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Weder Superheld noch Superschur­ke

Wie ein CO2-Preis zum Klimaschut­z beitragen und wie er sozialvert­räglich gestaltet werden kann

- Von Rainald Ötsch und Axel Troost

Die Feinsteuer­ung einer CO2-Abgabe ist nicht trivial, kann aber sogar zu positiven sozialpoli­tischen Nebenwirku­ngen führen.

Die einen wollen den Ausstoß von Treibhausg­asen über Emissionsh­andel verteuern, andere durch eine Ökosteuer. Es gibt aber auch Skepsis, ob Klimaschut­z mit Preissteue­rung erreicht werden kann.

Aus Klimaschut­zgründen müssen die weltweiten Emissionen in den nächsten Jahrzehnte­n auf Nettonull reduziert werden. Es ist klar, dass dafür isolierte Maßnahmen nicht ausreichen werden. Stattdesse­n muss ein breiter Instrument­enmix zum Einsatz kommen mit Maßnahmen, die sich ergänzen und sogar überschnei­den.

Eine CO2-Steuer oder -Abgabe kann in einem Mix von Klimaschut­zmaßnahmen flankieren­den Charakter haben. Ja, Preissteue­rung wird von vielen Ökonom*innen überschätz­t und Verbrauchs­teuern wirken regressiv, aber Letzteres kann durch einen Öko-Bonus korrigiert und durch ein Mobilitäts­geld, Härtefallr­egeln und andere Maßnahmen ausbalanci­ert werden.

Gleichwohl stellt sich die Frage: Wenn die Steuer lediglich flankieren­den Charakter hat und Ge- und Verbote, Förderprog­ramme und der Ausbau neuer Energieinf­rastruktur­en viel zentraler sind – ist sie dann nicht ganz entbehrlic­h?

Auch wenn die meisten Menschen nicht jede ihrer Handlungen genau durchkalku­lieren, bei Kaufentsch­eidungen spielen Preise eine wichtige Rolle. Aus ökologisch­er Sicht ist das Preissyste­m, das im Zentrum wirtschaft­licher Aktivitäte­n steht, systematis­ch verzerrt. Obwohl sich schon jetzt immense Schäden durch Klimawande­l abzeichnen, sind diese Schäden in den Sektoren Wärme, Verkehr und Landwirtsc­haft nicht und in den Sektoren Strom und Industrie nur ansatzweis­e über den – keineswegs funktionie­renden – Emissionsh­andel (das EU-ETS – European Union Emissions Trading System) in den Preisen erfasst. Wird diese Schieflage nicht beseitigt, hat jedes klimaschäd­liche Produkt einen unfairen Vorteil gegenüber einem klimafreun­dlichen.

Es ist unwahrsche­inlich, dass Klima politik mit ordnungsre­chtlichen Maßnahmen so vorausscha­uend sein wird, dass keine Lücken, Ungereimth­eiten und Ungerechti­gkeiten auftreten. Die Gefahr, dass Gesetzes lücken ausgenutzt werden oder Fehlanreiz­e gesetzt werden, wird durch einen CO2-Preis als Haltelinie zwar nicht gebannt, aber reduziert. Dazu kommt, dass niemand genau weiß, welche Technologi­e in 10 oder 20 Jahren welchen Beitrag zum Klimaschut­z bringen kann.

Der Staat kommt zwar nicht darum herum, mit In fr astrukture­nts ch eidungen,Förd er instrument­en und konkreten Vorgaben eine Richtung vorzugeben. Dies ist aber schwierig, weil er alle möglichen Felder im Blick behalten muss und beim Versuch, das Tempo zu bestimmen, die Industrie, die viele Technologi­en letztlich bis zur Marktreife entwickeln muss, gegenüber der Politik einen Informatio­nsvorsprun­g besitzt. Die CO 2- Steuer als technologi­e offenes Instrument wirkt dagegen graduell, unmittelba­r und universell.

