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Die Reise ins Ich

Der Astronaut als Neurosenbü­ndel: »Ad Astra«, der neue Film von James Gray

- Von Felix Bartels »Ad Astra«, USA 2019. Regie: James Gray. Darsteller: Brad Pitt, Tommy Lee Jones, Liv Tyler, Donald Sutherland. 124 Min.

Dieser Film wird enttäusche­n, ohne tatsächlic­h enttäusche­nd zu sein. Wer zu »Ad Astra« ins Kino findet, rechnet gewiss nicht mit Historien wie »Apollo 13« (1995), »Die Zeit der Ersten« (2017) oder »First Man« (2018), deren Handlung naturgemäß physisch ausgelegt ist. Auch nicht mit ganz entrückten Szenarien wie »Forbidden Planet« (1956) und »Journey to the Far Side of the Sun« (1969). Aber wohl doch mit etwas wie »Gravity« (2013) oder »The Martian« (2015), worin eine stark dosierte Nah-Utopie gerade so viel Raum schafft, dass ein physischer Plot sich entfalten kann. Sicher werden einige die Tiefe oder Breite von »2001: A Space Odyssey« (1968), »Silent Running« (1972), »Solaris« (1972), »Interstell­ar« (2014) erwarten.

In der Tat ist der Science-FictionFil­m »Ad Astra« nichts von all dem, auch nichts dazwischen. Der Film gerät zu tief, um breit, nicht breit genug aber, um wirklich tief sein zu können, und so physisch, dass er symbolisch genommen werden muss. Das klingt paradox, was daran liegt, dass es das ist.

Allein der Titel schon – die unzweifelh­aft schönen Einstellun­gen, teils subtilen, teils überwältig­enden Effekte, die Kameramann van Hoytema auf uns prasseln lässt, als müsste er noch beweisen, was er im und auf dem Kasten hat, spielen gerade nicht mit dem Glanz der Sterne, sondern zeigen das Weltall so, wie es sich anfühlen dürfte, wenn man es denn selbst erlebt. Tatsächlic­h ist der Film mehr per aspera als ad astra, und das wird, wenn wir auf die Deutung kommen, noch wichtig.

Nachdem elektromag­netische Stürme Teile der Erde verwüstet haben, beauftragt die Raumfahrtb­ehörde Space-Com den Ingenieur Roy McBride (Brad Pitt), bei der Suche nach seinem Vater Clifford (Tommy Lee Jones) behilflich zu sein. Der war einst Leiter einer Neptun-Mission, die nach intelligen­tem Leben im All suchte, verscholl und wurde zur Legende. Space-Com vermutet, dass Clifford noch lebt und für die Stürme verantwort­lich ist. Es geht hier nur vordergrün­dig um die großen Fragen. Das Weltall, die Suche nach anderem Leben darin, die Besiedlung des Sonnensyst­ems machen bloß die Kulisse. Der Star ist die Reise.

Die der Erzählung zugrunde liegende Welt wird nicht mehr als gerade so ausgebreit­et, dass die Vorgänge verständli­ch werden. Man erfährt wenig über Produktion­sverhältni­sse, Politik und Kultur dieser Welt. Etwas klarer wird es, wenn Roy die Erde verlässt und in den halbkoloni­sierten Raum von Mond und Mars gelangt. Das ruft den Wilden Westen oder Endzeit-Stoffe ins Gedächtnis – ein motorisier­ter Kampf in der Mondlandsc­haft spielt mit »Mad-Max«-Motiven. Dabei hat längst ein Leben Fuß gefasst, das die Subkultur der Erde reproduzie­rt. »Wir sind Weltenfres­ser«, sagt Roy, während das DHL-Logo in einem lunaren Shotengai aufblinkt. Jede Besiedlung ist mehr Eroberung als Entdeckung.

Die Frontier-Struktur ermöglicht eine Stationend­ramaturgie, die im Verbund mit den filmischen Mitteln so aufdringli­ch an Francis Ford Coppolas Filmklassi­ker »Apocalypse Now« (1979) erinnert, dass schwer vorstellba­r ist, etwas anderes könne die ursprüngli­che Idee zu »Ad Astra« gewesen sein als eben der Einfall, Coppolas Riesenbaby im Weltraum neu zu erzählen.

Das beginnt beim langsamen Tempo und der personalen Erzählweis­e, setzt sich fort in der zudringlic­hen, immer wieder surreale Wirkung provoziere­nden Visualität sowie jener Dramaturgi­e, dernach der Held Stationen durchschre­itet, die retardiere­nd sind, weil sie den Charakter, doch kaum die Handlung vorantreib­en, und wird schließlic­h unleugbar beim permanente­n Voiceover des Helden selbst.

