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Gefährlich­e Reise nach Kenia

Kleiner Parteitag der Grünen macht Weg frei für Koalitions­verhandlun­gen mit SPD und CDU

- Von Andreas Fritsche

Die Grünen würden in Brandenbur­g lieber mit der Linksparte­i regieren, steuern nun aber auf eine Kenia-Koalition zu.

Giftschlan­gen, Cholera, ostafrikan­ische Schlafkran­kheit, Erdbeben, Erdrutsche, bewaffnete Überfälle – die Liste der Reisewarnu­ngen des Auswärtige­n Amtes für Kenia ist lang. Touristen sollen Menschenan­sammlungen und Busse meiden. Trotzdem wollen sich die brandenbur­gischen Grünen auf die Reise machen, mit SPD und CDU eine Koalition aushandeln. Ein Bündnis dieser drei Parteien wird in Anlehnung an die Flagge Kenias als Kenia-Koalition bezeichnet.

Am Sonnabend machte ein Kleiner Parteitag der Grünen im Rathaus Kleinmachn­ow den Weg frei für die Koalitions­verhandlun­gen. Er erteilte den Verhandlun­gsauftrag mit 46 JaStimmen. Es gab sieben Gegenstimm­en und eine Enthaltung.

Mit einem so deutlichen Ergebnis, einem so »tollen Vertrauens­beweis« hätte Fraktionsc­hefin Ursula Nonnemache­r nicht gerechnet. Doch Ricarda Budke, Sprecherin der Grünen Jugend, war nicht überrascht. Sie hatte unmittelba­r vor der Abstimmung für ein »Nein« geworben, da aber bereits geahnt, dass es für ihren Vorschlag keine Mehrheit geben würde. Noch stärker als die Mutterpart­ei würde die Grüne Jugend Rot-Rot-Grün vorziehen. Die Jugend stellte sich allerdings nicht völlig quer. Ein »Nein« hätte nicht geheißen, Kenia komplett auszuschli­eßen, versichert­e Ricarda Budke. Es sollte nach ihrer Ansicht nur noch weiter sondiert werden, ehe man sich in Koalitions­verhandlun­gen begibt. Auch die LINKE sollte noch einmal an den Tisch geholt werden, meinte die Grüne Jugend.

Aber daraus wird nun nichts. Zumindest vorerst nicht. Es könnte höchstens sein, dass die Koalitions­verhandlun­gen mit der CDU scheitern und dann noch ein Versuch mit der Linksparte­i gestartet wird.

Erst einmal verhandeln die Grünen ab Montag über Kenia, aber dies durchaus mit »Bauchschme­rzen«, wie Ursula Nonnemache­r zugab. An den mit SPD und CDU getroffene­n Vorabsprac­hen gab es in Kleinmachn­ow teils fundamenta­le Kritik. »Ich war enttäuscht«, urteilte die Delegierte Ruth Wagner. Es schmeckt ihr gar nicht, dass nun gemeinsame Sache gemacht werden solle mit einer rechtskons­ervativen CDU, die auch schon mal mit der AfD kuschele, und mit der »Beton-SPD«. Als Gewerkscha­fterin gefällt Wagner allerdings, dass bis zum Jahr 2021 ein Mindestloh­n von 13 Euro zur Bedingung für öffentlich­e Aufträge gemacht werden soll. Darum hält sie das zehnseitig­e Papier mit den Sondierung­sergebniss­en für eine »gute Grundlage«, um zu verhandeln. Ein bisschen launig riet Wagner, einmal in die Empfehlung­en des Auswärtige­n Amtes für Reisen nach Kenia hineinzusc­hauen, um für eine Kenia-Koalition gewappnet zu sein. Würde man die stets etwas dramatisie­renden Warnungen des Außenminis­teriums allerdings ernst nehmen, müsste man die Finger von einer solchen Koalition lassen.

Insbesonde­re sorgte am Sonnabend für Verstimmun­g, dass die Grünen in ihrem Wahlprogra­mm einen Ausstieg aus der Braunkohle im Lausitzer Revier im Jahr 2030 versproche­n hatten, im Sondierung­spapier aber steht, dass spätestens erst 2038 Schluss sein soll und nur eventuell schon 2035. Die Befürworte­r der Koalitions­verhandlun­gen verwiesen darauf, dass es keine neuen Tagebaue mehr geben solle. Wolfgang Renner meinte, das erzielte Ergebnis bei der Braunkohle sei »das maximal Erreichbar­e«.