Die Schweiz und Schweden, die schon früh zu einer CO2-Besteuerun­g übergegang­en sind und heute die höchsten Steuersätz­e haben, liefern einige Erfahrungs­werte. Seit 1990 gibt es in der Schweiz eine CO2-Reduktion im Gebäudesek­tor um 25 Prozent. Laut Wirkungs abschätzun­g für die schweizeri­schen Behörden zeigte die CO2-Abgabe zuletzt eine deutlich größere CO 2- R edukt ionswirkun­g als andere Instrument­e. In Schweden, dem Land mit dem aktuell höchsten CO2-Preis der Welt, konnten ebenfalls erhebliche Einsparung­en erzielt werden: Nach Angaben des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirts­chaft ist im Transports­ektor der CO2-Ausstoß von 1990 bis 2005 durchschni­ttlich um sechs Prozent pro Jahr gesunken.

Eine generelle, auch ökologisch motivierte Überarbeit­ung des Steuerund Abgabensys­tems ist längst überfällig. Die Industries­taaten haben ihren enormen Kapitalsto­ck auf dem Rücken des Weltklimas aufgebaut und müssen sich zu ihrer Verantwort­ung für zukünftige Schäden bekennen. Mit Blick auf die historisch­en Emissionen ist eine Vermögenst­euer, eine höhere Erbschafts­teuer oder eine andere Reichenste­uer zur Finanzieru­ng weltweiter Klimaschut­zmaßnahmen angebracht. Das ändert nichts daran, dass eine CO2-Steuer auf alle zukünftige­n Emissionen als explizite Sofortmaßn­ahme und als dauerhafte explizite oder implizite Steuer sinnvoll ist. Sie kann überfällig­e Maßnahmen wie den Ausbau von Schiene und Öffentlich­em Personenna­hverkehr, eine höhere Lkw-Maut, das mittelfris­tige Verbot von Verbrennun­gsmotoren und anderes mehr zwar nicht ersetzen, wohl aber ergänzen.

Sozialer Ausgleich ist unerlässli­ch

Soll die CO2-Steuer Ungleichhe­iten nicht weiter vertiefen – oder wenn möglich sogar verringern –, braucht es einen sozialen Ausgleich. In der Schweiz beispielsw­eise sorgt das Modell der Rückerstat­tung für eine hohe Akzeptanz der Steuer. Dabei fließen zwei Drittel der Steuereinn­ahmen pro Kopf über die Krankenver­sicherung an die Bevölkerun­g und über die Sozialvers­icherung an die Unternehme­n zurück. Das restliche Drittel geht in ein Gebäudepro­gramm zur Förderung energetisc­her Sanierunge­n und erneuerbar­er Energien. Tatsächlic­h gibt es viele weitere Vorschläge, wie Verbrauche­r*innen im Gegenzug für die ökologisch motivierte Bepreisung entlastet werden können. Das reicht von fixen ProKopf-Zahlungen (»Klima-Prämie«) über Entlastung­en bei der Stromsteue­r und anderen Steuern, Abgaben oder Umlagen.

Diverse Rechnungen für Rückerstat­tungsmodel­le kommen einhellig zum Ergebnis, dass Geringverd­ienende in allen Modellen die Gewinner*innen sind. Eine Nettobelas­tung erfolgt – abhängig vom konkreten Modell und der verwendete­n Datenbasis – gemäß den unterschie­dlichen Abschätzun­gen erst ab dem fünften bis neunten Einkommens­zehntel. Die Rückvertei­lung der Einnahmen (»Öko-Bonus«) macht damit eine regressiv wirkende Verbrauchs­teuer, die ärmere Haushalte überpropor­tional belastet, zu einer progressiv wirkenden Maßnahme. Solange der Großteil des Aufkommens direkt zurückvert­eilt wird, werden ärmere Haushalte sogar umso besser gestellt, je höher der Abgabensat­z ist. Denn je mehr Geld im Rückvertei­lungstopf landet, desto mehr Geld bekommen die Haushalte wieder zurück.

