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Guter Mensch, gefangen im bösen Netz

Das Modethema Digitalisi­erung: An der Berliner Volksbühne zeigt Kay Voges mit »Don’t be evil« die Abgründe des Internets

- Von Jakob Hayner

Wie wäre es denn, im Theater einfach das Internet nachzuspie­len? Eine fabelhafte Idee, dachte sich offenbar Regisseur Kay Voges. Sein Stück »Don’t be evil« feierte an der Berliner Volksbühne Premiere. Don’t be evil war der inoffiziel­le Slogan von Google, ein Paradebeis­piel der kalifornis­chen Ideologie, also der sich mit Weltverbes­serungspat­hos schmückend­en Tech-Monopole. Der 1972 geborene Voges gilt als ein Spezialist für Digitales im Theater. Während seiner Intendanz am Schauspiel Dortmund wurde eine Akademie für Theater und Digitalitä­t gegründet, am Berliner Ensemble inszeniert­e er »Die Parallelwe­lt« mit Live-Schaltung zwischen dem Theater am Schiffbaue­rdamm und dem Theater Dortmund. Seine Fokussieru­ng auf das Modethema Digitalisi­erung setzt er geschickt als Markenvort­eil ein. Auf die Intendanz der Volksbühne machte er sich große Hoffnungen. Als sich dann aber doch René Pollesch ankündigte, bekam Voges in einem kaum nachvollzi­ehbaren Verfahren die Leitung des Wiener Volkstheat­ers. »Volkstheat­er für die digitale Moderne« wolle er in Wien machen, kündigte Voges an. Aber zurück nach Berlin, an die Volksbühne.

Das Internet nachzuspie­len, ist eigentlich gar nicht komplizier­t. Man stelle einfach einen Würfel auf die Bühne, das ist ein Raum. Mit ein paar darauf projiziert­en Bildern und Videos ist das dann der digitale Raum, der Cyberspace. In dem ist bekanntlic­h allerlei los. So teilt sich dieser Raum in verschiede­ne Räume auf. In dem einen wird gesungen, in dem nächsten über Urlaubserl­ebnisse gequasselt und in einem dritten ein paar SM-Spielchen gemacht. Nicht die einfallsre­ichste Bebilderun­g des Digitalen. Dann geht es aber wieder so richtig ums Internet. Facebook, Tumblr, Buzzfeed, 4chan, 8chan, Twitter, Reddit, YouTube und so weiter. »Hä?« Ja, alles ganz schön komplizier­t. Manches auch ganz schön evil. Damit die digitale Überforder­ung anschaulic­her wird, gibt es ein paar wilde Animatione­n und extra Hall auf der Stimme. »Wie geht das denn?« Der gute Mensch, gefangen im bösen Netz. Es folgen lose aneinander gereihte Parodien verschiede­nster Netzphänom­ene. Eine Jugend-Tragödie à la Bonnie und Clyde im Livestream, eine TeenieSäng­erin mit Texten über das Dummy-Scheißlebe­n und ein »weißer heterosexu­eller Löwe mit Schwanzpro­blemen«. Das soll irgendwie reflexiv und vor allem lustig sein, und ist meist weder das eine noch das andere.

Zwischendr­in gibt es noch eine trotz wilder Kamerabewe­gungen und rasend schneller Schnitte sehr ermüdende Videoseque­nz, die im Stile von »Fear and Loathing in Las Vegas« die »Unabhängig­keitserklä­rung des Cyberspace« von John Perry Barlow durch den audiovisue­llen Fleischwol­f jagt. Gedreht wurde natürlich im KitKat-Club, näher dran an aufregend wird es aber nicht. Dann treten Pepe der Frosch, inzwischen als Meme der Alt-Right bekannt, und das Glitzerein­horn, Meme der Tumblr-Linken, in einer WrestlingS­how gegeneinan­der an. Ein Chatroom wird als Shootout dargestell­t. Es ist, wie erwähnt, nicht besonders schwer, das Internet nachzuspie­len. Das heißt nicht, dass es besonders erkenntnis­reich oder unterhalts­am wäre. Und während sich Frosch und Einhorn auf dem Boden wälzen, fängt man an, zu überlegen, ob man nicht im »echten« Internet die Zeit hätte sinnvoller verbringen können. Irgendetwa­s, das zum Denken anregt? Fehlanzeig­e. Stattdesse­n wird Slavoj Žižeks Bonmot über Toilettenf­orm und Ideologie zum Besten gegeben – für alle, die es noch nicht kannten.

Eine Schauspiel­erin darf sich beklagen, dass es am Ende wieder heißen wird, die Schauspiel­er kämen gar nicht vor. Stimmt. Schauspiel lässt sich bestens durch Zusammenha­ngslosigke­it und Effekte ersticken. Als theoretisc­he Referenz wird zu Beginn Bertolt Brechts Radiotheor­ie eingeführt. Der fragte mit dem Aufkommen des Rundfunks nach dem Status der Produzente­n von Öffentlich­keit – gegen die Macht der Monopole. Brecht wollte den Rundfunk umfunktion­ieren, und nicht nur den. Er stellte die kommunisti­sche Frage nach dem Gebrauch der Dinge. Das Gelingen öffentlich­er Vernunft hängt von den Eigentumsv­erhältniss­en ab, auch bei den Medien (egal, ob alt oder neu). Am Ende rotiert der nackte Brecht auf der Bahre, bevor er von einem Cyborg an die Leine gelegt wird. Schöne neue Welt. Voges’ »Don’t be evil« schafft es in der bisher erschrecke­nd schwachen Spielzeit der Berliner Theater auf der nach unten offenen Skala direkt auf die vordersten Ränge. Ein zutiefst banaler Abend, der trotz seines parodistis­chen Gestus ebenso abgeschmac­kt und voyeuristi­sch ist wie das, was er anprangert.

Während sich Frosch und Einhorn auf dem Boden wälzen, fängt man an, zu überlegen, ob man nicht im »echten« Internet die Zeit hätte sinnvoller verbringen können.

Nächste Aufführung­en: 20. Oktober, 1. und 22. November.

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Foto: Julian Röder Das Internet nachzuspie­len, ist eigentlich gar nicht komplizier­t.

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