Obama und die Gründer
In der Start-up-Welt passen Anspruch und Realität nicht zusammen.
Die Start-up-Branche gibt sich gerne als eine Graswurzelbewegung, die die Welt verbessert. Doch Anspruch und Realität klaffen weit auseinander, wie ein Besuch auf einer Start-up-Konferenz zeigt.
Letztlich kommt er dann doch noch. Mit langen Schritten und breitem Lächeln schreitet er über die Bühne. Der Stargast, auf den alle gewartet hatten, der 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Barack Obama. Marschmusik erschallt, die Menge im Saal steht auf und applaudiert. Obama winkt ihr zu, so wie er es schon unzählige Male gemacht hat.
Später wird er auf einem Designersessel, die Beine übereinander geschlagen, dem Publikum mit ruhiger Stimme seine Sicht auf die Welt erklären, in der einen Hand das Mikro, mit der anderen gestikulierend. Etwa über die Schwedin Greta Thunberg, die die »Fridays-for-Future«-Bewegung ins Rollen brachte: »Sie ist außergewöhnlich«, sagt Obama. Sie trage eine Last, die ein 16-jähriges Mädchen nicht zu tragen haben sollte. »Diejenigen von uns, die behaupten, sie seien erwachsen, sollten auch so handeln.« Er hoffe, dass die Anwesenden in die Zukunft und die jungen Menschen investierten, mahnt Obama. »Das sind nämlich die einzigen Menschen, die wissen, wie man Ihre Produkte bedient.«
»Bits and Pretzels«, Bits und Bretzeln, hieß das Event, auf dem Obama sprach. Es war eine Start-up-Konferenz mit rund 5000 Teilnehmern in München. Bits und Bretzel, das ist die neue Version von »Laptop und Lederhosen«. Oder wie es einer der Organisatoren sagte: »In Bayern verwurzelt, in der Welt zu Hause.« Natürlich alles auf Englisch, der Lingua franca der Geschäftswelt, aber in Lederhosen. Überhaupt ist der Dirndlund Lederhosenanteil sehr hoch auf der Veranstaltung. Man feiert sich eben als weltgewandt, aber in der Heimat verwurzelt. So wie es die bayerische Landesregierung auch propagieren will, doch sie hat in der praktischen Umsetzung so manches Problem damit: Als der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern bei der Eröffnung der Konferenz seine Rede beginnt, fängt das Publikum an zu lachen. Über ihn. Mit seinen nicht vorhandenen Englischkenntnissen macht er selbst EU-Kommissar Günther Oettinger Konkurrenz.
Seit 2014 gibt es »Bits and Pretzels«, anfangs als Frühstück in einem Bierkeller, mittlerweile lädt man in das Messezentrum auf dem Gelände des alten Flughafens München-Riem im Osten der Landeshauptstadt – und zum Abschluss am letzten Tag in ein Bierzelt auf dem Oktoberfest. »Liquid networking«, »flüssiges Netzwerken«, heißt das dann. Denn bei dem Event geht es hauptsächlich darum, neue Kontakte zu knüpfen, alte aufzufrischen und vielleicht das eine oder andere Geschäft anzubahnen. Stargäste wie Barack Obama dürfen als Rahmenprogramm da nicht fehlen. Früher war schon mal der Schauspieler Kevin Spacey zu Gast, dieses Jahr gab sich neben dem ehemaligen US-Präsidenten die US-Schauspielerin Jessica Alba die Ehre.
Die ökonomische Bedeutung von Start-ups ist überschaubar
Als Start-up bezeichnet man meist junge Unternehmen mit einer innovativen Geschäftsidee. Meist sind das Technologie- und Internetunternehmen. Auf der Konferenz waren von Online-Hundefutterhändlern aus Schweden über Finanzdienstleister bis zu Anbietern der neuesten Fitness-App alle möglichen Geschäftsideen als Start-up vertreten.
