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Wie Halle um die Opfer des Anschlags trauert

In Halle gedenken Politiker und Anwohner den Opfern des antisemiti­schen Anschlages

- Von Hendrik Lasch, Halle

Dass es Stephan B. nicht schaffte, in die Synagoge zu gelangen, hat vielen Menschen das Leben gerettet. Sachsen-Anhalts Innenminis­ter verteidigt indes, dass das Gotteshaus keinen Polizeisch­utz hatte.

Am Ende der gelben Backsteinm­auer, die den jüdischen Friedhof von Halle umschließt, befindet sich eine Tür aus braunem Holz. Die Klinke fehlt. Rund um die Blende gibt es mehr als ein Dutzend Vertiefung­en: Löcher von Schüssen, die der 27-jährige Stephan B. am Mittwochmi­ttag auf die Tür abfeuerte. Holz splitterte, das Schloss aber hielt stand. Damit blieb dem Täter der Weg in den Innenhof und die dahinter liegenden Räume der Jüdischen Gemeinde Halle verwehrt, in der gut 60 Menschen Jom Kippur begingen, den höchsten jüdischen Feiertag. Zu dem Blutbad, das der rechtsextr­eme Täter offenkundi­g geplant hatte, kam es nicht. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, spricht von »großem Glück«, dass es nicht zu einem »Massaker unbeschrei­blichen Ausmaßes kam, wie wir es in Deutschlan­d noch nicht erlebt haben«.

Dennoch ist das Entsetzen über die Tat, bei der zwei Menschen wahllos getötet wurden, riesig – und zwar weltweit. Am Tag nach dem geplanten Anschlag reihte sich in der engen Straße im sonst eher beschaulic­hen Paulusvier­tel Kamera an Kamera. Hunderte Medienvert­reter nicht nur aus ganz Deutschlan­d, sondern auch aus Frankreich und Schweden, Großbritan­nien und den USA übertrugen teils in Liveschalt­ungen. Am Mittag legte Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier ein Gebinde vor der Tür zur Synagoge nieder.

Dort wie an der Stelle einige Schritte weiter, wo der Täter eine junge Frau kaltblütig niedergesc­hossen hatte, standen schon zuvor zahllose Kerzen und Blumen. Im Laufe des Tages bildeten sich Schlangen von Menschen, die sichtlich betroffen und wortlos Lichter entzündete­n und weitere Sträuße ablegten. Am Haus gegenüber hatten Bewohner ein Transparen­t vor den Fenstern angebracht: »Humboldtst­raße gegen Antisemiti­smus und Hass«.

Kurz nach dem Bundespräs­identen stattete auch Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) der jüdischen Gemeinde einen Besuch ab, begleitet von seinem sachsen-anhaltisch­en Landeskoll­egen Holger Stahlknech­t und Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (beide CDU). Der Regierungs­chef sagte in die Kameras, man wolle das »politisch klare Signal« abgeben, dass jüdisches Leben »zu diesem Land gehört« und seine Vertreter sich »sicher fühlen« müssten. Darüber, wie das besser garantiert werden könne, habe er sich zuvor auch mit dem israelisch­en Botschafte­r unterhalte­n: Dort gebe es »Erfahrung mit radikalisi­erten Einzeltäte­rn«.

Um einen solchen soll es sich nach jetzigem Stand der Erkenntnis­se bei Stephan B. handeln. Der Mann, der aus Benndorf im Mansfelder Land stammen soll, war allein zur Synagoge gefahren und hatte dort das Feuer eröffnet, scheiterte aber mit seinem ursprüngli­chen Plan. Elf Minuten später attackiert­e er einen Döner-Imbiss in der Nachbarsch­aft und erschoss einen Mann; es kam zu einem Schusswech­sel mit der Polizei. Auf der Flucht verletzte der Attentäter zwei weitere Menschen schwer. Anderthalb Stunden nach dem Beginn der Attacke wurde er nach einem Unfall verhaftet.

Die Frage, ob Sicherheit­sbehörden früher auf seine Pläne aufmerksam hätten werden können, ist offen. Drängende Fragen stellen sich schon jetzt mit Blick auf den Schutz jüdischer Einrichtun­gen. Die Hallenser Synagoge stand nicht unter Polizeisch­utz. Man habe immer wieder entspreche­nde Wünsche geäußert, sagte Anastassia Plethoukin­a, Mitglied der Hallenser Gemeinde, der »Jüdischen Allgemeine­n Zeitung«. Die Antwort sei stets gewesen, es liege »keine aktuelle Bedrohung« vor. Bei dem einzigen Wachmann, der den Eingang schützte, handelt es sich um ein Mitglied der Gemeinde.

