darlegte, stellten sich hinter ihm junge Parteifreunde auf und hielten Buchstaben hoch, die den Schriftzug »KEENJA« ergaben. Lautlich ergibt das Kenia, und zugleich heißt es im Berliner Dialekt: »Kein Ja!«
Die Sondierungsgruppe der Grünen, die fast identisch ist mit der Gruppe, die am Montag in Koalitionsverhandlungen eintreten wird, gab sich alle Mühe, Bedenken zu zerstreuen und vom Kleinen Parteitag einen Verhandlungsauftrag zu erhalten. So sagte die Bundesvorsitzende Annalena Baerbock, in den Sondierungen mit SPD und CDU habe die Partei sogar »ein bisschen mehr raushandeln« können als in den Gesprächen mit SPD und LINKE. Dabei ließ sie allerdings durchblicken, dass dies daran lag, dass man es für eine Konstellation mit SPD und CDU für wichtig hielt, bestimmte Dinge lieber extra schriftlich niederzulegen. Für RotRot-Grün hatte man dies nicht für notwendig gehalten. Baerbock war bei den Sondierungen dabei, macht aber vor den Koalitionsverhandlungen Platz für die Europaparlamentarierin Ska Keller. Außerdem verhandeln die Landesvorsitzenden Clemens Rostock und Petra Budke, die Fraktionschefs Ursula Nonnemacher und Axel Vogel, der Abgeordnete Benjamin Raschke, Julia Schmidt von der Grünen Jugend und Kommunalpolitiker Jörg Gleisenstein.
Ska Keller prophezeite: »Wir werden Kröten schlucken müssen, auch die Vegetarier unter uns.« Fraktionschef Vogel warnte vor Neuwahlen, bei denen die Grünen nur verlieren könnten. Er hielt das Sondierungspapier hoch, in dem er Stellen grün angestrichen hatte, die seiner Beurteilung nach grüne Positionen enthalten. Das Papier war fast durchgängig grün markiert.
Co-Fraktionschefin Nonnemacher sprach von »staatspolitischer Verantwortung«, die man wahrnehmen wolle. Sie ahnte voraus, dass von der Bewegung »Fridays for Future« Kritik kommen werde. Aber wäre dem Klima damit gedient, wenn die Grünen nicht regieren, fragte sie. Politik sei nun einmal kein »Wunschkonzert«.
Nach eigenen Angaben haben die Grünen »bis zum Schluss« für das von ihnen vorgezogene Bündnis mit der Linkspartei gekämpft. Die Landesvorsitzende Petra Budke verriet in Kleinmachnow, Rot-Rot-Grün sei letztendlich daran gescheitert, »dass wir der SPD nicht garantierten konnten, dass deren eigene Fraktion immer einheitlich abstimmt«. Rot-RotGrün hätte im Landtag nur eine einzige Stimme Mehrheit gehabt, Kenia hat fünf Stimmen über den Durst.
Der Landesvorsitzende Rostock betonte: »Wir haben hier ein Sondierungsergebnis, keinen Koalitionsvertrag.« Es sei erst einmal nur darum gegangen, festzustellen: »Lohnt es sich überhaupt, zu verhandeln?« Darum fehlten selbstverständlich noch etliche Punkte und einiges müsse auch nicht so kommen, wie es in dem Papier stehe. Beim Vergleich mit dem Wahlprogramm ist Rostock »stolz« auf das Erreichte. Dagegen meinte ein junger Redner, das Papier atme einen »konservativen Geist«, man müsse sich schämen und man werde sich blamieren.
Einige Anwohner des Großflughafens in Schönefeld sind ebenfalls skeptisch. Sie standen mit ihren Transparenten draußen vor dem Rathaus und drin auf dem Flur. Sie erinnerten die Grünen an ein Wahlversprechen: das konsequente Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr.
Im Saal sagte niemand, er hätte nicht lieber Rot-Rot-Grün gehabt. Aber die Mehrheit möchte, dass über Kenia verhandelt und die »historische Chance« ergriffen wird, nach einer langen Durststrecke seit 1994 in Brandenburg endlich wieder mitzuregieren.
Designstudenten sollen für Berlin und New York Wege finden, den Tourismus nachhaltiger zu machen. Die Abgeordnete Katalin Gennburg (LINKE) fordert die Abschaffung des Stadtmarketings.
Burkhard Kieker ist stolz wie Bolle. »Es ist ein Riesenkompliment, dass New York mit uns zusammenarbeitet«, sagt Berlins oberster Tourismuswerber dem »nd«, nachdem vor einigen Tagen in New York eine Kooperationsvereinbarung zwischen visitBerlin und NYC & Company unterzeichnet worden war. »New York und Berlin stehen für Internationalität, Vielfalt, Weltoffenheit und Freiheit. Unsere Städte ziehen Menschen aus aller Welt an, die neue Ideen einbringen und die wirtschaftliche Entwicklung unterstützen«, erklärt dazu Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).
Ziel der neuen Städtepartnerschaft sei der Erfahrungsaustausch im Bereich Destinationsmanagement für eine nachhaltige Tourismusentwicklung. Dazu gehörten unter anderem Strategien zur Beratung und Vermarktung der Bezirke, heißt es in einer Mitteilung dazu.