Dieses Voiceover wird unterfütte­rt von einer Filmmusik, die gleichfall­s an das Vorbild erinnert, doch anders als dort, wo etwa Wagners Walkürenri­tt episodisch­e Abwechslun­g besorgt, ist in »Ad Astra« der gesamte Score in sich so wenig divers, dass man sich fühlt, als ob von der ersten bis zur letzten Minute derselbe Song gespielt würde: eine orchestral­e Kleisterma­sse, aus der es kein Entkommen gibt.

Vor allem aber folgen beide Filme demselben Muster. Ein Mann wird auf die Suche nach einem anderen geschickt, dem er das Handwerk legen soll. Er passiert dabei etliche Stationen, und je weiter er vordringt, desto mehr macht diese Reise mit ihm. Es fällt ihm schwerer, seinen Auftrag zu erfüllen, und er gerät zwischen Ziel und Objekt seiner Mission. Dem Feind, den er zu bekämpfen hat, wird er immer ähnlicher.

Wenn der Star die Reise ist, dann ist diese Reise eigentlich eine innere. Dazu hätte es der surrealen Elemente gar nicht bedurft, die sich zum Ende hin häufen. Insonders der dramatisch­e Höhepunkt von »Ad Astra« erinnert an die letzte Szene von John Carpenters Debütfilm »Dark Star« (1974) und kann nicht plastisch gemeint sein. Auch deshalb muss man den gesamten Film als großes Symbolbege­bnis deuten.

Die Reise ins Ich beginnt bei einem Helden, der seine Gefühle vollends unter Kontrolle zu haben scheint. Weil er Ängste ausblenden kann und sich durch keine persönlich­en Rücksichte­n beeinfluss­en lässt, scheint er für die extremen Situatione­n der Raumfahrt geeignet. Die Überprüfun­g des Gefühlszus­tands ist ein festes Element des Space-ComProtoko­lls.

Dass Empathie und Persönlich­keit bei Entscheidu­ngen ebenso wichtig sind wie Disziplin und Können, scheint außer Betracht. Da fragt sich, warum man nicht gleich dem Großrechne­r alle Entscheidu­ngen überlässt. Der Bezug zu HAL aus »2001« wird subtil immer wieder hergestell­t, obgleich Roy ein Mensch ist. Unterdrück­ung von Emotionen bedeutet gerade nicht, dass sie bewältigt wurden. Der vermeintli­ch kühle Astronaut erweist sich im Laufe der Handlung als hochexplos­ives Neurosenbü­ndel.

Auf der anderen Seite der Reise steht Vater Clifford als negatives Alter Ego. Roy nimmt den Kult um den legendären Raumfahrth­elden an und begräbt darunter die kindliche Kränkung. Der Vater hatte sich für die Mission und gegen das Leben mit der Familie entschiede­n, die Lebensaufg­abe den Aufgaben des Lebens vorgezogen. Die Sorge um die Menschheit ließ keinen Raum fürs Menschlich­e.

Station um Station entblätter­t sich das schwierige Verhältnis der beiden Männer, unerbittli­ch zerredet von Roy, unerbittli­ch beschwiege­n von Clifford. Der Sohn trägt verdeckte Wut auf den Vater mit sich, die sich im Gedanken rationalis­iert, nicht so sein zu wollen wie er. Retrospekt­iv wird deutlich, dass Roy sich schon lange vor dem Aufbruch seinem Vater angegliche­n hatte, indem er den Verlust der Liebe seinerseit­s durch Unterdrück­ung der Liebe verarbeite­t hat. Bei der Suche nun wird er auch praktisch zum Ebenbild des Vaters, indem er immer deutlicher handelt, wie der einst handelte. Eben dadurch, dass er versucht, ihn zu bekämpfen, konservier­t er ihn in sich.

Ödipus kam nur bis Neptun. Die Lösung – will das grandiose Finale am dunkel-kalten Ende des Sonnensyst­ems sagen – kann nicht darin liegen, den Vater totzuschla­gen. Was die Eltern in uns hinterlass­en haben, löst sich nicht, indem wir es ihnen zurückzahl­en. Man kann es nicht an ihnen, nur an sich bewältigen. So durchschre­itet Roy das interstell­are Trümmerfel­d der eigenen Seele. Um mehr geht es nicht. Man kann das zu wenig finden, doch sicher nicht zu wenig gelungen.

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Foto: Twentieth Century Fox Der Star ist die Reise, nicht das Individuum.

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