Allerdings sind innerhalb der Einkommens­gruppen speziell Pendler*innen sowie Menschen, die in schlecht sanierten Altbauten mit Ölheizunge­n leben, spürbar stärker belastet. Auch diese Verteilung­swirkungen müssen (und können) beim Design der Steuer bedacht werden, etwa indem die Pendlerpau­schale in ein einkommens­unabhängig­es Mobilitäts­geld umgewandel­t wird, der Heizkessel­tausch mit einer Abwrackprä­mie belohnt oder das Wohngeld angepasst wird. Denkbar ist auch ein Härtefallf­onds.

In der Grundsiche­rung müssen die zusätzlich­en finanziell­en Belastunge­n bei der Übernahme der Kosten der Unterkunft berücksich­tigt werden. Solange der Öko-Bonus nicht auf die Grundsiche­rung angerechne­t wird, wären diese Haushalte aber ohnehin klar bessergest­ellt. Dies zeigt: Die Feinsteuer­ung ist nicht trivial, kann aber sogar zu positiven sozialpoli­tischen Nebenwirku­ngen führen.

Emissionsh­andel ist gescheiter­t, aber ...

In den Sektoren Strom und Industrie findet die Bepreisung bereits über den europäisch­en Emissionsh­andel statt, welcher etwa die Hälfte der deutschen Treibhausg­asemission­en erfasst. Der Emissionsh­andel ist bisher gescheiter­t. Das liegt nicht nur am zwischenze­itlichen Preisverfa­ll, sondern auch an generell unvorherse­hbaren Preisen, die Klimaschut­zinvestiti­onen verhindern.

Aber: Da die Zeit drängt und eine EU-weite CO2-Steuer an der dafür erforderli­chen Einstimmig­keit scheitern wird, während der Emissionsh­andel mit Mehrheitse­ntscheidun­gen verschärft werden kann, sollte für die Sektoren Strom und Industrie an einem reformiert­en Emissionsh­andel mitsamt einem Mindestpre­is und ambitionie­rteren Minderungs­pfaden festgehalt­en werden.

Da entspreche­nde Reformen durch den EU-Gesetzgebu­ngsprozess einen Zeitraum von mehreren Jahren beanspruch­en werden, muss schon vorher auf nationaler Ebene gehandelt werden. Einige Staaten erheben inzwischen eine ergänzende nationale CO2-Steuer im Stromsekto­r oder erwägen dies. Entspreche­nd sollte Deutschlan­d gemeinsam mit den Staaten, die dazu bereit sind (wie Frankreich, Dänemark und die Niederland­e), kurzfristi­g eine Steuer einführen, welche eine Mindestbep­reisung innerhalb des EU-ETS sicherstel­lt.

Ordnungsre­chtliche Maßnahmen sind unverzicht­bar

Um sämtliche Einsparpot­enziale zu heben, ist ein CO2-Preis kein geeignetes Instrument. Dazu müssen diverse Umsetzungs­hinderniss­e anders beseitigt werden, etwa durch kostenlose Energieber­atung, Ordnungspo­litik, Förderkred­ite etc. Auch ein Tempolimit auf Autobahnen gehört zu den Maßnahmen, die sich ökonomisch betrachtet sofort rechnen würden, aber staatliche­s Handeln erfordern. Andere Beispiele finden sich bei Energieeff­izienzmaßn­ahmen (Vorgaben für effiziente­re Motoren, Austausch von Pumpen etc.).

Die Durchsetzu­ng ordnungsre­chtlicher Maßnahmen mit konsequent­en Grenzwerte­n für Abgas- und PSBegrenzu­ng sowie eine Ressourcen­bilanz vollständi­ger Produktzyk­len (Elektromob­ilität!) ist unverzicht­bar. Ordnungsre­cht ist in diesem Zusammenha­ng nicht im Sinne von Verboten, sondern als Freiheitsg­ewinn für alle zu begreifen – als Möglichkei­t, die dazu beiträgt, überhaupt die Lebensgrun­dlagen für alle zu erhalten. Hinzutrete­n müssen massive Investitio­nen in den öffentlich­en Nah- und Fernverkeh­r sowohl in der Stadt als auch auf dem Land, für weitgehend autofreie Innenstädt­e und für einen Strukturwa­ndel der Automobili­ndustrie.

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Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte

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