Außerdem haben die beiden Stadtmarketingorganisationen ein gemeinsames Projekt mit der südkalifornischen Privatuniversität ArtCenter College of Design aus Pasadena vereinbart. Rund ein Dutzend Studierende sollen ab November diesen Jahres zunächst sechs Wochen in der US-amerikanischen Ostküstenmetropole verbringen und anschließend weitere sechs Wochen in der deutschen Hauptstadt. »Wir wollen Leute, die mit dem Fallschirm über Berlin abspringen«, sagt Kieker. Die Universität von Pasadena sei eine der renommiertesten ihres Fachs weltweit und die Studierenden hätten Design Thinking gelernt, so Kieker weiter. Letztlich geht es dabei darum, die Wünsche der Besucher besser zu verstehen und darauf zu reagieren. »Wir wollen von denen wissen: Was fällt euch auf, was ist komisch, was sind eure Ideen? Wir sagen denen aber nicht: Geht nach Friedrichshain und guckt, warum einige Leute zu Euch komisch sind«, erläutert der Tourismuswerber. Man erhoffe sich ungewöhnliche Ideen und Ansichten, auch zu der Frage, wie man das Verhältnis zwischen den Berlinern und ihren Gästen verbessern könne.
»Die Studenten sind gebildete Millenials – genau die Gäste, die wir haben wollen«, vergisst Kieker nicht zu erwähnen. Dann wird er grundsätzlich: »Die Aufgabe der Hauptstadt ist es, Schaufenster der Republik und gastfreundlich zu sein.« Viele Menschen kämen nach Berlin, »um ihre Magnetspäne neu auszurichten«. Kieker sagt: »Ich appelliere daran, diese Rolle auch mit Stolz anzunehmen.« Tourismusfeindliche Äußerungen hingegen zerstörten das Image der Stadt. »Das tut ihr nicht gut«, ist er überzeugt.
Kieker spielt damit vor allem auf die Forderung der LINKE-Abgeordneten Katalin Gennburg, an, die unter anderem eine Abschaffung des Tourismusmarketings fordert.
»Stadtmarketing ist ein Relikt der neoliberalen Erfindung, wonach Städte sich als Marke darzustellen und wie Unternehmen zu funktionieren hätten – das finde nicht nur ich falsch«, sagt Gennburg dazu dem »nd«. »Dass andere Städte wie Barcelona und Amsterdam das Stadtmarketing abgeschafft haben, ist Anlass, darüber zu sprechen, wofür hier Steuergelder in Größenordnung ausgegeben werden und zu fragen, warum diese Gelder nicht gleich in die öffentliche Infrastruktur, in Spielplätze und Grünflächenpflege, fließen und so Berliner*innen und Berlinreisende glücklich machen«, so Gennburg weiter.
Darauf will Kieker sich nicht einlassen: »Diejenigen bekommen die größere Aufmerksamkeit, denen das Wiederhineinwachsen in die Rolle als Weltstadt viel zu schnell geht.« Dabei schwinge Berlin sich wieder in den Normalzustand einer Metropole zurück. Durch Krieg, Teilung und die Wirtschaftskrise nach der Wiedervereinigung sei es so gewesen, als hätte jemand das Pendel angehalten, erklärt er. »Die Kräfte, die sich entfalten, sind sicher auch unangenehm, zum Beispiel für die Mieter. Es ist aber zu einfach und populistisch, das alles bei den Touristen abzuladen«, ist Kieker überzeugt.
Das empört wiederum Gennburg, die Sprecherin für Tourismus ihrer Abgeordnetenhausfraktion ist. »Dass der Chef der Berliner Tourismusagentur Gentrifizierungsprozesse hier salopp als ›Normalisierung‹ verklärt, ist angesichts der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten in Berlin und weltweit mehr als befremdlich«, findet sie. Und schließlich habe sich Rot-Rot-Grün vorgenommen, Schluss zu machen mit der Parole der Vorgängerregierung, dass es »Kein Recht auf Innenstadt« gebe. »Wir wollen ein Berlin für alle«, sagt sie.
»Wir und New York haben den gleichen Ansatz: Wir generieren keinen Massentourismus. Der Vorwurf, dass wir wie mit einem Braunkohlebagger Leute in die Stadt schaffen, stimmt nicht«, erklärt Kieker. »Wir machen kaum noch Marketing in Deutschland und Europa, dafür aber in Asien«, berichtet er.
Gennburg lässt das nicht gelten und nennt das Beispiel der geplanten Bebauung für den Checkpoint Charlie. Hier will der Eigentümer der Grundschulden der noch unbebauten Flächen, der undurchsichtige Investor Trockland, unter anderem ein Hardrock-Hotel direkt auf einen der berühmtesten ehemaligen Grenzübergänge der Welt platzieren. RotRot-Grün konterte mit einem Bebauungsplanentwurf, der eine Hotelnutzung ausschließen soll. »Auch Burkhard Kieker hatte sich für die Investorenpläne eingesetzt und hier zeigt sich eben ganz plastisch, wie die Inwertsetzung und touristische Verwertung von bedeutsamen Stadträumen gegen eine inklusive und historisch sensible Stadtentwicklungspolitik gesetzt wird und sie sogar negiert«, sagt die Abgeordnete.