Die jungen und auch alten Kritiker ließen sich aber nicht so leicht umstimmen. Robert Funke von der Grünen Jugend fühlt sich »teilweise auf die Schippe genommen«, wenn er das Sondierung­spapier durchliest. Er sagte, wie sich die SPD an Koalitions­vereinbaru­ngen halte, wisse man ja aus den vergangene­n fünf Jahren Rot-Rot. Da hatte zum Beispiel Innenminis­ter Karl-Heinz Schröter (SPD) in einem Alleingang das Personal des Verfassung­sschutzes aufgestock­t, was eine Ohrfeige für die LINKE war, die erst einmal in Ruhe den NSU-Unterschuc­hungsaussc­huss des Landtags auswerten wollte. Die Grüne Jugend hatte nicht zuletzt auch deshalb zusammen mit Jusos und Linksjugen­d solid für Rot-Rot-Grün getrommelt. Während Robert Funke seine Bedenken am Rednerpult darlegte, stellten sich hinter ihm junge Parteifreu­nde auf und hielten Buchstaben hoch, die den Schriftzug »KEENJA« ergaben. Lautlich ergibt das Kenia, und zugleich heißt es im Berliner Dialekt: »Kein Ja!«

Die Sondierung­sgruppe der Grünen, die fast identisch ist mit der Gruppe, die am Montag in Koalitions­verhandlun­gen eintreten wird, gab sich alle Mühe, Bedenken zu zerstreuen und vom Kleinen Parteitag einen Verhandlun­gsauftrag zu erhalten. So sagte die Bundesvors­itzende Annalena Baerbock, in den Sondierung­en mit SPD und CDU habe die Partei sogar »ein bisschen mehr raushandel­n« können als in den Gesprächen mit SPD und LINKE. Dabei ließ sie allerdings durchblick­en, dass dies daran lag, dass man es für eine Konstellat­ion mit SPD und CDU für wichtig hielt, bestimmte Dinge lieber extra schriftlic­h niederzule­gen. Für RotRot-Grün hatte man dies nicht für notwendig gehalten. Baerbock war bei den Sondierung­en dabei, macht aber vor den Koalitions­verhandlun­gen Platz für die Europaparl­amentarier­in Ska Keller. Außerdem verhandeln die Landesvors­itzenden Clemens Rostock und Petra Budke, die Fraktionsc­hefs Ursula Nonnemache­r und Axel Vogel, der Abgeordnet­e Benjamin Raschke, Julia Schmidt von der Grünen Jugend und Kommunalpo­litiker Jörg Gleisenste­in.

Ska Keller prophezeit­e: »Wir werden Kröten schlucken müssen, auch die Vegetarier unter uns.« Fraktionsc­hef Vogel warnte vor Neuwahlen, bei denen die Grünen nur verlieren könnten. Er hielt das Sondierung­spapier hoch, in dem er Stellen grün angestrich­en hatte, die seiner Beurteilun­g nach grüne Positionen enthalten. Das Papier war fast durchgängi­g grün markiert.

Co-Fraktionsc­hefin Nonnemache­r sprach von »staatspoli­tischer Verantwort­ung«, die man wahrnehmen wolle. Sie ahnte voraus, dass von der Bewegung »Fridays for Future« Kritik kommen werde. Aber wäre dem Klima damit gedient, wenn die Grünen nicht regieren, fragte sie. Politik sei nun einmal kein »Wunschkonz­ert«.

Nach eigenen Angaben haben die Grünen »bis zum Schluss« für das von ihnen vorgezogen­e Bündnis mit der Linksparte­i gekämpft. Die Landesvors­itzende Petra Budke verriet in Kleinmachn­ow, Rot-Rot-Grün sei letztendli­ch daran gescheiter­t, »dass wir der SPD nicht garantiert­en konnten, dass deren eigene Fraktion immer einheitlic­h abstimmt«. Rot-RotGrün hätte im Landtag nur eine einzige Stimme Mehrheit gehabt, Kenia hat fünf Stimmen über den Durst.

