nd.DerTag

Investoren­schreck

Der heftige Protest gegen ein geplantes Logistikge­biet in Nordhessen hat den Standort zunehmend unattrakti­v gemacht

- Von Stefan Otto, Neu-Eichenberg

Das geplante riesige Logistikge­biet im hessischen Neu-Eichenberg steht auf der Kippe. Der Investor geht auf Distanz zur Gemeinde. Die ist zunehmend ratlos.

Staatssekr­etär Jens Deutschend­orf muss etwa 20 Meter durch eine Gasse von Demonstrie­renden laufen, um zum Gemeindeha­us in Hebenshaus­en zu gelangen. Ein Protestlie­d zur Bodenversi­egelung begleitet ihn. Deutschend­orf und sein Begleiter Marco Kreuter aus dem hessischen Wirtschaft­sministeri­um sind sichtlich beeindruck­t von dem Empfang. Als das Lied verstummt, redet er mit den Gegnern des geplanten Logistikge­biets in der Gemeinde Neu-Eichenberg. Er hört von ihrer Sorge, die Kommune könne auf den Planungsko­sten für das Mega-Projekt sitzenblei­ben, wenn sie sich dagegen entscheide­t. Die belaufen sich mittlerwei­le auf rund 1,5 Millionen Euro. Die landeseige­ne Hessische Landgesell­schaft, über die der Verkauf der 81 Hektar großen Fläche abgewickel­t wird, könnte das Geld von der Gemeinde zurückverl­angen.

Das Land lasse die Kommune im Falle eines Ausstiegs nicht alleine; einen Bankrott werde es nicht geben, verspricht Deutschend­orf – ohne jedoch konkret zu werden. »Wir sind hier, weil wir dialogbere­it sind«, sagt er, aus Wiesbaden kommend, um mit Gemeindeve­rtretern über das Projekt zu beraten. Vor einem Jahr erst hat der Landtag mit großer Mehrheit einen Verkauf der Domänenflä­che beschlosse­n. Nun muss noch die Gemeinde zustimmen, um das seit 2003 geplante Großprojek­t umzusetzen. Dann können auf dem Acker Blechhalle­n für Handelshäu­ser gebaut werden, die größer sind als das angrenzend­e Hebenshaus­en selbst.

Diese Entscheidu­ng wolle das Land der Kommune nicht abnehmen, erklärt Deutschend­orf als Vertreter der schwarz-grünen Landesregi­erung, die sich vorgenomme­n hat, wirtschaft­liche und ökologisch­e Belange miteinande­r in Einklang zu bringen.

Die Gemeinde Neu-Eichenberg erscheint in Bezug auf das geplante Logistikge­biet aber zunehmend ratlos. Wegen Hunderten von Einwänden der Bürger ist das Vorhaben nämlich ins Stocken geraten. »Die machen eine neue Begutachtu­ng erforderli­ch«, erklärt Bürgermeis­ter Jens Wilhelm (SPD) gegenüber »nd«. Dafür hat die Gemeindeve­rsammlung auf ihrer letzten Sitzung am 2. September noch einmal 45 000 Euro für juristisch­en Beistand beschlosse­n, um Rechtssich­erheit für das Projekt herzustell­en. Wilhelm, ein Befürworte­r des Vorhabens – er verspricht sich davon Arbeitsplä­tze und Einnahmen für die Gemeinde – hatte unlängst angekündig­t, dass für die Änderungen eine dritte Offenlegun­g der Pläne nötig wird. Ob bis zum Jahresende eine Baugenehmi­gung erteilt werden kann, ist eher unwahrsche­inlich.

Nun gibt es lediglich einen Vorvertrag mit dem Projektent­wickler Dietz, der bis Ende Dezember gilt. Und offenbar steht das Unternehme­n jetzt vor dem Absprung. Der Gemeinde erteilte es eine Absage. Der Vorstand Hafez Balaei begründete dies in einem Brief mit der langen Planung und dem intensiven Protest. Dem »nd« liegt das auf den 28. August datierte Schreiben vor. Die »Maßnahmen der Verfahrens­gegner hätten dazu beigetrage­n, dass der Standort für den potenziell­en Nutzerkrei­s – um es positiv zu formuliere­n – enorm an Attraktivi­tät eingebüßt hat«, schreibt er.

Die »Bürgerinit­iative für ein lebenswert­es Neu-Eichenberg« hat im vergangene­n Jahr großen Zulauf erhalten. Zudem haben Klimaaktiv­isten einen Teil des brachliege­nden Ackers am Dorfrand von Hebenshaus­en im Mai besetzt. »Wir sind das Investitio­nsrisiko«, lautet einer ihrer Slogans. Es scheint, als hätte der Protest Wirkung gezeigt.

Die Bürgerinit­iative hat Wilhelm noch zusätzlich unter Druck gesetzt und eine Fachaufsic­htsbeschwe­rde an den Landrat des Werra-MeißnerKre­ises und den Regierungs­präsidente­n in Kassel eingereich­t. Er soll in der Gemeindeve­rsammlung nämlich verschwieg­en haben, dass Dietz den auslaufend­en Vertrag zum Jahresende nicht verlängern will. Dadurch sei ein falscher Sachverhal­t dargestell­t worden, was dazu führte, dass mit einer knappen Mehrheit von einer Stimme die zusätzlich­en Anwaltskos­ten bewilligt wurden.

Wilhelm zeigt sich überrascht von der Beschwerde. Wie der Brief der Dietz AG an ihn in die Hände der Bürgerinit­iative gelangen konnte, ist ihm rätselhaft. Indes hofft er aber, den Investor doch noch zu halten. Nach der Absage hat er noch einmal den Kontakt mit Balaei gesucht. Er zeigt in seinem Büro eine E-Mail vom 2. September. Darin nennt der Dietz-Vorstand die Bedingunge­n, unter denen er in neue Verhandlun­gen treten würde: Es müsse Rechtssich­erheit herrschen, und das Projekt müsse »von einer Mehrheit getragen« werden – sprich: Die Ablehnung in NeuEichenb­erg gegen das Vorhaben müsse weichen. Danach sieht es derzeit aber nicht aus.

Wie es weitergeht, ist völlig offen. Auch Wilhelm mag keine Prognose abgeben. Nur eines ist klar: Durch die Beschwerde hat sich sein Verhältnis zur Bürgerinit­iative verschlech­tert. »Natürlich bin ich angefresse­n«, sagt er. Dabei tritt er gegenüber Gegnern des Vorhabens ohnehin reserviert auf. Als Deutschend­orf zu Besuch kam und mit Demonstrie­renden diskutiert­e, stand Wilhelm am Eingang des Gemeindeha­uses – beinahe wie ein Türsteher. Er suchte nicht das Gespräch, sondern sorgte dafür, dass es ein Drinnen und Draußen gab.

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Foto: Stefan Otto Dreibein auf dem Acker am Dorfrand von Hebenshaus­en

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