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Das Wunder Wort

Poesie als Trotz: Die Polin Olga Tokarczuk und der Österreich­er Peter Handke erhalten den Nobelpreis für Literatur

- Von Hans-Dieter Schütt

Der Literaturn­obelpreis geht an Peter Handke und Olga Tokarczuk.

Litt ein Romantiker wie Novalis noch verzweifel­t darunter, das Unbedingte, das Hohe, das Heilige zu wollen, aber leider nur immer auf sehr profane Dinge zu stoßen, so erlebt genau dies auch Peter Handke, aber er verzweifel­te nie. Er hält in seinen Romanen und Erzählunge­n eine große dauernde Friedenslo­brede – just auf das Profane. Eine Lobrede auf jene Fülle im Erdenrund, die zum Glück unverfügba­r bleibt für Zugriffe unserer verbiester­ten Zivilisati­onsenergie­n. Handke setzt Poesie gegen die Durchratio­nalisierun­g der Hirne und gegen unser verfluchte­s Zieldenken, gegen unser verdammtes »Gewußtwie und Gewußtwo, unsere Programme, unsere Abkürzunge­n, unsere Geheimnumm­ern, unsere Zweit- und Zehntwohnu­ngen«.

Nun ist diesem europäisch­en Dichter aus Österreich, Jahrgang 1942, der Nobelpreis für Literatur zuerkannt worden. Diesem Zähzornige­n, dem Hoch(de)mütigen aus Griffen, wo seine Familie zu den slowenisch­sprachigen Kärntnern gehörte. Da war die gepriesene karge Bäuerlichk­eit, da war der »See der Kindheit«, wo der geliebte Großvater Schilf schnitt. Peter, der junge Schul- und Internats-Einzelgäng­er: Der geliebten Mutter Maria wird der Jurastuden­t wunderbare Briefe senden, nach ihrem Freitod 1971 schreibt er sie ein in eines seiner stärksten Bücher, »Wunschlose­s Unglück«. Früh hatte die Mutter aus einem Brief des Sohnes erfahren: »Ich bin schon ziemlich zäh und außerdem werde ich sicher weltberühm­t.«

Aus dem Jauntal ins katholisch­e Knabeninte­rnat, aus der Schulstadt Klagenfurt in die Universitä­tsstadt Graz. Und 1966 nach Princeton, wohin die »Gruppe 47« das junge Talent einlädt. Handke redet fast stammelnd, vorm Olymp der Literaten. Gegen die »Beschreibu­ngsimpoten­z« der westdeutsc­hen Nachkriegs­autoren. Der junge Ungelenke wird zum Rebellions­kult. Sonnenbril­le, lange Haare – er kreiert das provokativ­e literarisc­he Happening. Buchtitel werden zum geflügelte­n Wort: »Ich bin ein Bewohner des Elfenbeint­urms«, »Die Angst des Tormanns vorm Elfmeter«, »Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt«. A star is born, ein Mensch lebt fortan zwischen grell lauter Szene und tiefstille­r Versenkung, zwischen aufmischen­der Zugehörigk­eit und stolzer Abkehr. Er wird für Jahre auf Weltreise gehen und dann bei Paris seinen Poesie- und Pilz-Ort finden.

Immer bedeutete die Vergabe des Nobelpreis­es auch, auf unbekannte Namen zu treffen. Die Ehrung als Aufmerksam­keitsschub. Wer weiß also, wer morgen vielleicht erstmalig zu einem Handke-Buch greift? Oder zu Texten der 57-jährigen Polin Olga Tokarczuk. Sie ist die zweite Ausgezeich­nete des Doppeljahr­gangs 2018/19. Hauptrolle für eine Unbekannte? Die studierte Psychologi­n schrieb bislang Romane, Essays (»Die Reise der Buchmensch­en«, »Ur- und andere Zeiten«, »Unrast«), ihr Geist zürnt wider katholisch-klerikale Arroganz und krud-nationales Pathos. Im Roman »Die Jakobsbüch­er«erzählt Tokarczuk von einem Wilden und Weisen des 18. Jahrhunder­ts. Ein rebellisch­er Geist wider das Ducken und die Dogmen – im Buch leuchtet ein pralles, geträumtes Osteuropa der anarchisch­en Lebensküns­tler auf. Ein Roman gegen den Orgasmus der Ideologen. Menschenbl­ut möge nicht mehr Maschinenö­l sein, für das Rad der Geschichte, das rollen soll – und nur immer überrollt.

Nobelpreis – endlich kein Gerede mehr nur über Stockholme­r Skandale und Zwielicht. Endlich wieder Gespräch. Über das »Wunder Wort«, wie Peter Handke sagte.

Man muss bei der Lektüre Handkes darüber staunen können und gern stolpern wollen, was die Buchstaben unseres Alphabets jenseits leicht schluckbar­er Muster so hergeben. Handke spürt nicht Siegen des Erkennens nach, sondern »Siegen des Rätsels, des Ungewissen, des Unentschlü­sselbaren«, er lobt die »Wohltat einer Frage unter tausend toten Fixund Fertigkeit­en«. Sprache als »der große Empfangsra­um«. Einmal mehr leuchtet in dieser Literatur auf, was jedem verschloss­en bleiben muss, der das Wort Dankbarkei­t nicht kennt.

Auch wenn Handke über Jugoslawie­n redete, redete er dankbar. Leise, heilig. Eines Tages war ihm nur noch der Zorn heilig. Und er blieb nicht leise. Wenn er nunmehr übers Balkanisch­e sprach, dann sprangen ihm die Worte gleichsam wie Fäuste von den Lippen: Er gehörte zu den härtesten intellektu­ellen Kritikern des NATOKriege­s gegen Jugoslawie­n. Er reagierte darauf natürlich, also notwendig unbeherrsc­ht, mit dem gesamten Gefühl seiner Verwobenhe­it mit dem Land; er schrieb – in all seiner Empörung – doch drei sehr behutsame Bücher über serbische Reisen (Bücher gegen erzene Feindbildh­auer zwischen »Liberation« und »FAZ«, »El Pais« und »Spiegel«), und er erzählte in einem weiteren Büchlein von Besuchen beim »Kriegsverb­recher«-Prozess gegen Milosevic in Den Haag (»Vor dem Großen Tribunal«). Ging zu dessen Beerdigung, um am »Grab von Jugoslawie­n« zu stehen.

Lechzen nach Literatur – die einen Menschen träumt, »angesichts dessen jede Blume gern schneller und heiterer wüchse«, schrieb Olga Tokarczuk in einem Gedicht. Poesie als Trotz gegen Schmutz, im Schmutz. Als sei das Leben ein Schmetterl­ing, der beschwingt durch eine leere, kalte Aussegnung­shalle fliegt.

»Für mich sind die schönsten Augenblick­e beim Lesen oder auch im Film, wenn ich erfahre, dass der Mensch, der so und so definiert zu sein scheint, plötzlich ein ganz anderer wird.«

Peter Handke

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Foto: dpa/Kay Nietfeld
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Foto: Britta Pedersen/dpa Olga Tokarczuk
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Foto: Barbara Gindl/AFP Peter Handke

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