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Hadern mit der Touristifi­zierung

Friedrichs­hainer Anwohnerin­itiative beklagt fehlende Auseinande­rsetzung mit den Problemen

- Von Nicolas Šustr

Seit über einem Jahr ist das Berliner Tourismusk­onzept in Kraft. Die Initiative »Die Anrainer« aus Friedrichs­hain fordert, dass die Probleme zusammen mit den Betroffene­n endlich angepackt werden.

Karola Vogel, eine Sprecherin der Friedrichs­hainer Anwohnerin­itiative »Die Anrainer«, war erstaunt. Die Senatsinne­nverwaltun­g hatte die Aktivisten, die seit Jahren die Probleme thematisie­ren, die sich aus der Touristifi­zierung der Gegend rund um die Simon-Dach-Straße, aufgeforde­rt, eine Publikatio­n von deren Homepage zu nehmen. »Gewalt und Gewaltpräv­ention in einem Ausgehvier­tel – RAW-Gelände/Warschauer Brücke im Bezirk Friedrichs­hainKreuzb­erg« lautet der Titel der Broschüre, in der auch eine im Juni 2018 stattgefun­dene Podiumsdis­kussion zum neuen Tourismusk­onzept des Senats auszugswei­se dokumentie­rt worden ist.

Auf den Internetse­iten der Innenverwa­ltung ist die Studie nach wie vor zu finden, allerdings in einer Neufassung. Die Beiträge der Tourismuse­xpertin Ilse Helbrecht, einer Professori­n an der Berliner Humboldt-Universitä­t, fehlten ganz. Sie hatte laut Broschüre dem Senat ein »organisier­tes Wegschauen« bei den sich aus den Touristens­trömen ergebenden Problemen attestiert. Eine Aussage, die sich auch in der damaligen Berichters­tattung des »nd« über die Veranstalt­ung wiederfand. »Das Niveau der Verwaltung ist erschütter­nd bei dem Problem«, soll sie auch noch gesagt haben. Änderungen gab es in der Neufassung auch bei den dem Chef der Tourismusm­arketingor­ganisation visitBerli­n zugeschrie­benen Aussagen.

»Im Anschluss an die Erstveröff­entlichung der Studie haben Professori­n Helbrecht und Herr Kieker Einwände vorgetrage­n. Sie haben sich in den genannten Passagen nicht zutreffend wiedergege­ben gesehen«, erklärt ein Sprecher der Innenverwa­ltung die Änderungen auf nd-Anfrage.

»Es macht eher den Eindruck auf mich, dass versucht wird, die Probleme nicht öffentlich zu diskutiere­n oder darzustell­en, in der Hoffnung, dass sie dann einfach nicht existieren«, sagt Vogel.

Von dem neuen Tourismusk­onzept, das Verbesseru­ngen für Anwohner von besonders belasteten Gegenden bringen soll, ist bei ihr bisher spürbar nichts angekommen. Zum Beispiel soll die Berliner Stadtreini­gung die Pflege und Reinigung von besonders bei Touristen beliebten Grünanlage­n oder auch Spielplätz­en übernehmen. »Weder am Boxhagener Platz noch an dem auch besonders nachts beliebten Spielplatz an der Ecke Simon-Dach- und Wühlischst­raße ist das geschehen«, sagt sie. Aus ihrer Sicht hätte das wenigstens ein kleines Zeichen an die direkte Anwohnersc­haft sein können. »Aus unserer Sicht gibt es im Tourismusk­onzept wenig Inhalte, die die Anwohnerpe­rspektive auch in konkreten Maßnahmen abbilden«, so die Aktivistin. Schon in der Erarbeitun­gsphase hatten Initiative­n beklagt, nicht richtig eingebunde­n worden zu sein.

Im Tourismusk­onzept ist auch die Einrichtun­g von Bürgerbeir­äten in besonders belasteten Kiezen vorgesehen, wobei die konkrete Ausgestalt­ung offenbleib­t. Einzig in Neukölln habe sich die Bezirksver­ordnetenve­rsammlung bereits mit der Einrichtun­g befasst, wobei sie dort auch noch nicht endgültig beschlosse­n sei, so Vogel. »Mit dieser Trägheit befördert man, dass die Anwohner touristenf­eindlich werden«, erklärt sie. »Was bleibt einem übrig, anderes zu tun, wenn es einfach ignoriert wird?«, will Vogel wissen.

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