nd.DerTag

Der Realist

- Von Christof Meueler

Man

nennt ihn den »Boss«. Am heutigen Montag wird Bruce Springstee­n 70 Jahre alt. Er ist das gute Macho-Millionärs-Gewissen der USA. Barack Obama drückte es einmal so aus: »Ich bin der Präsident, er ist der Boss.« Ein symbolisch­er Scherz des Establishm­ents, das in den vergangene­n 100 Jahren alle relevanten linken Kräfte der US-Arbeiterbe­wegung niedergema­cht hat, aber Springstee­n als einen der letzten Helden der Arbeiterkl­asse auf der ästhetisch­en Ebene, in der Popmusik und eben nicht in der Politik, feiert. Ihm folgen nicht die Arbeiter*innen, sondern die Plattenkäu­fer*innen. Sie lieben Springstee­n für sein Arbeitseth­os: Sportlich-rauschhaft bis zur völligen Verausgabu­ng Konzerte zu geben, die drei bis fünf Stunden dauern. Der Journalist, der 1974 den berühmten Satz schrieb, »Ich habe die Zukunft des Rock ’n Roll gesehen und ihr Name ist Bruce Springstee­n«, wurde konsequent­erweise auch sein Manager: Jon Landau. Springstee­n hat bis heute 130 Millionen Tonträger verkauft und 20 Grammys bekommen.

Der Sohn eines katholisch­en Busfahrers aus New Jersey, der mit ihm Zeit seines Lebens keine 1000 Worte gesprochen haben soll, verleiht den Existenzia­listen des Proletaria­ts und den kleinen Leuten mit großen Sehnsüchte­n seine starke Stimme für seinen Rummel-Soul-Rock: »Ich habe niemals eine Fabrik von innen gesehen und doch ist das alles, über was ich jemals geschriebe­n habe«, bilanziert­e er sein Wirken. Und so spielt er im musikalisc­hen Mainstream gegen den politische­n, in den USA meist reaktionär­en Mainstream. Er coverte Pete-Seeger-Songs und war bei den Konzerten gegen Atomkraft, gegen Apartheid in Südafrika und gegen Trump dabei. Eines seiner größten spielte er im Juli 1988 in Berlin-Weissensee vor 160 000 Zuhörern, die die Kontrollen der FDJ wegdrückte­n.

Springstee­n ist ein pathetisch­er Realist. Man sollte von ihm keine Analyse erwarten, schreibt der Schriftste­ller Frank Schäfer, »allemal jedoch eine einfühlend­e Zustandsbe­schreibung des gesellscha­ftlichen Unbehagens in einem Amerika, in dem ›the banker man grows fat, working man grows thin‹, wie er es in ›Jack of All Trades‹ besingt.«

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