Hierzulande reißt sich in der Wirtschaft gerade alles um die Gründerund Start-up-Szene. Das Bundeswirtschaftsministerium startete vor knapp einem Jahr zusammen mit Wirtschaftsverbänden eine Gründungsoffensive. Große Konzerne wie der Medienkonzern ProsiebenSat1 haben Tochterunternehmen, mit denen sie in junge Unternehmen investieren, oder gründen wie VW oder die Allianz kleine Konzerneinheiten, die wie Start-ups aufgebaut sind und in denen Geschäftsmodelle für die Zukunft entwickelt werden.
Doch die ökonomische Bedeutung der Gründerszene ist für die Gesamtwirtschaft eher überschaubar: 1550 Start-ups mit 17647 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gab es laut dem »Deutschen Start-up Monitor« vergangenes Jahr. Drei Viertel von ihnen erzielen einen Umsatz von unter 500 000 Euro. Der Hype um die Szene rührt eher aus der Hoffnung, dass ein hiesiges Start-up mal ein deutsches Google oder Facebook werden könnte. Schließlich fingen die großen Techkonzerne, die jetzt jeder kennt, auch einmal klein an.
Bevor man Obama hören darf, wird die Konferenz mit einem großen Tusch eröffnet. Einige Redner sind vor ihm dran, die Organisatoren erzählen, wie lange sie gebraucht hätten, ihn für ihre Veranstaltung zu kriegen – und dass man als Start-up-Szene so etwas wie eine Graswurzelbewegung sei. Viel ist später auf den Podien die Rede von Greta Thunberg, Nachhaltigkeit, wie »inspirierend« Obama sei und dass man als Gründer etwas Magisches schaffen, die Welt verändern könne. So ist zumindest der eigene moralische Anspruch.
Man will Kapital und Geschäftsidee zusammenbringen
Doch letztlich geht es bei Konferenzen wie dieser vor allem um eines: Kapital und Geschäftsidee zusammenzubringen. Denn die Gründerszene ist davon geprägt, dass sich die jungen Unternehmerinnen und Unternehmer ihr Geld meist nicht von der Bank holen, sondern von Privatinvestoren, auch Angel Investors, Engelinvestoren, genannt. In Zeiten historisch niedriger Zinsen ist das für die Geldgeber zwar ein schwer zu kalkulierendes Risiko. Es kann sich aber lohnen, wenn ein Start-up nach drei, vier Jahren für viel Geld verkauft wird.
Schon beim Registrieren kann man leicht erkennen, wer Investor und wer Gründer ist, wer Geld hat und wer Geld für seine Geschäftsidee sucht. In der einen Reihe stehen meist ältere Herren im Anzug, in der anderen jüngere Frauen und Männer, etwas legerer gekleidet. Damit später jeder weiß, wer wer ist, bekommt man einen Pass umgehängt. Blau ist die Farbe für Start-ups, Gelb für Investoren.
Um Kapital und Geschäftsidee zusammenzubringen, wird es noch eine Speeddating-Runde geben. In einem kleineren Konferenzraum treffen sich Investoren und Gründer. Pro Stehtisch soll es maximal vier Start ups und wenigstens einen Investor geben. Am Anfang klappt das nicht so ganz, an dem einem oder anderen Tisch fehlen die Geldgeber. Als es dann richtig los geht, wird die Presse höflich, aber bestimmt heraus gebeten. Hinter verschlossenen Türen lässt es sich wohl besser Kontakte knüpfen. Immerhin kann man noch etwas durchs Fenster zuschauen: Es wird auf dem Tablet erklärt, interessiert geschaut, am den Ende werden Hände geschüttelt und vielleicht noch die eine oder andere Visitenkarte ausgetauscht, bis es an den nächsten Tisch weitergeht.
Auf der Eröffnungsparty wird später eine Band die Anfangsmelodie des Mafia-Filmklassikers »Der Pate« spielen. So manch ein Gründer hofft vermutlich, noch von einem Investoren den Satz »Ich mache ihnen ein Angebot, das sie nicht ablehnen können«, zu hören. Auf der Party kommt man bei einer Zigarette schnell ins Gespräch. »Die meisten Gründer sind naiv. 90 Prozent werden scheitern«, erzählt ein Berater aus Polen, der mit seinem Unternehmen Start-ups beim Wachstum hilft. Sie würden meist nur an ihr Produkt denken, aber nicht wie sie es verkaufen wollen. Sie hätten meist keinen richtigen Geschäftsplan. Manche würden auch zu viel Geld von ihren Investoren bekommen, das mache sie faul.