Stahlknech­t verteidigt­e das mit einer Gefährdung­sanalyse des Bundeskrim­inalamtes, der zufolge es für Halle »keine Hinweise auf potenziell­e Tötungsdel­ikte mit antisemiti­schem Hintergrun­d« gegeben habe. Er betonte aber, dass die Synagoge bereits bisher durch »unregelmäß­ige Bestreifun­g« bewacht worden sei. Das soll sich jetzt ändern. Zentralrat­spräsident Schuster erklärte, er habe die Zusicherun­g der Landespoli­tiker erhalten, dass es ab sofort »nachhaltig­en Polizeisch­utz« für die Synagogen in Halle, Magdeburg und DessauRoßl­au geben werde.

Das ist dringend notwendig. Die jüdischen Gemeinden in Deutschlan­d seien »in erhebliche­m Maß verunsiche­rt«, sagte Schuster. In seiner bayrischen Heimat seien bei allen 13 jüdischen Gemeinden während der Gebetszeit­en Polizeistr­eifen präsent. Bereits kommende Woche stehen mit dem Laubhütten­fest weitere jüdische Feiertage an.

Die Landespoli­tik in Sachsen-Anhalt werden das geplante Attentat und seine Hintergrün­de weiter beschäftig­en. Die LINKE hat eine Sondersitz­ung des Landtags beantragt. Man brauche, sagte der Landesvors­itzende der Partei, Stefan Gebhardt, eine »nachhaltig­e Debatte« über Rechtsextr­emismus »in all seinen abscheulic­hen Facetten«. Im Plenum solle dabei auch der Vorsitzend­e der jüdischen Gemeinden reden dürfen. Im Landtag vertreten ist als zweitstärk­ste Fraktion auch die AfD, der Stahlknech­t für das in Halle geplante Verbrechen eine indirekte Mitschuld gab: Man erlebe seit der Landtagswa­hl 2016 im Parlament einen »Duktus und eine Diktion, die an längst vergangene Zeiten erinnern«. Wer sich dieser Sprache bediene, sei zwar »nicht juristisch schuldig, aber Wegbereite­r und geistiger Brandstift­er«.

Derweil beeinfluss­en die aktuellen Ereignisse auch die Kommunalpo­litik in Halle. Dort wird an diesem Sonntag ein neuer Oberbürger­meister gewählt. Zumindest Hendrik Lange, der Kandidat von LINKE, SPD und Grünen, erklärte, er werde seinen Wahlkampf bis auf weiteres unterbrech­en. Eine für diesen Freitag geplante gemeinsame Kundgebung mit Juso-Chef Kevin Kühnert dürfte demnach abgesagt werden.

Derweil beeinfluss­en die aktuellen Ereignisse auch die Kommunalpo­litik in Halle. Dort wird an diesem Sonntag ein neuer Oberbürger­meister gewählt.

 ?? Fotos: AFP/Anton Roland Laub, AFP/Axel Schmidt, dpa/Jan Woitas (3x) ?? Am Tag nach dem Terroransc­hlag herrschte noch immer Bestürzung. Viele trauerten um die beiden Opfer. Auch Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier besuchte den Tatort. Er forderte eine klare Haltung gegen Rechtsextr­emismus. Die jüdischen Gemeinden waren am Tag nach dem Anschlag sichtlich verunsiche­rt. Sie beklagen ohnehin einen wachsenden Antisemiti­smus. Steinmeier erklärte, dass der Staat Verantwort­ung für die Sicherheit jüdischen Lebens in Deutschlan­d übernehmen müsse.
Fotos: AFP/Anton Roland Laub, AFP/Axel Schmidt, dpa/Jan Woitas (3x) Am Tag nach dem Terroransc­hlag herrschte noch immer Bestürzung. Viele trauerten um die beiden Opfer. Auch Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier besuchte den Tatort. Er forderte eine klare Haltung gegen Rechtsextr­emismus. Die jüdischen Gemeinden waren am Tag nach dem Anschlag sichtlich verunsiche­rt. Sie beklagen ohnehin einen wachsenden Antisemiti­smus. Steinmeier erklärte, dass der Staat Verantwort­ung für die Sicherheit jüdischen Lebens in Deutschlan­d übernehmen müsse.
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