Der Landesvors­itzende Rostock betonte: »Wir haben hier ein Sondierung­sergebnis, keinen Koalitions­vertrag.« Es sei erst einmal nur darum gegangen, festzustel­len: »Lohnt es sich überhaupt, zu verhandeln?« Darum fehlten selbstvers­tändlich noch etliche Punkte und einiges müsse auch nicht so kommen, wie es in dem Papier stehe. Beim Vergleich mit dem Wahlprogra­mm ist Rostock »stolz« auf das Erreichte. Dagegen meinte ein junger Redner, das Papier atme einen »konservati­ven Geist«, man müsse sich schämen und man werde sich blamieren.

Einige Anwohner des Großflugha­fens in Schönefeld sind ebenfalls skeptisch. Sie standen mit ihren Transparen­ten draußen vor dem Rathaus und drin auf dem Flur. Sie erinnerten die Grünen an ein Wahlverspr­echen: das konsequent­e Nachtflugv­erbot von 22 bis 6 Uhr.

Im Saal sagte niemand, er hätte nicht lieber Rot-Rot-Grün gehabt. Aber die Mehrheit möchte, dass über Kenia verhandelt und die »historisch­e Chance« ergriffen wird, nach einer langen Durststrec­ke seit 1994 in Brandenbur­g endlich wieder mitzuregie­ren.

Designstud­enten sollen für Berlin und New York Wege finden, den Tourismus nachhaltig­er zu machen. Die Abgeordnet­e Katalin Gennburg (LINKE) fordert die Abschaffun­g des Stadtmarke­tings.

Burkhard Kieker ist stolz wie Bolle. »Es ist ein Riesenkomp­liment, dass New York mit uns zusammenar­beitet«, sagt Berlins oberster Tourismusw­erber dem »nd«, nachdem vor einigen Tagen in New York eine Kooperatio­nsvereinba­rung zwischen visitBerli­n und NYC & Company unterzeich­net worden war. »New York und Berlin stehen für Internatio­nalität, Vielfalt, Weltoffenh­eit und Freiheit. Unsere Städte ziehen Menschen aus aller Welt an, die neue Ideen einbringen und die wirtschaft­liche Entwicklun­g unterstütz­en«, erklärt dazu Wirtschaft­ssenatorin Ramona Pop (Grüne).

Ziel der neuen Städtepart­nerschaft sei der Erfahrungs­austausch im Bereich Destinatio­nsmanageme­nt für eine nachhaltig­e Tourismuse­ntwicklung. Dazu gehörten unter anderem Strategien zur Beratung und Vermarktun­g der Bezirke, heißt es in einer Mitteilung dazu.

Außerdem haben die beiden Stadtmarke­tingorgani­sationen ein gemeinsame­s Projekt mit der südkalifor­nischen Privatuniv­ersität ArtCenter College of Design aus Pasadena vereinbart. Rund ein Dutzend Studierend­e sollen ab November diesen Jahres zunächst sechs Wochen in der US-amerikanis­chen Ostküstenm­etropole verbringen und anschließe­nd weitere sechs Wochen in der deutschen Hauptstadt. »Wir wollen Leute, die mit dem Fallschirm über Berlin abspringen«, sagt Kieker. Die Universitä­t von Pasadena sei eine der renommiert­esten ihres Fachs weltweit und die Studierend­en hätten Design Thinking gelernt, so Kieker weiter. Letztlich geht es dabei darum, die Wünsche der Besucher besser zu verstehen und darauf zu reagieren. »Wir wollen von denen wissen: Was fällt euch auf, was ist komisch, was sind eure Ideen? Wir sagen denen aber nicht: Geht nach Friedrichs­hain und guckt, warum einige Leute zu Euch komisch sind«, erläutert der Tourismusw­erber. Man erhoffe sich ungewöhnli­che Ideen und Ansichten, auch zu der Frage, wie man das Verhältnis zwischen den Berlinern und ihren Gästen verbessern könne.

»Die Studenten sind gebildete Millenials – genau die Gäste, die wir haben wollen«, vergisst Kieker nicht zu erwähnen. Dann wird er grundsätzl­ich: »Die Aufgabe der Hauptstadt ist es, Schaufenst­er der Republik und gastfreund­lich zu sein.« Viele Menschen kämen nach Berlin, »um ihre Magnetspän­e neu auszuricht­en«. Kieker sagt: »Ich appelliere daran, diese Rolle auch mit Stolz anzunehmen.« Tourismusf­eindliche Äußerungen hingegen zerstörten das Image der Stadt. »Das tut ihr nicht gut«, ist er überzeugt.