Irgendwo huscht auch Carsten Maschmeyer herum. Auf dem Privatsender Vox ist der umstrittene Unternehmer bei der Castingshow »Die Höhle des Löwens« Teil einer Jury, vor der Menschen ihre Geschäftsideen vorstellen. Eine solche Show gibt es auch auf der Münchner Konferenz. Auf zwei »Pitch Stages« und später auf der Hauptbühne kann man als Gründerin oder Gründer um den Titel des »Hottest Start-up« kämpfen.
Philipp Rösler mit Sneakern und hochgekrempelten Ärmeln
Einer, der an dem Wettbewerb teilnimmt, ist Debo Odulana aus Nigeria. Sieben Jahre hat er dort als Arzt gearbeitet und später in London Betriebswirtschaftslehre studiert. Ganz in weiß gekleidet erzählt er vor einer Kulissenwand, die samt Hirschgeweihen und antiken Schneeschuhen einer Skihütte nachgeahmt ist, davon, dass es einen massiven Ärztemangel in seinem Heimatland gebe. Mit seiner Plattform wolle er dem entgegenwirken, indem er Ärzte mit Praxen, Kliniken und Patienten zusammenbringt. Als er merkt, dass in seiner auf eine Leinwand projizierten Präsentation statt Buchstaben sinnlose Zeichen stehen, reagiert er schnell: »Ah, technische Probleme. Wie in Afrika, wenn man operiert und der Strom ausfällt«, witzelt er. Die Lacher sind auf seiner Seite.
»Ich bin Philipp und kein Politiker mehr«, stellt sich derweil Philipp Rösler bei einer Diskussion vor – gekleidet in Sneakern und schwarzem Pulli mit nach oben gekrempelten Ärmeln. Wenn man mit der Digitalisierung nicht nur Geschäfte, sondern etwas Nachhaltiges machen könne, dann sei dies gut für die Gesellschaft, erzählt der ehemalige FDP-Politiker und Bundeswirtschaftsminister, der seinerzeit die Förderung der erneuerbaren Energien massiv drosselte und so mitverantwortlich dafür ist, dass die hiesige Windkraftbranche in eine massive Krise gestürzt ist.
Später wird noch gefragt, was die Politik für die Start-up-Szene machen könne. Eine Antwort ist schnell gefunden: steuerliche Anreize schaffen. Ein paar Stunden zuvor hatte Barack Obama noch erzählt, dass manche Menschen im Silicon Valley viel Geld machten, sehr erfolgreich seien, aber keine Steuern zahlen wollten, mit denen der Staat Schulen und Straßen finanzieren kann. »Wenn Sie sehen wollen, wie ein komplett liberaler Staat ausschaut, dann müssen Sie zu einem failed State (Deutsch: gescheiterten Staat) gehen«, mahnte der ehemalige US-Präsident.
Odulana schafft es nicht in die zweite Runde im Wettbewerb um den Titel des »Hottest Start up«. Ein bisschen enttäuscht sei er schon, erzählt er. Doch immerhin habe er schon mit drei Investoren Gespräche gehabt, drei weitere sollten noch folgen. Denn den weiten Weg nach München hat er auf sich genommen, weil er Kapital zum Wachsen braucht. Und das ist in Nigeria teuer. »In meinem Land verlangen die Investoren und geben viel zu wenig Geld.«
Immerhin habe er schon 157 Ärzte in seinem Netzwerk und arbeite mit vier Versicherungen zusammen. Noch beschränkt sich seine Plattform auf die drei großen nigerianischen Städte Lagos, Abaja und Ibadan. In einem nächsten Schritt will er mobile Praxen einrichten, um den Ärztemangel auf dem Land zu bekämpfen.
Doch für die Investoren ist das Problem in Subsahara-Afrika nur eine Nebensache. »Als aller erstes ist es unser Job, Gewinne für die Anleger zu erzielen«, bringt ein Investor den Sinn und Zweck von Geschäften im Kapitalismus auf den Punkt.
»Als aller erstes ist es unser Job, Gewinne für die Anleger zu erzielen.«