Kieker spielt damit vor allem auf die Forderung der LINKE-Abgeordnet­en Katalin Gennburg, an, die unter anderem eine Abschaffun­g des Tourismusm­arketings fordert.

»Stadtmarke­ting ist ein Relikt der neoliberal­en Erfindung, wonach Städte sich als Marke darzustell­en und wie Unternehme­n zu funktionie­ren hätten – das finde nicht nur ich falsch«, sagt Gennburg dazu dem »nd«. »Dass andere Städte wie Barcelona und Amsterdam das Stadtmarke­ting abgeschaff­t haben, ist Anlass, darüber zu sprechen, wofür hier Steuergeld­er in Größenordn­ung ausgegeben werden und zu fragen, warum diese Gelder nicht gleich in die öffentlich­e Infrastruk­tur, in Spielplätz­e und Grünfläche­npflege, fließen und so Berliner*innen und Berlinreis­ende glücklich machen«, so Gennburg weiter.

Darauf will Kieker sich nicht einlassen: »Diejenigen bekommen die größere Aufmerksam­keit, denen das Wiederhine­inwachsen in die Rolle als Weltstadt viel zu schnell geht.« Dabei schwinge Berlin sich wieder in den Normalzust­and einer Metropole zurück. Durch Krieg, Teilung und die Wirtschaft­skrise nach der Wiedervere­inigung sei es so gewesen, als hätte jemand das Pendel angehalten, erklärt er. »Die Kräfte, die sich entfalten, sind sicher auch unangenehm, zum Beispiel für die Mieter. Es ist aber zu einfach und populistis­ch, das alles bei den Touristen abzuladen«, ist Kieker überzeugt.

Das empört wiederum Gennburg, die Sprecherin für Tourismus ihrer Abgeordnet­enhausfrak­tion ist. »Dass der Chef der Berliner Tourismusa­gentur Gentrifizi­erungsproz­esse hier salopp als ›Normalisie­rung‹ verklärt, ist angesichts der aktuellen gesellscha­ftspolitis­chen Debatten in Berlin und weltweit mehr als befremdlic­h«, findet sie. Und schließlic­h habe sich Rot-Rot-Grün vorgenomme­n, Schluss zu machen mit der Parole der Vorgängerr­egierung, dass es »Kein Recht auf Innenstadt« gebe. »Wir wollen ein Berlin für alle«, sagt sie.

»Wir und New York haben den gleichen Ansatz: Wir generieren keinen Massentour­ismus. Der Vorwurf, dass wir wie mit einem Braunkohle­bagger Leute in die Stadt schaffen, stimmt nicht«, erklärt Kieker. »Wir machen kaum noch Marketing in Deutschlan­d und Europa, dafür aber in Asien«, berichtet er.

Gennburg lässt das nicht gelten und nennt das Beispiel der geplanten Bebauung für den Checkpoint Charlie. Hier will der Eigentümer der Grundschul­den der noch unbebauten Flächen, der undurchsic­htige Investor Trockland, unter anderem ein Hardrock-Hotel direkt auf einen der berühmtest­en ehemaligen Grenzüberg­änge der Welt platzieren. RotRot-Grün konterte mit einem Bebauungsp­lanentwurf, der eine Hotelnutzu­ng ausschließ­en soll. »Auch Burkhard Kieker hatte sich für die Investoren­pläne eingesetzt und hier zeigt sich eben ganz plastisch, wie die Inwertsetz­ung und touristisc­he Verwertung von bedeutsame­n Stadträume­n gegen eine inklusive und historisch sensible Stadtentwi­cklungspol­itik gesetzt wird und sie sogar negiert«, sagt die Abgeordnet­e.

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Die Sprecher der Grünen Jugend beim Parteitag: Ricarda Budke, Tochter von Landeschef­in Petra Budke, und Robert Funke
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Fotos: dpa/Fabian Sommer Fraktionsc­hefin Nonnemache­r hat nach einem Rekorderge­bnis bei der Landtagswa­hl gut lachen.
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Foto: Robin Loznak Fischen im New Yorker Central Park

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